Ausstellungseröffnung

16.06.2003

F.W.Bernstein und Manfred Bofinger
F.W.Bernstein und Manfred Bofinger; Fotos: Harald Hirsch

Laudatio zur Ausstellungseröffnung


Guten Abend!
Lassen Sie mich einen Fuß in Ihr Ohr kriegen.
Wie fange ich (das) an?
Mit einem Rätsel vielleicht? – Einen Versuch ist es wert. Bittschön:

„Was ist das?
Es ist einfach und komplex zugleich, kostet so gut wie kein Geld und man kann damit die ganze Welt einfangen.“ (Nanne Meyer) – Gemeint ist natürlich das Zeichnen.

Noch eins? Hier:

„Was ist das?
Hängt an der Wand und sieht gut aus?“ Thomas Kapielski, der diese Frage aufwarf, findet gleich drei Antworten: Bilder, Bücher und Wandlampen.
Ich greife aus gegebenem Anlass einfach die „Antwort A“ heraus. Bilder als Ergebnis des Zeichenprozesses. Das Phänomen der gut aussehenden Zeichnung an der Wand tritt in diesen Räumen geballt in Erscheinung.
Wen wundert das, wenn zwei Großmeister ihre zeichnerischen Korrespondenzen präsentieren?

Heike Drewelow; Zeichnerin, Fotografin und Zeitzeugin

Heike Drewelow; Zeichnerin, Fotografin und Zeitzeugin

Als ich, in Vorbereitung auf diesen Abend (gähn) – Klar: ich hab einen riesigen Stapel Bücher vor mir aufgebaut. Alle von Bofinger und Bernstein. Die ausgestellte Korrespondenz lag auch in großen Teilen vor.

Eine Ansammlung von Schätzen, und das in meinem Haushalt! Und noch lange nicht alles was aus den Federn der beiden Großmeister floss, nicht mal das vollständig, was zwischen Buchdeckeln landete.

Was ich fand, waren Erinnerungen und wie das so ist: Man kramt und verzettelt sich. Erinnert sich an Begegnungen, versucht die zeitliche Dimension zu überwinden, befindet sich plötzlich wieder siebenjährig auf dem großen Solidaritätsbasar und also auf dem Alexanderplatz...

Ich glaub das könnte eine der ersten Begegnungen gewesen sein. – Manfred Bofinger in Aktion: Mit Kindern, für Kinder. Ich, wie so oft, hab mich nicht getraut, hab mir nicht mein Lieblingstier malen lassen. Aber: ich hab alles mit großen Augen aufgesogen. Und dann hab ich mir Etiketten geleistet, eine doppelte Portion. Die hab ich mir dann auf die uniformen grünen (nicht uniformgrünen!) Schulhefte geklebt. Und das zweite Exemplar aufgehoben.

Heute tät ich mich trauen, würde um eine Zeichnung bitten. Aber die Zeiten haben sich verändert: ich habe kein Lieblingstier mehr. – Das Leben ist manchmal ganz schön grausam, find ich.
Aber schön ist es auch, das Leben: Die Katze Liesbeth, der Hund Arko, der Drache Ticki Mumm, der Räuber Kassa Rabiatas, Der Vogel Albert und, klar: der Hase Dreiläufer oder Herr Dickbauch und Frau Dünnbein sind unvergessen. –
Neulich las ich, von ihm selbst geschrieben (in „Ein dicker Hund“), das Bofi es mit seinen Bildern bis zum Südpol geschafft hat. Das steht ihm auch zu.

Während Manfred Bofinger mit seinen Bildern meine Kindheit prägte und mich mit ihnen auf Kunstepochen wie den Expressionismus vorbereitet haben muss – denn ich kann mich nicht erinnern jemals so was wie blaue Pferde hinterfragt zu haben (vielleicht lag es ja z.B. an Arko?) – war F.W. Bernstein fester Bestandteil meiner Flegeljahre.
Hier fällt die Datierung leichter: Er war Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der HdK/UdK, an der ich 1992 zu studieren begann. Von ihm bekam ich, gerade in unsicheren Zeiten, viel Unterstützung, Rückendeckung und Lob. (Jetzt ist auch das mal gesagt!) Die grafische Runde, der ich mich zugesellte, tagt heute noch wöchentlich: ein Forum der zeichnerischen und kulinarischen Völlerei und des unangefochten angenehmen Umgangs miteinander. – Dank Dir, Zeichenzausel, das Du die Fahne weiterhin hochhältst. Das tut gut.

Soweit erst mal zu meiner privaten Sicht, denn bedeutsam werden die Dinge ja immer erst durch persönliche Bezüge.
Nun aber zur Sache, das heißt zur Ausstellung, die den Titel „Die korrigierte Weltgeschichte“ trägt...

Die Weltgeschichte korrigieren, was für ein Ansatz! – Aber: dieses Sisyphos-Unterfangen hat Charme, überzeugen Sie sich selbst!

Korrigieren heißt aus etymologischer Sicht: richtig stellen, ausgleichen, zurechtweisen, verbessern, in Ordnung bringen – und: sein wir ehrlich: Dieses historische facelifting war schon lange mal nötig!
Frei nach dem Motto „Nur der Zeichner war Zeuge“ (F.W. Bernstein) wird hier umgedeutet, verändert, entrümpelt, werden einzelne Ereignisse herausgegriffen, respektlos hinterfragt und verändert.

So kommt es dazu, dass Gutenbergs bewegliche Lettern Beine bekommen, die chinesische Mauer den sozialistischen Wettbewerb gewinnt, Berthold Schwarz das friedliche Backpulver erfindet, die Chinesen das Klopapier entdecken, Hannibal mit einer Armee Mücken loszieht (die erst von der Geschichtsschreibung zu Elefanten gemacht werden), die Evolution zu spät kommt, Kolumbus den Seeweg nach Dingsda verpeilt, Ökoprodukte seit dem Mittelalter existent sind, Luther vom literarischen Quartett gefeiert wird, Turnvater Jahn mit Baiser gedopt ist, die Titanic in der Karibik strandet, Bauhaus-Gartenzwerge erschaffen werden, Adolf Hitler an der Kunstakademie angenommen wird und sich zum Vertreter der reinen Farbenlehre etabliert („braun braun braun sind alle meine Kleider...“), die Pisastudie ihr Fett weg bekommt usw. usf. Und: das Leben wird schöner durch so manche blitzblanke Frechheit aus so charmanten Korrekturfedern.

Kann man Realität auf den kleinsten Nenner bringen? – Kann die Welt in ihrer Vielfalt abgebildet und gedeutet werden? – Sichtbar ist in diesen Räumen die gerahmte und zum Teil berichtigte Wirklichkeit. Lassen Sie sich von einer Zeitzeugin, denn so bin ich ja angekündigt, versichern, das hier alles seine Richtigkeit hat.

Bis auf ein Phänomen: wenn ich mir eine Anmerkung erlauben darf: Mein lieber Fritz, das Kopernikus erst 1530 entdeckt haben soll, dass sich die Erde um die Frau dreht, ist doch wohl ein Witz! Was passierte denn in den ganzen Jahrhunderten davor? Wo war DA der Mittelpunkt? – Hier bitt ich noch mal um Revision! Zeitzeugen stehen gern zur beratenden Verfügung.

Zeichnungen machen aus Fiktivem Reales und umgekehrt. Alles wird relativiert und das macht Laune. Welche Welt ist die wahre? Die draußen? Die im Kopf? Die auf dem Papier?

Ich glaube auch nur, was ich sehe, und das hier Gerahmte ist nicht nur schwarz auf weiß sichtbar, sondern sogar meist noch koloriert – also: trauen auch Sie ihren Augen! Werden auch Sie auf diese Weise Zeitzeugen, es lohnt sich allemal.

„Wenn ich König wär“ ist eins der weiteren Themen, vor denen wir hier Hof halten. – Sein Sie ehrlich: wer hat dieses Gedankenexperiment nicht schon einmal im Selbstversuch gestartet? –

Hier passiert die Neuordnung, die „Einverleibung“ der Welt mit grafischen Mitteln – die Zeichnung wird zum Vehikel der Erkenntnis: Wir haben die Protokolle der Auseinandersetzung fein gerahmt vor Augen: „Wenn ich König wär, dann am liebsten Zaunkönig“, „König der Möwen“, „König der Biere“, „Königspinguin“, „Schach-König“, „Froschkönig“ und dergleichen. Das spricht nicht gerade für Lust auf Macht. Bestätigt wird diese Vermutung durch die Blätter selbst. Folgendermaßen z.B.: „Wenn ich König wär, würd ich den Rand halten“. „Wenn ich König wär, dann eine moderne Oper“. „Wenn ich König wär, wär ich vielleicht doch lieber Kreuz-As“. „Wenn ich König wär, weiß ich schon, wo der sicherste Platz ist“, nämlich: hinter dem Thron.

Was für ein Weltbild steht hinter dieser Bildwelt? – Die Ereignisse werden aufmerksam betrachtet und reflektiert, so viel steht fest – also: Die Weltanschauung ist intensiv, offen, und neugierig. Soviel zur Welt. – Nun zum Bild:
Bild ist und gibt Zeugnis von Welt und Weltbild. – Immer wieder neu und immer wieder anders. Lebendig, wie der Blick der beiden Beobachter.
Zeichnen heißt immer übersetzen, transformieren, sagt Nanne Meyer. Das setzt ein hellwaches Bewusstsein und eine ständige Bereitschaft zur Kommunikation nach allen Richtungen und jeglichem Gegenüber voraus. Davon zeugen die Exponate.

Zur Korrespondenz

Korrespondieren, so das Deutsche Wörterbuch, meint, „sich schreiben, in Übereinstimmung sein“ – es ist eine Neubildung zu „versichern, versprechen, antworten, entsprechen, übereinstimmen“ – Und in gewisser Weise sind sich die Protagonisten des heutigen Abends einig, denke ich. Sich aus beiden Teilen des Landes zusammenfindend, geht es ihnen nicht um die (auch im Kartenwechsel als „Deutsch-Deutsches“ durchexerzierte) West-Ost-Geschichte, nicht um Fragen der Himmelsrichtungen sondern vielmehr ums Große und Ganze. Oder besser: auch um die Thematisierung der kleinen Dinge des Alltags. Phänomene werden isoliert, neu zusammengeschaut, und Zusammenhänge werden, plötzlich klar oder verschieben sich.

Wichtig ist aber vor allem das permanente mit dem Bleistift auf dem Papier unterwegs sein. Nichts ist unwichtig genug, um nicht doch noch festgehalten zu werden. Und daran tun sie gut, die beiden Zeichner. Denn ganz nebenbei werden dann auch schon mal Alltagsfragen geklärt: Vorm Frühstück auf den Markt oder danach? (Fakt ist: Die fragestellende Zeichnung kann zeitlich vor beide Aktionen sortiert werden.)
Nun, vielleicht werden Sie sich fragen: Wie fing das alles an? Wie kamen die beiden Großen dazu, sich zeichnenderweise zu schreiben?

Das kam so: Anfang 1990 gab es eine erste Begegnung. Die Eulenspiegel-Zeichner luden die Oberliga der in Westberlin Zeichnenden ein. Bofinger und Bernstein wussten gegenseitig von ihrer Existenz, kannten aber bislang nur Arbeiten des jeweils anderen. Dann kam, Aug in Aug, verständlicherweise Sympathie dazu. Es betrat eine kurze Kunstpause den Zeit-Raum, auch „die Ruhe vor dem Sturm“ genannt. Und dann, 1991, ab die Post! --- Seitdem geht die Post ab zwischen Treptow und Steglitz.

Diese hier sichtbare Ausstellung ist nicht die erste Postkarten-Schau der beiden.

Bereits 1995 füllten sie die Räume im Greizer Satiricum mit ihren Bild-Welten und Welt-Bildern. – 1997 wurden weitere Korrespondenzen in der Medien-Galerie Berlin (Dudenstr.) gezeigt. – Des weiteren gab die Cartoonfabrik der zeichnerischen Brieffreundschaft bereits die Ehre. Ebenso das Apex in Göttingen (wenn in der Aufzählung was fehlt liegt es nur daran, das ich’s nicht gesehen hab).

Und nun, hier, heute und in den nächsten Wochen und Monaten: Potsdam. Zu sehen sind die in den letzten ca. 3 Jahren ausgetauschten Karten der Künstler Bernstein und Bofinger. Immer wieder stellen sich die beiden einem Thema, das sich ihnen stellte – um das sich dann die Stifte der Meister manchmal Monate, in Extremfällen auch Jahre bewegen. Eins von ihnen diente als Titel der Ausstellung: „Die korrigierte Weltgeschichte“.

Das jüngste Thema, just in Arbeit, zum Teil noch mit dem Schweiß der armen Postbotin benetzt, die momentan in Produktion befindliche Serie, die sich mit Premieren befasst. Seit einigen Monaten wechseln Karten, die diverse „Das-Erste-Mal“-Situationen beschreiben die Besitzer.

Lieber Manfred, lieber Fritz. – Ich möchte stellvertretend für die vielen anwesenden Menschen Dank sagen: Dafür dass Ihr uns teilhaben lasst an Eurer Korrespondenz, uns heute und hoffentlich noch möglichst oft die Gelegenheit bietet, Einblick zu nehmen in Eure Auseinandersetzung mit Gott und der Welt schlechthin.

Mit Freude hab ich Vorgestern in den Nachrichten gehört, dass auch die Post ihren Teil beizutragen gedenkt: sie hat sich entschieden, weite Teile der vor einiger Zeit abgehängten Briefkästen wieder anzuschrauben. Wenn das nicht ein Fanbekenntnis ist!

Bevor ich das Feld räume möchte ich auf die epische Breite und also die Dimension einer Postkarte hinweisen. Das geschieht mit den Worten F.W. Bernsteins, der (nach Martin und seinem Kinderklavier) als nächster zu Wort kommen wird:

„Wichtig ist das Kleinformat, weil’s uns was zu sagen hat.
Große Bilder zeigen nur Farb und Form, und Schweigen.“ (F.W.Bernstein)


Vielen Dank für Eure und Ihre Aufmerksamkeit.

Heike Drewelow
Zeichnerin, Fotografin und Zeitzeugin

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