
Wir freuen uns heute über eine Theateraufführung.
Wir feiern sie zu Recht als vorzüglich.
Sie hat alles, was gutes Theater auszeichnet.
Einen prima Text, exzellente Schauspieler in einer exzellenten Regie.
Einen exzellenten Musiker, eine exzellente Bühne, und ein zeitlos aktuelles Thema.
Ein Thema, das die Vorbereitung auf ein solches Stück ungemein erleichtert, denn ein Theater wie unseres plant ein gutes Jahr im Voraus, da ist nicht zu befürchten, dass nur ein einzi-ger Funke Aktualität verloren geht.
Mit diesen Themen setzt sich das Theater seit Jahrhunderten auseinander: Krieg und Vertreibung, und einhergehend damit menschliches Leid und Leidenschaft, Verwirrung, Macht und Machtmissbrauch.
Das Theater engagiert sich, wie es heißt, für die Entrechteten und Verzweifelten, und niemand, der einen solchen Abend verlässt, bleibt unberührt von dem, was er sah, niemand riefe: es geschieht ihnen recht! Wir alle sind, und das ist selten genug, einer Meinung, sind, wie man so schön sagt, tief betroffen einerseits, amüsiert und begeistert andererseits. Es regnet Einladungen, Anerkennung und Preise, und jeder, der zu tun hat damit, lächelt und freut sich.
Offensichtlich ist etwas in Zeiten, da Theater es schwer haben und entbehrlich erscheinen, erfolgreich und jeder von uns, ob Dramaturg oder Intendant, registrierts mit größter Zufriedenheit.
Thema getroffen, Ziel erreicht, ein an sich schwer darstellbares Etwas leicht und unterhaltsam, jedoch nicht ohne angemessenen Ernst, präsentiert, was wiederum den Zuschauer freut.
Und doch ein Scheitern auf der ganzen Linie, wahrlich nicht auf der künstlerischen, aber was bewegt ein Theater, dass sich, wie oben erwähnt, seit Jahrhunderten engagiert, wie es so schön heißt, gegen Vertreibung und Krieg, ohne dass eine Welt sich bewegt.
Wo bleibt nach dem Beifall die Hand, die den für jene Greuel Verantwortlichen auf die Hände schlägt, noch bevor das nächste Unheil geschieht?
Warum nur können wir uns, ohne jeden Funken Hoffnung und Besserung und Veränderung, darauf verlassen, dass ein solches gewähltes Thema noch anschlägt und aktuell ist, wenn ein weit vorausgedachter Spielplan Wirklichkeit wird? Ist das nicht ein äußerst fatales, weil unbewusstes Eingeständnis unserer Ohnmacht?
Im Stück selber tritt eine Frau mit Kopftuch auf, sicher nicht nur, weil’s regnet oder kalt ist, wir ahnen oder wissen, weil wir unsere Wirklichkeit kennen: sie trägt dies Kopftuch aus anderen Gründen, die wir vielleicht nicht verstehen und nachvollziehen können, weil’s nicht unsere Gründe sind, und weil die Religion, deren befremdlicher Ausdruck uns irritiert, nicht die unsere ist, aber wenn wir das Tragen eines Kopftuches als aggressiven feindlichen Akt einer eher rückständigen primitiven und den Weltfrieden bedrohenden Religion verbieten, ohne mit unseren christlichen Symbolen das Gleiche zu tun, was säen wir da anderes als Unfrieden und Zwietracht, und damit die Saat für dieses Unrecht, von dem die Fluchtwege sprechen.
Wo bleibt da unser Aufschrei, denn genau hier, in Vorgängen, Haltungen und Denkweisen dieser Art gründen sich Hass und Verachtung gegen das Fremde, dem wir die Bedrohung kurzerhand andichten.
Der Bart des Osama bin Laden ist der Bart des Bösen, seine potentiellen Komplizen tragen die nämlichen Bärte, und wo die nicht wachsen können, beim weiblichen Geschlecht, sind’s die Kopftücher.
Das sind die Märchen, die wir glauben sollen, und uns fehlt die Entschlossenheit, dagegen aufzustehen, denn uns wird ja nichts verboten, es trifft ja den Fremden, und der ist uns ja eh unheimlich, und eine Kultusministerin kann sich ja so sehr nicht irren, zumal selber Frau und Mutter.
Und am Abend gehen wir ins Theater und entsetzen uns über die Übel der Welt und akzeptieren unsere Ohnmacht.
Mit welchem Recht wird eine der großen Weltreligionen so diffamiert, denkt niemand an die zahllosen Verbrechen, die im Namen des Kreuzes verübt wurden?
Der Papst in Rom fühlt sich bemüßigt, vor der Weltöffentlichkeit die sexuellen Neigungen und den Missbrauch von Kindern durch christliche Priester zu rügen. Wie groß muss das Problem sein, denn wie peinlich ist es, vor einem solchen Forum davon zu sprechen, aber niemand denkt indessen ernsthaft darüber nach, die christlichen Symbole aus den Schulen zu entfernen. Die Dämonisierung des Fremden ist der erste Schritt zum Fremdenhass.
Unser Thema ist und bleibt aktuell, so wird’s bleiben.
Aber was mehr und mehr beunruhigt, ist nicht nur der offene, zur Schau getragene Fremdenhass, sondern der schleichende, unbewusste, den derjenige, dem er innewohnt, nicht einmal wahrnimmt.
Das ist die Irritation, die ein fremdes Gesicht, eine fremde Art, zu denken und sich zu geben und zu kleiden, immer noch hervorruft.
Die Irritation, dass wir unsere Art zu leben und zu denken, zum Maßstab machen, nach dem wir die Welt und die auf ihr Lebenden einteilen und beurteilen.
für Entwicklung und Frieden werden.
Wenn man sie an den Rand der Gesellschaft drängt,
wird das zum Schaden aller sein"
Kofi Annan
Uno-Generalsekretär
Wir führen Kriege gegen das Fremde, nur weil es uns fremd ist, dabei spürt man täglich, wenn man so will, die Arroganz westlicher Macht und westlichen Denkens gegen das Andersartige und Fremde.
Mit welcher Arroganz urteilen und verurteilen wir? Was unterscheidet uns vom nationalistischen Serben, der nicht nur die Rechte der Muslime mit Füßen tritt?
Seit dem ominösen 11. September hat die Stimmung einen Verlauf genommen, der fatal an die Atmosphäre erinnert, die während der christlichen Kreuzzüge geherrscht haben muss.
Mich ängstigt und beunruhigt das, weil es zeigt, in welchem Maße sich die Probleme verschärfen.
Dabei darf man nicht vergessen, dass die Medien und letzten Endes wir selbst ebenso in der Wahrnehmung der Konfliktherde sorgfältigst auswählen, um uns nicht völlig den Morgenkaffee zu verhageln. Auch unterscheiden wir sehr genau zwischen guten, also notwendigerweise beinah willkommenen Flüchtlingen aus politischen Gründen, die vor Mord und Krieg fliehen, und den so genannten Wirtschaftsflüchtlingen, die „nur“ vor wirtschaftlicher Not, also vor Hunger, Armut und medizinischer Unterversorgung fliehen, die uns nur die Regale im Supermarkt leer räumen und unser Sozialsystem aushöhlen, die also gefälligst zuhause bleiben sollten.
Auch achten wir sehr genau, jene wieder heimzuschicken, wenn sich die Verhältnisse daheim wieder geklärt haben, und wir befinden darüber, wann das ist, basta.
Aber warum sind denn immer mehr Menschen auf der Welt Fliehende? Wer geht ohne Not von Zuhause fort?
Warum werden nicht die Ursachen für Not und Vertreibung entschlossener bekämpft, dass jeder dort leben kann, wo er herkommt, oder wo der leben will?
Denn auch die Flucht in den vermeintlich reicheren sichereren Teil der Welt ist eine Beschränkung in der Freiheit der Wahl für die, die fliehen müssen.
Man sagt, für Kinder ist es leichter, sich in der Fremde zurechtzufinden. Das mag ja durchaus so sein, aber die Fremde ersetzt ihnen keine Heimat, und Heimat ist Sprache, ist Landschaft, ist Herkunft, und nicht zuletzt die Familie.
Wer Kindern das nimmt, wirft sie ins Wasser und registriert erfreut, wie sie früh schwimmen lernen, aber sie tun das nur, weil sie keine Boden unter den Füßen haben.
Und, trotz unserer Ohnmacht, trotz der geringen Hoffnung auf allgemeine Besserung, wir sollten weiter dafür eintreten, dass kein Mensch, ob fremd oder nicht fremd, den Boden unter seinen Füßen verliert, wie die beiden Dargestellten in Fluchtwege und wir sollten weiter die Lernfähigkeit derer einmahnen, und zwar mit allen erlaubten Mitteln, die für das Elend der Flüchtlinge verantwortlich sind.
Wobei ich hinzuführen möchte, dass mir der Glaube an gerechte Kriege fehlt, ein Verlust, den ich gern verschmerze, aber wo führen wir einen streitbaren Dialog darüber, worüber führen wir überhaupt in unserer Gesellschaft noch einen streitbaren Dialog, der nicht in den Niederungen des Parteienstreits und der Tagespolitik versandet?
Deshalb muss sich das Theater immer wieder einmischen, am besten mit einer so gelungenen Aufführung, und noch besser, als Teil einer aufrüttelnden Ausstellung innerhalb einer hoffentlich nicht versiegenden Kampagne, den Finger auf die Wunden legend, sich zu engagieren für die Schwächsten der Schwachen, für die Flüchtlingskinder dieser Welt.
Teilen auf