Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Neujahrskarten – gestaltete Grüße: am Ende eines vergangenen oder an Beginn des neuen Jahres hält man sie endlich in den Händen. Schon als Kind war ich gespannt, was sich die Kollegen haben einfallen lassen. Dabei stimmt es ja nicht, wenn ich von Kollegen spreche. Denn meine Kollegen, die Damen und Herren Kunsthistoriker verschickten kaum bemerkenswerte Neujahrskarten, und wenn, dann gekaufte, ziemlich belang- und geschmacklose … Von denen gibt es eine ganze Menge.
Glückwünsche zum neuen Jahr gab es schon im alten Ägypten und auch die Chinesen kannten sie schon Jahrhunderte vor uns. Aus dem frühen 15. Jahrhundert sind in Europa erste Bildmotive, in Holz gestochen und im Kartenformat, überliefert. Die vervielfältigten, gedruckten Bildpostkarten zum Jahreswechsel sind eine Erfindung des 19. Jh.
Als erster Kartenzeichner gilt der englische Maler John Callcott Horsley. Sie erlebten vor dem 1. Weltkrieg einen regelrechten Boom. Es gibt einen ganzen, vorgegebenen Kanon der Glückwünsche, die sich für den Jahreswechsel eignen: viel Glück, immerwährende Gesundheit, Erfolg im Beruf usw. Ein guter Rutsch ist auch dabei.Der Ursprung dieses Wunsches hat mit dem „Rutschen“ in ein Neues Jahr allerdings wenig zu tun, es ist zurückzuführen auf das hebräische Rosch hashanah, das jüdische Neujahrfest, übersetzt bedeutet es: Kopf oder Anfang des Jahres.
Visualisiert werden diese Wünsche gern mit Glücksklee, Glückspilzen, Feuerwerksbildern, dem Schornsteinfeger oder einen knuffigen Glücksschwein.
Künstler nahmen die Idee auf und gestalteten zahlreiche Postkarten zu verschiedenen Anlässen. Berühmt geworden sind jene von Oskar Kokoschka, Friedrich Wilhelm Kleukens, Max Beckmann, Josef Hoffmann, Max Schwimmer, die nicht selten plakatives im Postkartenformat verschickten oder Grüße von ihren Reisen, handgezeichnet, koloriert, in Holz geschnitten, in kleiner Auflage gedruckt oder eben einmaliges Original.
Die Gebrauchsgrafiker, wie die Grafik Designer der DDR sich stolz nannten, die Zeichner, Illustratoren, Grafiker, Maler und Kunsthandwerker schließen sich ihren Berufskollegen an. Kam ein Brief mit einer kraftvollen, schönen und ausgewogenen Schrift, die Affinität zur Kalligrafie verratend, so öffnete man den Briefumschlag ganz vorsichtig, um Inhalt und Umschlag nicht zu beschädigen.
Die Überraschung gelang fast jedes Mal – eine verblüffende Idee, außergewöhnlich umgesetzt, in individueller Handschrift, sich mit den Jahren festigend. Oder auch, alte Redewendungen und Witze neu interpretiert.Die Künstler aller Kunstsparten versendeten gestaltete Glückwunsche zum Jahreswechsel aus ganz verschiedenen Gründen: für den Einen war es das Kontakthalten zu Kollegen, ehemaligen Kommilitonen oder zum Auftraggeber, für den Anderen war es wichtig, sich wieder in Erinnerung zu bringen oder auch eine Meinung zu relevanten Themen oder Ereignissen auf kleinster grafischer Fläche kundzutun.
Man könnte betonen, dass Neujahrskarten eine subversive Kunst war, allerdings gab es auch hier die heimlichen Mitleser, manche Karte kam nicht beim Empfänger an. Man nutzte unter Umständen Umwege, einen anderen Ort zum Einwerfen der Massenbriefsendung mit dem Vermerk „Drucksache“ – das Porto war übrigens aus heutiger Sicht ein Witz.
Oder man verteilte die Sendungen über die Briefkästen der Stadt. Kam es doch zu einer Konfrontation mit den staatlichen Stellen, so konnte das Argument, dass man mit seiner Kritik selbstverständlich den Klassenfeind meinte, den Wind aus den Segeln nehmen. Denn trotz aller Repressalien war Kritik in der DDR möglich, wir mussten dies nach der Wende nicht erst lernen.
Und die flächendeckende Bespitzelung funktionierte entgegen aller Annahmen nicht so gut – manche Neujahrskarten hätte demnach nie ankommen dürfen. Der Alltag wurde mit ihnen kritisch beleuchtet, als Kommentar zur Gesellschaft. Visuell und verbal, offen oder hintergründig - man war durchaus in der Lage die Botschaft auch zwischen den Zeilen und Zeichenlinien zu lesen.
So manche Losung der Partei wurde satirisch kommentiert oder ergänzt, bot Gelegenheit zum Schmunzeln, spätestens wenn zum Jahreswechsel einer diese auf seine Weise aufnahm. Die Ehefrau des Kartensammlers Irene Trost hat diese Sprüche von der Straße im übertragenen Sinne aufgehoben. Lassen Sie mich einige zitieren, wahrscheinlich mit Wiedererkennungswert:
„Spare mit jedem Gramm und Pfennig, koste es was es wolle!
Wir kennen zwar den Plan nicht, aber wir bringen das Doppelte!
Jeder kann bei uns werden was er will, ob er will oder nicht!
Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts!
Wer seine Verpflichtungen nicht einhalten kann, sollte sofort größere übernehmen!
Gefährlich ist, wenn die Dummen fleißig werden!“1
Erstaunlicherweise sind manche noch immer aktuell.
Dass sich manch einer in Prophetie versucht hat, zeigt die Karte von 1988 – Jahr des Wendehalses. Ob die Verantwortlichen des NABU das beabsichtigt haben, sei dahingestellt.Sie werden weiterhin entdecken: Man brauchte nicht nur 1980 ein dickes Fell, Schnecken waren unterwegs „Auf zu neuen Taten“, ein Ritter reitet mit Lanze auf ein Kinderwindrad zu, um Glück zu haben musste man schon den Würfel manipulieren, irgendwie geht es immer weiter, die PGH Glasnost hat folgenden Wahlspruch: „von uns lernen, heißt Renovieren lernen“, Leonardos Weissagungen von der Seefahrt: es werden mächtig starke Winde wehen, so dass die Dinge östlich schließlich zu den Dingen westlich werden …, „Hinfallen ist keine Schande, aber liegen bleiben!“ etc.
Manche Karte zielt auf tagesaktuelle Ereignisse, auch eigenes Erleben, die berufliche Situation oder bevorstehende Fest- und Parteitage und im Verlaufe der Zeit wird es u. U. schwierig den Kontext herzustellen – Sammler und Historiker sind gefragt, die notwendigen Informationen aufzubewahren.
Die formale Bandbreite der grafischen Arbeiten ist vielschichtig: sie reicht von der einfachen Feder-Zeichnung (nicht nur Hans-Eberhard Ernst hat seine Neujahrskarten bis 1990 alle einzeln von Hand gezeichnet und koloriert), dem Holzschnitt, Acryl- oder Holzstich, der Lithografie vom Stein oder im Offsetverfahren gedruckt, der Radierung, Linolschnitt, der typografischen Gestaltung, der Fotografie bis hin zur Collage oder Montage. Herausgebildet haben sich unverwechselbare Handschriften der Illustratoren oder Plakatgestalter, so dass es oft keiner Signatur bedarf, um den Autor zu erkennen.
Wie Sie sicher wissen, war die Vervielfältigung bzw. das Drucken bis 1989 nicht so einfach. Manch Künstler unterhielt noch gute Beziehungen zu den Werkstätten seine ehemaligen Hochschule, wie beispielsweise der HGB Leipzig oder KHB Berlin-Weißensee, welche eine Druckwerkstatt besitzen – dort war auch Buchdruck möglich. Andere druckten auf eigener, im Keller stehenden Presse die Holz- oder Linolschnitte, gingen in eine kleine grafische Druckerei für Lithografie oder Tiefdruck auf feinem Papier.
Einige hatten die Kunst des Siebdruckens selbst erlernt und erzielten mit primitiven Mitteln hervorragende Ergebnisse. Findig ließ man eine Buchillustration in der Druckerei mehrfach auf Bögen drucken und schnitt sie dann auseinander. Oder, auch das war möglich, man vervielfältigte in der eigenen Dunkelkammer Fotos und schrieb per Hand die entsprechenden Wünsche darauf.
Manfred Butzmann beschreibt die Herstellung seiner Neujahrskarten wie folgt: „Es sind etwa 100 verschiedene Motive. Die erste habe ich 1977 für den Jahreswechsel zu 1978 drucken lassen. Danach waren‘s dann mehrere Motive auf einem Druckbogen. Bis 1981 habe ich mir dafür immer eine Druckgenehmigung besorgen müssen. Danach war das nicht mehr nötig. Doch 1986 und 1987 gab’s ja ein Quasiverbot (also: keine Satzschrift, keine gedruckten Fotos!) Da hab ich mir für 1986 in der Dunkelkammer etwa 100 Abzüge eines Fotos hergestellt und raufgeschrieben: „heimlich Gutes tun´.“2
Bis 100 Stück durfte man als Künstler Grafik ohne Druckgenehmigung drucken. Das auszunutzen lag im Ermessensspielraum des Künstlers. Was es nicht gab, die Kopie, den digitalen Druck, der heute die massenhafte Produktion von Grußkarten einfach macht. Dies nutzen, auch im Zeitalter von Email und SMS, Facebook oder anderen Netzwerken noch immer viele Gebrauchsgrafiker und künstlerisch Tätige, um ihre, nun farbigen, Botschaften zu verbreiten.
Im Lande der öffentlichen Meinungsfreiheit scheint ja alles möglich. Zu kritisieren, an den Pranger zu stellen, sich lustig zu machen, auch mit Zynismus oder Humor. Sie lassen es sich nicht nehmen und finden immer wieder verbale Unsinnigkeiten oder einfach Bilder im öffentlichen Raum, über die es sich lohnt, nachzudenken. Manche Themen sind geblieben: Frieden, Krieg, Kapital, der deutsche Michel, die Bahn, das Wetter. Andere kommen hinzu: Pisa, Armut, blühende Landschaften, harte Zeiten.
Übrigens wäre noch zu betonen, hätte ein anderer Künstler seine Sammlung präsentiert, käme eine ganz andere Ausstellung zustande, natürlich mit Überschneidungen. Der Freundeskreis ist ausschlaggebend sowie Ort und Zeit ihrer Entstehung. Die Hälfte der präsentierten Karten sind vor 1989 in der DDR entstanden. Kleine, feine Kunstwerke, die zu zeigen es sich allemal lohnt.
Und ich freue mich, dass durch Kontakte von Erika Stürmer-Alex und Gerhard Trost diese Ausstellung hier in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung unter der Regie von Martina Schellhorn zu sehen ist, vielleicht als ein Beitrag zur Verständigung zwischen den Zeilen und mit Satire.
Dr. Sylke Wunderlich
Kunsthistorikerin
1 Sprüchesammlung von Irene Trost, übergeben von G. Trost, 4.11.2011
2 Butzmann, Manfred: zit. nach: Schauß, Hans-Joachim: Pünktliche Pointen. Leipzig, 2003, S. 199
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