Ist Pippi Langstrumpf rassistisch?

Zwei Auszüge aus dem ersten Band von Pippi Langstrumpf:

„… Pippi war ganz sicher, dass ihr Vater eines Tages zurückkommen würde. Sie glaubte überhaupt nicht, dass er ertrunken sein könnte. Sie glaubte, dass er auf einer Insel an Land geschwemmt worden war, wo viele Neger wohnten, und dass ihr Vater König über alle Neger geworden war und jeden Tag eine goldene Krone auf dem Kopf trug … ‚Und übrigens’, fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht, ‚will ich euch sagen, dass es in Kenia keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen Tag. Sie fangen früh um sieben an und hören nicht eher auf, als bis die Sonne untergegangen ist. Wenn es also passieren sollte, dass ich mal lüge, so müsst ihr versuchen, mir zu verzeihen und daran zu denken, dass es nur daran liegt, dass ich zu lange in Kenia war…’"

Ist Pippi Langstrumpf rassistisch? Die Verlagsgruppe Oetinger, die für die deutschsprachigen Ausgaben von Astrid Lindgren verantwortlich ist, verweist auf eine Stellungnahme des schwedischen Verlegers: Das Wort „Neger“ sei in den 1940er Jahren „die übliche Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Haut“ gewesen und habe seinen negativen Beiklang erst später bekommen. Ein Austausch des Begriffs sei „nicht so einfach“ zu bewerkstelligen. Zudem könne man „nicht sehen, dass Pippi irgendwo in den Büchern Vorurteile hegt“.

In der Tat wäre es völlig verfehlt, aus Astrid Lindgren eine Rassistin zu machen. Die historische Erklärung des Verlegers ist sicherlich richtig. Aber hilft sie weiter? Das Problem ist, dass Pippi-Langstrumpf-Bücher nicht nur von Literaturinteressierten mit Faible für historische Originaltexte gekauft werden, sondern z. B. auch von Eltern, die ihren Kindern daraus vorlesen möchten.

Die Erziehungswissenschaftlerin Maureen Maisha Eggers erinnert in einem kurzen, aber lesenswerten Artikel (PDF, 3 S.) an die Rezeptionsgeschichte des Kinderbuch-Bestsellers: „Pippi Langstrumpf erfuhr eine Ikonisierung als emanzipatives Modell für Kinder, insbesondere für Mädchen.“ Bei einer kritischen Textanalyse stelle sich die Heldin allerdings „als eine recht widersprüchliche Figur heraus“. In der Überschrift zu ihrem Papier fragt die Autorin pointiert: „Pippi Langstrumpf - Emanzipation nur für weiße Kinder?“

Es handelt sich hier keineswegs um eine „rein akademische“ Debatte. Die Diskussion im Elternforum „Schnullerfamilie“ zeigt, dass die aufgeworfenen Fragen durchaus von praktischer Bedeutung sind: Kann man seinen Kindern den Originaltext heute noch vorlesen? Reicht es, den Begriff „Neger“ zu erklären? Wie macht man das? Soll man das Wort ersetzen? Durch was? Unter anderem schreibt „Vanessa“:

„… überlegt euch mal, wie das z.B. bei MEINEN Kindern ankommt, die nun mal selbst dunkle Haut haben und in Afrika leben. Und wir leben nicht in einer Hütte aus Lehm und Holz, wir leben in einem ganz normalen Haus! Mit dem Begriff ‚Negerhütte’ können meine Kinder nun gar nichts anfangen. Davon abgesehen haben einfache Behausungen nichts mit der Hautfarbe ihrer Bewohner zu tun, sondern sind Ausdruck der Armut in vielen Teilen der Welt.“

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Eine Liste von weiteren problematischen Kinderbüchern finden Sie im SCHWARZEN BLOG.

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Kommentare

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Die Stellungnahme des Verlags zum Begriff "Neger" ist interessant, vielleicht sogar glaubhaft, aber was soll daran schwierig sein, den Begriff zu ersetzen? Schade auch, dass nicht darauf eingegangen wurde, warum Menschen in Kenia Lügner seien. Was hat es denn damit auf sich?

Vielen Dank für Ihren Kommentar!

Allerdings: Ich habe mir das gerade nochmal angeguckt (der Beitrag ist ja schon drei Jahre alt) und bleibe bei meiner Meinung. Gerade die Diskussion im oben verlinkten Elternforum finde ich überhaupt nicht akademisch! Man kann natürlich über einzelne Punkte streiten, aber dass die Blogger vom  „Braunen Mob“ die Diskussion damals ins Laufen gebracht haben, halte ich immer noch für verdienstvoll.

Es gibt ja zum Thema noch einen weiteren Blogeintrag vom Juli 2010, in dem über einige kleinere Textänderungen berichtet wird, die die Verlagsgruppe Oetinger inzwischen vorgenommen hat:

http://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/die-extreme-rechte/blog/neues-von-pippi-langstrumpf

Als Astrid-Lindgren-Fan finde diese kleinen „zeitgemäßen Anpassungen“ (Oetinger) gar nicht störend – im Gegenteil.

Beste Grüße

Gebhard Schultz

 Ich muss Ihnen leider widersprechen. Es ist eine rein akademische Debatte. Und diese sorgt bei mir nur zu einem Kopfschütteln. Genau aus diesen übertriebenen Diskussionen über das ob und wie der political correctness selbst bei unbedenklichen Kinderbüchern führen dazu, dass der "Durchschnittsbürger" von berechtigten Rassismuskritiken kaum noch Kenntnis nimmt. 

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