Von Behörden und Menschen

Verstecken Sie sich hinter Ihrer Behörde? Hören Sie auf, die Person zu sein, die Sie sind? Setzen Sie Regeln um, die möglicherweise Ihren persönlichen Ansichten widersprechen, die aber von Amts wegen verlangt werden?

Die Frage hatte es in sich: „Verstecken Sie sich eigentlich hinter Ihrer Behörde?“ Gemeint waren wir, die Mitarbeiterinnen der Landeszentrale. Vor einigen Tagen sprach ich mit einer jungen Frau. Für ihre Abschlussarbeit im Bereich Kommunikation hatte sie sich unsere Webseite angeschaut und benötigte noch einige Informationen.
 
Die Frage stand auf ihrer Liste neben vielen anderen, aber mich traf sie in einem besonderen Moment, denn kurz zuvor hatte ich den Historiker Peter Longerich in einer Diskussion in der Landeszentrale über die Wannsee-Konferenz gehört. Am 20. Januar 1942 fanden dort entscheidende Abstimmungen für die Verfolgung und Vernichtung von über 11 Millionen deutschen und europäischen Juden statt. Die Konferenz-Teilnehmer kamen aus nationalsozialistischen Dienststellen, aber eben nicht nur. Auch zivile Staatsbehörden waren vertreten: darunter das Außenministerium, das Innenministerium und das Justizministerium.

Ein älterer Jurist in unserem Publikum konnte nicht begreifen, wie Behördenmitarbeiter, die von Berufs wegen dem Recht verpflichtet sein müssten, einen Völkermord nicht nur zuließen, sondern aktiv daran mitwirkten. Aus Untersuchungen über das Außenministerium sind vergleichbare Vorgänge bekannt.

Apparate und Menschen neigen zur Anpassung

Wie kann es passieren, dass komplexe staatliche Apparate so handeln, als sei das gesamte menschliche Grundverständnis der Mitarbeiter von Recht und Unrecht ausgeschaltet? Adolf Eichmann, der nach dem Krieg als einer der Hauptverbrecher vor Gericht stand, hatte versucht, sich mit Behördenlogik zu verteidigen. Er habe nur bestehende Gesetze und Regeln befolgt.

Apparate und Menschen neigen zur Anpassung, so Longerich. Es entstehe eine gefährliche Sogwirkung, wenn es keine Kontrolle mehr gäbe, keine öffentlichen Debatten über Ethik und Moral in der Gesellschaft, zum Beispiel in den Medien.

Die Verbindung zwischen dem Verwaltungshandeln im Nationalsozialismus und dem Hier und Jetzt scheint ungeheuerlich und doch beschäftigte sie die Besucher unserer Veranstaltung besonders. Um die Frage der menschlichen Verantwortung drehte sich ein Großteil der Debatte nach dem historischen Vortrag.

Verstecken wir uns?

Ich selbst arbeite in einer Behörde. Verstecken wir Mitarbeiter uns dahinter? Ich verstehe die Frage auch so: Hören Sie auf, die Person zu sein, die Sie sind? Setzen Sie Regeln um, die Ihren persönlichen Ansichten widersprechen, die aber von Amts wegen verlangt werden?  

Ein Teil der Antwort ist, ja. Und das ist auch gut so, denn festgelegte Verwaltungsabläufe sorgen unter anderem dafür, dass es keine willkürlichen Entscheidungen gibt, die auf den persönlichen Ansichten Einzelner beruhen. So gibt es für die gesamte Tätigkeit der Landeszentrale klare Regeln und Vorschriften. Ihre Aufgaben sind im Organisationserlass festgeschrieben. Daraus leitet sich die Unterstützung und Kontrolle durch ein Kuratorium ab, dem alle Parteien angehören, die im Landtag sitzen. Jeder, der einen Förderantrag bei uns stellt, kann sich auf eine Richtlinie berufen, die für alle Begutachtungen gilt. Und für die Webseite gibt es Kommentarregeln, die sowohl für die Mitarbeiterinnen als auch für die Nutzer bindend sind.

Gegen den Anpassungsreflex

Und dennoch bildet dieser Rahmen zugleich nur eine Seite im Alltag einer Behörde ab, denn Verwaltungshandeln ist immer auch menschliches Handeln. Zu diesem gehört die tägliche Suche nach dem richtigen Maß von Verwaltungslogik und menschlichem Ermessen.

Das Nachdenken darüber scheint mir ein wichtiger Schritt zu sein, um einem entgrenzten Anpassungsreflex von Apparaten und Menschen, vor dem Peter Longerich gewarnt hat, entgegen zu wirken. 

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Jana Steinke
© fbn
Dr. Jana Steinke ist stellvertretende Leiterin der Landeszentrale. Sie leitet den Bereich Webkommunikation/ Digitale Bildung und interessiert sich für Menschen und alles, was sie miteinander ins Gespräch bringt. Dafür reißt sie gern Barrieren ein. Leichte Sprache liegt ihr besonders am Herzen.

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