
Für die neuen Bundesländer werden in Zukunft die Erfahrungen der dritten Generation Ostdeutschlands, also der zwischen 1975 und 1985 Geborenen, von Interesse sein. Wie bewertet diese Generation ihre doppelte Sozialisation und welche Transformationserfahrungen hat sie gemacht?
Neue Supermärkte, rote Mountainbikes, schweigende Eltern – so empfand Andrea Hanna Hünniger die 90-er Jahre in Ostdeutschland. Wie nebenbei ist für die damals Fünfjährige die Mauer gefallen. Der Vater bekommt eine Hirnhautentzündung, die Mutter eine Umschulung. „DDR? Was ist das?“ fragt sie ihre Eltern, die stumm werden wie die Fische im Aquarium. Was sollen die großen Supermärkte, wenn die Eltern einem nie Süßigkeiten kaufen? Was immer der Sozialismus war, es schwingt etwas von Zahnarzt mit. Während die Eltern sich hinter den Plattenbaumauern verschanzen, erziehen die Kinder sich selbst zwischen der Kleingartensiedlung, die alle das „Paradies“ nennen und den Probierständen im Supermarkt, wo es den Helmut-Kohl-Gedenkkuchen gibt, den man mit der Verpackung essen kann.
Andrea Hanna Hünniger stellt mit diesem Buch Fragen, die viele ihrer Generation umtreiben. Im Unterschied zu den 68ern geht es ihr nicht um Schuld, sondern um Identität und Selbstverständnis. Sie fragt nach Gefühlen, Erlebnissen und Erfahrungen und entdeckt, dass diese wie Gegenstände weggeräumt wurden, ohne dass sie sagen konnte, ob sie diese für bewahrenswert hält. Es ist an der Zeit, diese Debatte jetzt zu führen.
Andrea Hanna Hünniger, geboren 1984 in Weimar, aufgewachsen in einem Plattenbauviertel, studierte Literatur, Geschichte und Philosophie in Göttingen und Berlin. Sie arbeitete als Chefredakteurin für ein Göttinger Stadtmagazin, schrieb als freie Autorin für die FAZ und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und ist heute Autorin für DIE ZEIT.
Teilen auf
Kommentare
KommentierenEine neue Richtung
Während der Lesung und der anschließenden Diskussion hat Andrea Hanna Hünniger gezeigt, dass unsere Generation - die Generation der 20-30 jährigen "Ostdeutschen"- vor neuen Fragen steht.
Die großen Fragen nach Recht und Unrecht, Chancen und Grenzen, Gewinnern und Verlierern wurden in den letzten zwei Jahrzenten oft gestellt und die Antwortsuche dauert an. Doch neben diesen Grundsatzdebatten ist Raum für Neues entstanden - Raum für die Suche nach der eigenen Herkunft, Identität und Zukunft trotz oder gerade wegen des Schweigens der Eltern, trotz oder gerade wegen der noch immer präsenten Ost-West-Kategorisierung vieler Lebensbereiche.
Wir haben außerdem die Chance, weniger emotional und unvoreingenommen über die Vergangenheit und den Status-Quo nachzudenken, als es vielleicht unseren Eltern und Großeltern möglich ist. Gleichzeitig sind wir aber nah genug dran, um uns mit Verständnis und Interesse dieser Aufgabe zu widmen. Frau Hünnigers Beitrag dazu folgen hoffentlich noch viele weitere.
Mit Spott
Andrea Hanna Hünniger las aus „Paradies“
Kommentar von Andrea Schneider in der PNN vom 27.01.12.
Wechseljahre
Andrea Hanna Hünniger und ihr Buch über die Jugend nach dem Mauerfall
Kommentar von Lars Grote in der MAZ vom 27.02.2012.
Kein Klischee bedient
Liebe Landeszentrale,
das war eine lebendige und turbulente Veranstaltung. Gut besucht, alle Altersklassen vertreten und Frau Huenniger hat kein Klischee bedient, sondern quer zu jedem Vorurteil agiert. Sehr gute Lesung, sehr eloquente Protagonistin... mehr zur und von der 3. ostdeutschen Generation auch zu Deutschland als Ganzes...
Das Land das mich geprägt hat gibt es nicht mehr
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/537446
Neuen Kommentar hinzufügen