Die Adligen kommen zurück

Heimat ist der Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist. Es entsteht eine Bindung, die meist ein Leben lang hält. Heimat, das sind Bilder, Erinnerungen und Gefühle, in denen oft Melancholie mitschwingt, vor allem dann, wenn etwas vorbei oder verloren ist.

Herbst im Havelland

Herbst im Havelland. Foto: Oliver Mark


Wirft man heute einen Blick auf die politische Landkarte Europas, so kann man allerorten sehen, dass Flucht und Vertreibung zu den prägenden Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gehörten. Betroffen waren unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen aus den verschiedensten  Gründen. Für die meisten ging die Heimat unwiederbringlich verloren. Einige wenige hatten nach dem Ende des Kalten Krieges die Chance zu einem Neuanfang am alten Ort. Wie groß müssen die Emotionen derjenigen gewesen sein, die ihr Elternhaus und die Landschaft ihrer Kindheit nach der Zwangspause von 45 Jahren wieder sehen konnten.

Gleich nach dem Mauerfall 1989 machten sich Mitglieder alter brandenburgischer Adelsfamilien auf den Weg, um die frühere Heimat zu besuchen. Was sie fanden, ähnelte in den meisten Fällen nicht dem, wovon Eltern und Großeltern immer erzählt hatten. Die Herrenhäuser und Schlösser waren, sofern noch vorhanden, meist in einem beklagenswerten Zustand, Parks verschwunden oder parzelliert und bebaut. Nie stimmte das reale Bild mit der Ansicht auf alten Fotografien oder Gemälden überein. Dennoch beschlossen einige, zurück zu kehren. Manche folgten dem „Marschbefehl der Ahnen“, andere zögerten zunächst und wagten doch das Abenteuer. Gemeinsam war allen, dass nicht Reichtum lockte oder der schnelle Erfolg wartete, sondern ein schwieriger Neubeginn.

Die Adligen kommen zurück

– dieser Satz löste bei der Mehrzahl der Ostdeutschen Anfang der 1990-er Jahre eine gedankliche Kettenreaktion aus, die eher in Ablehnung als in Zustimmung mündete. Die griffige Losung „Junkerland in Bauernhand“ schien auf alle Zeit in den Köpfen festgeschrieben zu sein.

Neben den Aufbauhelfern und Investoren kamen vor allem auch ehemalige Eigentümer, die ihre Ansprüche an Land und Immobilien anmeldeten. Die Regelung im Einigungsvertrag lautete in den meisten Fällen „Rückgabe vor Entschädigung“. Nicht so bei den Rückkehrern mit den adligen Namen. Bei ihnen bestimmten Rechtsbegriffe wie Bodenreform und Enteignung durch die Nazis und die Größe der Flächen den weiteren Gang der Dinge. Wer bleiben wollte, musste Land und Gebäude zurückkaufen und oft widrige Umstände, juristische Probleme und individuelle Verletzungen in Kauf nehmen.

Vor gut zehn Jahren berichtete die Berlin-Brandenburgische Geschichtswerkstatt in einer Ausstellung und Publikation über die „adeligen Rückkehrer“. Zehn Jahre später haben sich die Fragestellungen geändert. Was ist aus den Rückkehrern geworden? Wer blieb und warum? Was konnten sie bewegen? Ist die alte auch die neue Heimat? Gelang es, die Denkmuster über Junker, Privilegien und über Herrn Graf und Frau Gräfin zu durchbrechen?

20 Jahre sind kurz, wenn es um geschichtliche Dimensionen geht. Gemessen an einem Menschenleben sind zwei Jahrzehnte gleichwohl eine lange Zeit. Wer in jungen Jahren kam, ist heute Mutter oder Vater von Kindern, die inzwischen selbst fast erwachsen sind. Wer in mittleren Jahren kam, ist jetzt im Pensionsalter, allerdings nicht im „Ruhe“-Stand. Die Bilanz wird eher zu einer Zwischenbilanz, die den Blick zurück ebenso einschließt wie den Blick in die Zukunft. Verlässliche Zahlen, wie viele adlige Familien kamen und blieben, gibt es nicht. Genauso gibt es keine Erhebungen darüber, wie viel Land oder Forst sie kauften oder pachteten, wie viel Geld sie in den Wiederaufbau der Gutshäuser oder Schlösser steckten. 

Heimat Brandenburg. Foto: Oliver Mark

Heimat Brandenburg. Foto: Oliver Mark

Der ländliche Raum Brandenburgs ist geprägt vom demografischen Wandel. Sowohl Politiker als auch Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, darauf zu reagieren. Überall wird nach beispielgebenden Modellen gesucht, um das Leben in den schwach besiedelten Regionen lebenswert und attraktiv zu gestalten und den Menschen eine Perspektive zu geben. Dafür wird jede Idee, jede Hand gebraucht – in Vereinen, Parteien, Organisationen, in Kirchgemeinden oder anderswo. Dabei sind auch manche adlige Rückkehrer zu unverzichtbaren Trägern solchen Engagements geworden. Niemand von ihnen führt ein abgeschottetes Leben. Allen gemeinsam ist, dass sie auf ihre Nachbarn, auf ihre Gemeinde zugehen. Sie suchen den Kontakt, weil sie sich der Gemeinschaft verpflichtet fühlen. Ihre Häuser und Wirtschaftsgebäude, die Parks und Wälder sprechen von der Geschichte ihrer Familien und dieses Landstrichs. Sie sind Teil der Kulturgeschichte Brandenburgs und Deutschlands. Die Rückkehrer nehmen diese Verantwortung an.

In der Weimarer Republik wurden die Privilegien des Adels abgeschafft. Die adligen Titel blieben einzig Bestandteil des Namens. Doch die familiären Wurzeln, die Kultur und Tradition konnten weder gekappt noch beseitigt werden. Haltung, Ehre und Pflichtgefühl gelten weiterhin als erstrebenswerte Tugenden, nach denen gelebt wird. Die märkischen Landadligen waren damals konservativ, monarchistisch und allem Militärischen zugetan. Die Weimarer Republik lehnten sie mehrheitlich ab, dem Emporkömmling Hitler brachten sie zunächst wenig Sympathien entgegen, hofften aber mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf die Wiedererlangung alter Privilegien, auf wirtschaftliche Stabilität und die Anerkennung der Offizierswürden. Nach dem Krieg wurden besonders im Osten Deutschlands die Junker zu Steigbügelhaltern Hitlers erklärt und damit zu den Hauptschuldigen des Zweiten Weltkriegs. Ihre Enteignung und Vertreibung, selbst derjenigen, die am Widerstand gegen Hitler beteiligt waren, fand in der Sowjetischen Besatzungszone deshalb breite Zustimmung.

Immer stehen wir unter Beobachtung, müssen darauf gefasst sein, dass man bei uns genauer hinsieht. Wir können uns gar nicht leisten, unkorrekt zu sein“

sagt Rochus Graf zu Lynar und spricht damit wohl für alle Familien, die in der Ausstellung und im Begleitbuch porträtiert werden.

Der Fotograf Oliver Mark hat das Spezielle und Einzigartige jeder Familie gesucht. Seine Momentaufnahmen sind sorgfältig inszenierte, an alte Gemälde erinnernde Familienporträts, die die Erwartungshaltung des Betrachters gleichermaßen bedienen und brechen. Die ergänzenden Texte schrieb Martina Schellhorn nach Gesprächen mit zwölf adligen Familien in Brandenburg.


Brandenburgische Landeszentrale
für politische Bildung

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Wann begreift man es endlich: In Deutschland gibt es keinen "Adel" mehr! Nur manchmal noch Leute, die ein "von" , "Graf" etc. als NAMENSBESTANDTEIL haben.

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