Wenn man sich in einem Weblog mit der extremen Rechten befasst, ist es faktisch unmöglich, das Thema Verfassungsschutz nicht aufzugreifen.
Das liegt daran, dass der Verfassungsschutz seiner zugewiesenen Rolle im Konzept der „wehrhaften“ Demokratie nachkommen und bei der Bekämpfung von Terrorismus sowie verfassungsfeindlichem Extremismus dort tätig werden sollte, wo der Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörden endet. In der Realität scheint es aber so, als richte sich das „Schwert“ der „wehrhaften“ Demokratie gelegentlich gegen den, dem es eigentlich dienen sollte.
Zwei Beispiele:
NPD-Verbotsverfahren
Im Jahre 2003 scheiterte das NPD-Verbotsverfahren bekanntlich an der V-Leute-Problematik. Im Klartext: der Verfassungsschutz hatte Verbindungsleute aus dem inneren Zirkel der NPD mit dem Ziel angeworben, den Nachweis anzutreten, dass die Partei Verbindungen zum Rechtsterrorismus oder anderen gewaltbereiten Teilen der Szene unterhält. Dieser Nachweis wurde erbracht, das Verbotsverfahren eingeleitet und umgehend vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert. Das Grundgesetz bietet zwar (im Gegensatz zur Mehrzahl der westlichen Demokratien) die Möglichkeit eines Parteienverbotes (Art. 21 GG), knüpft dies aber an strenge Voraussetzungen. Nun braucht man kein Verfassungsrechtler zu sein um zu erahnen, dass es unter diesen Umständen schwer wird, eine Partei zu verbieten, wenn diese neuralgischen Positionen mit Personen besetzt sind, die monatlich einen Gehaltsscheck aus dem Innenministerium erhalten. Das Bundesverfassungsgericht schätzte die Zahl der V-Leute in den NPD-Parteivorständen auf zehn bis 15 Prozent. Bis heute kann man den gelegentlichen Ruf nach einem erneuten Verbotsverfahren getrost als Politposse abtun, solange sich an den Rahmenbedingungen nichts geändert hat.
NSU
Nun kann man das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren als Kollateralschaden verkaufen und sich im Gegenzug damit rühmen, durch V-Leute aus der Szene ansonsten unzugängliche Informationen über die Szene zu erhalten. Nur darf es einen Fall wie den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) dann nicht geben. Drei Neonazis nebst Netzwerk, die scheinbar unbemerkt über Jahre mordend durch Deutschland marodieren, lassen für mich nur zwei Schlüsse zu: Entweder: Der Verfassungsschutz hat nichts gewusst, dann wäre er obsolet. Oder: Wenn er davon wusste und nichts unternommen hat, wäre er ein Teil des Problems.
Mit dem Skandal im Skandal beschäftigt sich seit vergangener Woche ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Es geht um die Vernichtung von Akten mit Bezug zur NSU-Affäre, dies räumte das Innenministerium am Freitag ein. Die Motive dafür bleiben hingegen genauso unklar wie das, was in den Akten zu lesen war. Beängstigend für mich ist, wenn man sich überlegt, dass im Vergleich zu einer Veröffentlichung der Informationen der aktuelle Skandal scheinbar das kalkulierte kleinere Übel darstellt.
Das Problem mit dem Verfassungsschutz
Diese zwei Beispiele verdeutlichen, worin meiner Meinung nach das Problem mit dem Verfassungsschutz besteht. Der Bundesverfassungsschutz ist kein Verfassungsorgan, sondern lediglich eine Bundesbehörde, die einzig dem Innenministerium untersteht. Eine permanente und kritische parlamentarische Kontrolle findet hingegen nicht statt. Zwar hat der Bundestag die Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss zu bilden und so (theoretisch) Akteneinsicht zu erlangen, dies gilt aber nur für die Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und nicht für die der Landesämter (hier sind die Innenministerien der Länder zuständig). Zudem beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss auch nur mit dem einen speziellen zu untersuchenden Fall. Nun verhält es sich so: Der natürliche Feind der Geheimdienste ist die Transparenz und im Gegenzug gäbe es bei völliger Transparenz wohl keine Geheimdienste. Aber auch, wenn sie teilweise im Verborgenen agieren müssen, darf nicht der Eindruck entstehen, als handle es sich um einen Staat im Staate, für den keine Gesetze gelten. Die beiden von mir angeführten Beispiele legen aber eben diesen Schluss nahe.
„In jedem Fall sind hier endgültig die Grauzonen des Rechtsstaates erreicht, und welche seiner Grundsätze er dabei über Bord werfen, welche Kompromisse er eingehen muss um an die von ihm begehrten Informationen zu kommen, werden die meisten von uns lieber nicht wissen wollen.“ (Uwe Volkmann, APuZ 18-19/2012, S.21)
Was meint Ihr: Kann man den Verfassungsschutz überhaupt kontrollieren und wenn ja, durch wen? Ich halte sogar die Frage für legitim, ob es überhaupt eines Verfassungsschutzes bedarf, oder ob die Polizeibehörden bei entsprechender Ausstattung nicht ebenso ausreichen?
Brandenburger Weg
Ist der „Brandenburger Weg“ eventuell eine Alternative? Im Gegensatz zu manch anderem Bundesland hatte sich Brandenburg in der Vergangenheit bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht ausschließlich auf die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz verlassen. Vielmehr vertraute man hierfür auf ein Bündnis aus Strafverfolgung durch die Polizei, Staatsanwaltschaft und einem breiten gesellschaftlichen Bündnis aus Bürgergesellschaft und Politik. Auch wenn es Erfolge zu verzeichnen gibt, soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch diese Verfahrensweise im Kampf gegen den Rechtsextremismus auf dem Prüfstand steht. Erst jüngst und eher zufällig war die Polizei im Ruppiner Land (Herzberg) auf ein geplantes Schulungszentrum für Neonazis gestoßen. Auch die rechtsmotivierten Straftaten sind 2011 weiterhin auf einem hohen Niveau, wenn auch rückläufig. Zumindest scheint man das Problem erkannt zu haben, denn es wird öffentlich darüber diskutiert. Dies spricht zumindest schon mal für Transparenz.
Test
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Kommentare
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Der Kommentar von Gast am 19. November 23:31 wurde gelöscht, da er nicht den Kommentarregeln der Landeszentrale entsprach.
Podiumsdiskussion
Für Interessierte bietet sich am 22.08.2012 die Möglichkeit, über einige der in diesem Eintrag aufgeworfenen Fragen mitzudiskutieren: Der „Brandenburger Weg“ – Ein Auslaufmodell im Kampf gegen Rechtsextremismus?
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