Darum gerade ich

Warum die Bundestagswahl meine Wahl ist

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Ich bin Herr Punkt, ein so genannter Erstwähler, und bei mir dreht sich in den kommenden Wochen alles rund um meinen Weg zur ersten großen Wahl. Ich bin mitten im Packen, auf dem Weg nach Vietnam in den Urlaub. Von dort schreib ich ab nächste Woche aus Hanoi, der digitalen Revolution sei Dank. Jetzt aber noch ein paar erste Wahl-Gedanken aus Deutschland.

Wenn ich mich so umhöre, dann scheint es keine offensichtlichen Gründe für einen jungen Menschen zu geben, sich heutzutage für Politik zu interessieren. Würde das ein prominenter Politiker so direkt auf Facebook oder Twitter sagen, es wäre vermutlich um ihn geschehen. Derart hart und direkt will keiner unserer Volksvertreter in Erscheinung treten. Ein #Aufschrei wäre wohl die Folge: Hah, was erlaubt er sich (oder sie), so seine künftige Wählerschaft zu beurteilen.

Doch bin ich weder prominent, noch Politiker und habe daher keinen digitalen Shitstorm zu fürchten. Noch dazu schreibe ich weder aus Populismus, noch als parteipolitischer Stimmenfänger, sondern als 18-jähriger Abiturient, der am 22. September zur Bundestagswahl zum ersten Mal seine Kreuze setzen darf - wie Millionen andere auch. Dass es dazu auch wirklich kommt, ist aber noch lange nicht sicher.

Politik in Deutschland ist eine gesellschaftliche Wohlfühlmassage

Es gibt viele - meiner Meinung nach zu viele - junge Menschen, denen schlichtweg der Bezug zur Politik fehlt. Kein Wunder, könnte man da meinen. Politik in Deutschland, das bedeutet eine gesellschaftliche Wohlfühlmassage. Jedes noch so unbedeutende Thema wird in stundenlangen Debatten so lange zerkaut, bis es für uns keinen Zweifel an der "richtigen" oder "falschen" Sichtweise, an der "guten" oder "schlechten" Entscheidung mehr geben soll

Die Not, sich selbst einen Kopf über politische Probleme zu machen, gibt es für uns nicht. Warum auch? Leben wir doch in Deutschland, dem wahrscheinlich einzigen Land, welches die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise scheinbar mühelos und von nicht wenigen beneidet, überstanden hat. Im Gegensatz zu den Iren, Portugiesen, Spaniern, Griechen und den anderen krieselnden Eurostaaten haben wir keine wirkliche Krise zu spüren bekommen. Und so bleibt die wenig nützliche Erkenntnis, dass Politik mit seinen Entscheidungen für unser Leben zwar wichtig ist, von Popularität aber noch längst keine Rede sein kann.

Ach ja, die Geschichte: Wo für uns die Chance zur Wahl, zur politischen Mitbestimmung lediglich Beigabe des Älterwerdens ist, war es für Generationen unserer Eltern und Großeltern ein lang ersehntes und hart umkämpftes Gut und sehr wohl populär. Das hilft uns aber irgendwie auch nicht weiter. Dann eher schon das: Ägypten, Tunesien, Syrien... auch wen die Politik bislang wenig interessiert hat, wird durch die vielen Bilder aus der arabischen Welt erkannt haben, dass für die Chance zur Wahl auch noch heute buchstäblich Blut fließt.

Mit offenen Augen auch auf unsere Politik zu schauen, kann nie schaden. Denn es ist noch längst nicht jedes Problem gelöst. Dass die Menschen immer älter werden, betrifft doch vor allen anderen uns Junge. Wir sind es, die die Renten der Älteren zahlen müssen. Und auch wir sind es, die eines Tages einen Ausbildungs-, Studien- oder Arbeitsplatz erwarten, von unseren Kindern und Enkelkindern ganz zu schweigen.

Endlos ermüdende Bundestagsdebatten hin oder her. Ja, auch wir sind betroffen! Das wird euch nicht gefallen und mir gefällt es ebenso wenig, doch lässt sich daran nichts ändern. Aus dieser Tatsache seine Schlüsse zu ziehen, sei jedem selbst überlassen, doch kann ich es für meinen Teil nicht verantworten, dass andere die Entscheidung über meine Zukunft treffen. Niemand kennt unsere Probleme, Sehnsüchte und Wünsche besser als wir selbst. Das mag zwar nicht die ultimative Erkenntnis für ein "JA" zur Bundestagswahl sein, doch ein Anfang ist es ganz gewiss. Die Sieger und Verlierer dieser Wahl wird es geben - mit oder ohne uns.

Ich für meinen Teil will aber mit dabei gewesen sein.

Jetzt aber erst einmal: Byebye good old Germany and Xin chào Việt Nam ("Hallo Vietnam"). Das nächste Mal lest ihr am kommenden Montag (12.08.) von mir. Also seid gespannt!

Euer Punkt.

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Kommentare

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Hallo Herr Punkt,

erst einmal danke für Ihren Beitrag zu diesem Thema. Ein wichtiges Thema wie "Wählen" anzusprechen ist immer lobenswert, da es Menschen dazu bringt darüber nachzudenken.

Der Satz "Endlos ermüdende Bundestagsdebatten hin oder her." beschreibt doch die momentane Lage in Deutschland wirklich gut. Obwohl wir glücklicherweise in keinem Kriegszustand leben müssen und es auch keinen "Kalten Krieg" mehr gibt, kann man nicht sagen, dass es uns hier an Problemen oder Aufgaben mangeln würde. Das haben Sie auch teilweise angesprochen. Ich glaube, dass es sehr wohl Interesse an diesen Themen gibt bzw. jeder eine Meinung dazu hat, aber gerade diese "endlos ermüdenden Debatten" dazu führen, dass das Desinteresse an Politik immer mehr steigt und dass Politik immer mehr in Verruf gerät.

Ganz nach dem Motto:"nicht reden, sondern handeln".

Sie schrieben außerdem :"doch kann ich es für meinen Teil nicht verantworten, dass andere die Entscheidung über meine Zukunft treffen“.

Ist das nicht ein Widerspruch zur Realität? Indem man hierzulande wählen geht, entscheidet man sich zwar zwischen Schwarz und Rot, Gelb und Grün, aber letztendlich lässt man andere für sich entscheiden. Es gibt hier weder eine direkte Demokratie noch eine Verpflichtung der Abgeordneten sich auch nach der Wahl an ihr Wort zu halten.

Eine Umfrage darüber, inwiefern die Bürger dieses Landes noch Vertrauen in ihre Politiker haben, würde vermutlich noch düsterer als die aktuelle Wahlbeteiligung aussehen. Wer kann es Ihnen aber verübeln, wenn sich Spitzenpolitiker nach oder während ihrer politischen Arbeit von der Wirtschaft kaufen lassen (um mal ein paar prominente Beispiele zu nennen: "Umweltaktivist" Fischer: RWE/OMV etc., Schröder: Gazprom, Koch: Bilfinger) oder aber nicht ehrlich in ihrer Vergangenheit waren (Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis, Althusmann, Schavan etc.).

Natürlich kann man diese Beispiele nicht auf alle Poltiker in Deutschland beziehen, aber dass sogar oder gerade "Spitzenpolitiker" wie Fischer, Schröder oder Guttenberg dabei sind, sollte einem zu denken geben. Warum sollten man wählen gehen, wenn man  kein Funken Vertrauen in diese Personen hat?

Und was ist demokratischer? Wählen zu gehen oder nicht wählen zu gehen? Demokratie ohne Wahlen, funktioniert das überhaupt?

Nun, meines Erachtens dreht es sich in der Politik mittlerweile und ganz besonders zur Wahl  nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch um Machterhalt. Es wird nur dann das "richtige" angesprochen, wenn man nichts mehr falsch machen kann. Anscheinend kommen Politiker mit ihren Entscheidungen immer zu spät und erst dann, wenn diese Meinung gerade populär ist, sodass die Wiederwahl sicher ist.

Frau Merkel ist für mich ein gutes Beispiel. Sie sagt zu allem etwas, aber nichts Konkretes. Wo blieb in der NSA-Affäre die Empörung, wo bleiben die Konsequenzen? Wie sah es in der CDU im Bereich Umweltschutz vor Fukushima aus und wie danach? Für mich sind die anderen Parteien größtenteils aber auch nicht besser. Ehrlich gesagt bezweifel ich sogar, dass es große Unterschiede zwischen den jeweiligen Parteien gibt. Schwarz macht einen auf Grün und Rot erscheint mir auch alles andere als sozial.

Viele würde meine Ansicht wahrscheinlich als populistisch und realitätsfern betrachten, aber sehe das ganz anders. Solange man der "Wahrheit" nicht ins Auge blickt und die Misstände konkret anspricht, kann sich hier nichts verändern. Ich möchte aber nicht nur "die" Politik kritisieren, sondern auch die Bürger. Jene Bürger, die meinen es sei demokratisch und politisch genug, alle Vier Jahre ein Kreuz zu machen und sich dann nicht mehr mit Politik beschäftigen zu müssen. Es ist falsch seine Verantwortung mit einem Kreuz an "die Politiker" abzugeben und dann nach der Wahl meinen zu müssen, dass "die daran Schuld seien, dass in diesem Land so vieles schief laufe".

Nein, politisch engagiert und Demokrat zu sein, bedeutet für mich viel mehr sich auch nach der Wahl intensiv mit Themen auseinanderzusetzen und selbst aktiv zu werden. Das fängt damit an umweltbewusster zu leben (mehr Rad fahren, keine Plastiktüten kaufen, weniger Fleisch essen etc,) und hört vielleicht bei der Gründung/Teilnahme an Bürgeriniativen auf. Man muss nicht gleich eine Partei gründen, aber nur ein Kreuz zu machen und sich dann jeglicher Verantwortung freizusprechen, reicht bei weitem nicht.

Ich sage nicht, dass man nicht wählen sollte. Das ist jedem selbst überlassen, aber so wie es momentan aussieht, werde ich zumindest keinen der großen Parteien wählen, sondern -sofern es mir möglich ist- eine kleine Partei unterstützen und nebenbei weiterhin engagiert bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Buddha

 

 Hallo Buddha,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf meinen Beitrag.

Das "endlos ermüdene Bundestagsdebatten" zu politischem Desinteresse führen steht außer Frage. Fragwürdig ist eher, ob man an diesem Problem etwas ändern kann? Denn wo unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen sind Debatten um die bestmögliche Lösung unvermeidbar. Und umso komplexer und bedeutsamer das Thema und umso größer die Bevölkerungsgruppe auf die sich eine entsprechende Entscheidung auswirkt, desto länger dauern die Diskussionen. Ein Thema wie die Präimplantationsdiagnostik (PID) verlangt Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil sich viele Menschen möglichst gesunde Kinder wünschen, sondern auch, weil dies eine ethische Frage ist. Darf man in vitro erzeugte Embryos vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter auf Krankheiten untersuchen und im Krankheitsfall sterben lassen? Womöglich medizinischen Untersuchungen überstellen? Oder beginnt das Leben erst viel später?

Solche Fragen erfordern Zeit und dies ist letztendlich nur in unser aller Interesse. Anderseits gibt es auch Gesetze wie das HufBeschlagG (Hufbeschlaggesetz), welches unter anderem regelt, wer die Hufe von Pferden beschlagen darf. Für Sie und mich vielleicht egal, für die tausenden Pferdeliebhaber ein bedeutendes und mit vielen Sorgen verbundenes Thema. Sollten wir eine solche Minderheit einfach übergeben? Der Masse wegen? Themen nur diskutieren, wenn sie mindestens xx% der Bevölkerung interessieren? Hauptsache Geschwindigkeit? Ich denke nicht.

Wo die Politik diesem Desinteresse jedoch sehr wohl begegnen kann, ist bei dem auch von Ihnen angesprochenen Thema Vertrauen. Sicherlich kann man niemanden mit womöglich gewaltsamen Mitteln zwingen, sich an sein Wort, seine Versprechen zu halten, sehr wohl aber können wir den, der von seinem Versprochenen abweicht, mit einem Stimmentzug in einer kommenden Wahl quasi zur Rechenschaft ziehen. Denn jeder Politiker sollte daran interessiert sein, seinen Wählern zu gefallen. 

Das dies oft in Populismus mündet hat meiner Meinung nach auch mit der Frage zu tun, ob hundertprozentig realistische Versprechen einen Wahlerfolg ermöglichen? Jeder von uns hat Wünsche und Hoffnungen und wenn Partei xyz sagt, dass sie beispielweise Steuersenkungen verspreche, so gibt es nicht wenige, die dem Glauben schenken. Demnach sind es wohl unsere hohen Erwartungen in Kombination mit dem Willen der Politiker dem zu entsprechen, die letztendlich zu gebrochenen Versprechen führen. 

Ihre Gedanken der Modernisierung unserer Staatsform in Richtung plebiszitärer Demokratie sehe ich mit dem einfachen Problem behaftet, dass dem Großteil unserer Bevölkerung schlichtweg die Kompetenz fehlt, jede Thematik so zu verstehen, dass einjeder von uns fundiert für das Wohl aller entscheiden kann. Und dies kann man auch niemanden Übel nehmen, denke ich. Wer hat schon neben Beruf, Familie & Co. genügend Zeit um sich z.B. mit der Haushaltskonsolidierung zu befassen? Und wer will das überhaupt? 

Dies ist die Aufgabe der Parlamentarier, welchen wir durch die Wahl unsere legislativen Mitbestimmungsrechte übertragen. In Bezug auf Ihre Frage, ob Wählen oder Nicht-Wählen demokratischer ist, sollte man sich vor Augen führen, dass unsere parlamentarische Demokratie existenziell auf die Wahl von Abgeordneten angewiesen ist. Nur so und nicht anders kann diese Staatsform bestehen! Damit Demokratie ohne Wahlen funktionieren kann, müsste man wie bereits erwähnt unsere Staatsform, die in Artikel 38 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, ändern und müsste sich überlegen, wie man mit 80,5 Mio. Menschen auf anderem Weg zu einem größtmöglichen Konsens gelangen kann.

Was diejenigen betrifft, die meinen, dass mit dem lediglichen Ankreuzen die politische Partizipation getan sei, stehe ich voll und ganz hinter Ihnen. Eine Wahl kann nur ein Anfang sein. Wer von Politikern erwartet, das diese Entscheidungen zum Wohle aller treffen bzw. den eigenen Interessen entsprechen, der muss sich auch entsprechend äußern. Am effektivsten durch gesellschaftliches Engagement. Nicht umsonst führen Politiker Bürgersprechstunden, Podiumsdiskussionen u.Ä. durch. Ein gutes Beispiel ist der Film "Herr Wichmann aus der dritten Reihe".

Insgesamt liefert das, was Sie so ausführlich angesprochen hast, eine Menge politischen Sprengstoff und ich kann Ihnen versprechen, dass ich auf einiges im Laufe meines Blogs eingehen werde. Daher freue ich mich über Ihr politisches Interesse und hoffe dich sie auch bei meinen kommenden Beiträgen als kritischen Kommentator begrüßen zu dürfen. 

Sollte Ihnen daran liegen, ausführlicher über diese und andere Themen zu diskutieren, so lade ich Sie recht herzlich zu der Veranstaltung ""Ich mag Euch nicht". Judenfeindschaft heute" am Mittwoch (07.08.) um 18 Uhr ein (näheres im Veranstaltungskalender). Dort finden Sie mich auch und davor oder danach ist sicher noch Raum für ausführlichere Diskussionen ;).

Ansonsten hoffe ich auf Ihre Reaktion,

ihr Punkt.

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