Der Begriff von der „national befreiten Zone“ tauchte erstmals Anfang der 90er Jahre auf und meint eine Strategie, nach der der öffentliche Raum anzueignen und zu dominieren sei. Zumindest theoretisch gehört die „national befreite Zone“ neben den sog. „Kameradschaften“ und der „Anti-Antifa“ fest ins Repertoire der neonazistischen Agenda. Um allerdings der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit Rechnung zu tragen, wird in der Literatur häufig der Begriff von der „Angstzone“ verwendet.
An einem Beispiel aus Rathenow lässt sich illustrieren, was der Begriff von der „Angstzone“ meint:
„18.02.2007 » Rathenow / Havelland
Rathenow: In der Nacht zum Freitag, gegen 4 Uhr morgens, griffen zwei stadtbekannte Neonazis zwei der alternativen Szene angehörige Jugendliche an. Die Betroffenen hatten es abgelehnt, den Angreifern Bier abzugeben. Die beiden Opfer mussten sich ambulant behandeln lassen. (Quelle: Antifajugend Premnitz )“ (www.opferperspektive.de; eingesehen am 10.05.08)
Was der Verein Opferperspektive hier berichtet, verdeutlicht die Verrohung eines Milieus, bei dem in der strafrechtlichen Praxis oft schwer zu trennen ist zwischen gewöhnlicher Kriminalität und rechtsextremer Tat. Angesichts einer besonders sadistischen Quälerei durch Täter aus dem rechtsextremen Milieu hatte in 2004 der Frankfurter (Oder) Staatsanwalt Michael Neff von einer Gewalteskalation gesprochen, die gegenüber Außenstehenden nur schwer zu erklären sei. Es gäbe Täter, bei denen die Grenze zwischen rechtsextremer und „gewöhnlicher“ Straftat im Einzelfall nur schwer auszuloten sei. (1)
Eckart Osborg beschrieb „Die Bedeutung der Nazi-Ideologie“ auf solcherart gestörte Persönlichkeiten. Neben anderen ist die Funktion von Ideologie zur „Rechtfertigung von Gewalt“ hervorzuheben. Sie stellt nicht nur sämtliche Werte auf den Kopf, sie verkehrt darüber hinaus die Täter-Opfer-Beziehung in ihr Gegenteil.
„Die aus gestörten Sozialisationsprozessen herrührenden dissozialen inneren Haltungen, denen sonst soziale Ächtung droht, erscheinen nun nicht mehr als ein Problem, welches sie lebensgeschichtlich bewältigen müssen, sondern als positive Haltung, als ‚Lösung’ des (politischen/sozialen) Problems. Die Täter stilisieren sich zum ‚Opfer’ um, wenn sie dabei von staatlicher Repression betroffen werden.“ (2)
In dem konkreten Fall liefert die Forderung nach Bier durch die Täter nur den Anlass: Sie dient ihnen einerseits zur Feststellung ihres Anspruchs auf ein angestammtes Revier, andererseits zur Auslotung der (körperlichen) Machtverhältnisse zu ihrem Opfer. Gibt dieses der Demütigung nach, und ist durch diesen Akt festgestellt, wer den Machtanspruch erheben kann, dann kann der Täter sich mit der Unterwerfung des Opfers unter seinen Willen (der Bierübergabe) zufrieden geben. Freilich ist es Wesensmerkmal solch asozialer Persönlichkeiten, dass ihr Verhalten gänzlich unberechenbar ist. Denn das Eingeständnis der Schwäche, das in den Augen des Täters in dem Unterwerfungsakt der Bierübergabe liegt, mag genauso gut zum umgekehrten Verhalten und damit zum Übergriff auf das Opfer führen. Hier kommt die Rechtfertigungsfunktion der Ideologie zum Tragen.
Als etwa das Opfer des sog. „Potzlow-Mordes“ nach stundenlangen Quälereien seinen Peinigern klein beigibt und eingesteht, er sei „Jude“, führte das geradewegs zur mörderischen Enthemmung seiner Peiniger. (3) Solche Mechanismen greifen insbesondere immer dann, wenn das Opfer im ideologisch grundierten Wahn der Täter vermeintlich eines der zahlreichen Feindbilder erfüllt – als „Jude“, als „Ausländer“ oder anderweitig Fremder, als „linke Zecke“, als „Schwuler“ usw. usf.
Diese Unwägbarkeit im Verhalten rechtsextrem motivierter Gewalttäter führt an Orten, wo Rechtsextremisten bzw. rechtsextrem auftretende Jugendcliquen regelmäßig verkehren, dazu, dass solche Orte von Außenstehenden als ausgesprochen bedrohlich wahrgenommen werden. Das ist es, was der in der Literatur verwendete Begriff von der „Angstzone“ meint.
Für die tiefe Verunsicherung und die Gefährdungswahrnehmung ist es nicht notwendig, dass an Orten, wo sich rechtsextrem beeinflusste Cliquen aufhalten, de facto Gewalt ausgeübt wird oder wurde. Denn angesichts der Unberechenbarkeit des Verhaltens rechtsextremer Akteure, der Beliebigkeit der Feindbilder und insbesondere der tatsächlichen Rohheit rechtsextrem motivierter Gewalt (4), stellt der Aufenthalt hier ein grundsätzlich unwägbares Risiko dar. Oft genug rechtfertigen die Täter im Nachhinein ihre Tat mit Sprüchen wie „Selbst Schuld! Was hatte das Opfer auch bei uns zu suchen!“ und damit, dass die bloße Anwesenheit des Opfers als unerträglich und provokant empfunden worden sei.
Es genügen also einschlägiges Auftreten oder auch nur Graffitis, Aufkleber und Plakate, die an prägnanten Orten angebracht sind, um Bedrohungspotential freizusetzen. Der brandenburgische Verfassungsschutzbericht für 2007 bleibt zum Thema „National befreite Zone“ bzw. „No-Go-Areas“ recht vage: Er berichtet ausschließlich von Plakaten, die die Stadt Guben zur „national befreiten Zone“ erklärt hatten, sowie von einem „pathetischen“ Strategiepapier des Eberswalder Neonazis Rene Herrmann. (5) In einer Stellungnahme des brandenburgischen Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2001 heißt es:
„Ein solches demonstratives Revierverhalten rechtsextremistisch orientierter Jugendcliquen wird auf vielen öffentlichen Plätzen in Brandenburg und anderswo in Ostdeutschland wenigstens zu bestimmten Zeiten beobachtet.“ (6)
Diese Einschätzung dürfte bis heute gültig sein, insbesondere überall dort, wo einerseits rechtsextrem motivierte Straftaten begangen werden und andererseits wo Rechtsextremisten öffentlich auftreten.
Jan Buschbom / Violence Prevention Network e.V.
Oktober 2008
2) Eckart Osborg: Der konfrontative Ansatz der subversiven Verunsicherungspädagogik in der Präventionsarbeit mit rechten und rechtsorientierten Jugendlichen (in: J. Weidner, R. Kilb (Hrsg.): Konfrontative Pädagogik. Konfliktberatung in Sozialer Arbeit und Erziehung. Wiesbaden 2004. S. 165 - 181). S. 174. Vgl. hierzu auch: "Nur Soldat!"
3) Andres Veiel: Der Kick. Ein Lehrstück über Gewalt. Bonn 2007. S. 142ff.
4) Vgl. bspw. "Nur Soldat!"
5) Ministerium des Innern des Landes Brandenburg. Referat V/2 (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2007. Potsdam 2008. S. 89f.
6) „National befreite Zonen“ – Kampfparole und Realität; eingesehen am 20.05.08
Teilen auf