Viele Kommunen haben inzwischen langjährige Erfahrungen mit extrem rechten Mandatsträger/innen und verschiedene Strategien des Umgangs wurden erprobt. Welche sind erfolgversprechend?
Es gibt kein Patentrezept für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus inner- und außerhalb der kommunalen Gremien. Dafür sind die Gegebenheiten vor Ort, das Agieren der extremen Rechten und die Verfasstheit der kommunalen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zu unterschiedlich. Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich jedoch zumindest Gelingensbedingungen für einen als erfolgreich empfundenen Umgang mit extrem rechten Mandatsträger/innen formulieren – insbesondere im Umfeld von Kommunalwahlen.
Vor der Kommunalwahl
Eine gemeinsame Problemdefinition erarbeiten
Eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem lokalen Rechtsextremismus erfordert eine gemeinsame Problemanalyse. Dafür ist es sinnvoll, nicht nur die extrem rechten Akteure und ihre Aktivitäten zu betrachten, sondern auch ein gemeinsames Verständnis von Rechtsextremismus und dessen zentralen ideologischen Inhalten zu entwickeln.
Verständigung unter den demokratischen Kräften
Die Verständigung über das Problem des Rechtsextremismus und eine inhaltliche Analyse dessen seitens der demokratischen Kommunalpolitik sind zwingende Voraussetzungen dafür, die Auseinandersetzung um demokratische Werte angesichts einer Pluralisierung der extrem rechten Parteienlandschaft führen zu können.
Kontakt zu lokalen Kooperationen und Bündnissen aufnehmen
Breite Bündnisse, in denen neben demokratischen Parteien und Vertreter/innen von Behörden und Verwaltung auch zivilgesellschaftliche Initiativen, religiöse Institutionen, Migrant/innen-Organisationen und Gewerkschaften vertreten sind, ermöglichen einen breiten Konsens gegen Rechtsextremismus. Kommunalpolitiker/innen haben eine Schlüsselstellung bei der Initiierung solcher Bündnisse.
Klare Positionen beziehen
Im Wahlkampf kann eine gemeinsame Erklärung aller demokratischen Parteien dazu dienen, sich gegenseitig gewisse Mindeststandards zuzusichern und diese auch nach außen zu kommunizieren. Eine deutliche Positionierung lokaler Entscheidungsträger/innen setzt wichtige Signale in der Kommune und verleiht gemeinsam erarbeiteten Erklärungen und Handlungskonzepten die erforderliche Legitimität.
Direkt nach der Wahl
Zusätzliche NPD-Mandate in Kommunen
62.470 Stimmen erreichte die NPD bei den Kommunalwahlen 2014 in Brandenburg. Die Neonazipartei wird mit insgesamt 19 Mandaten in alle 13 Kreistage einziehen, für die sie kandidiert hat. Der Aktionsbündnis-Vorsitzende ruft demokratische Abgeordnete auf, der NPD in den Kommunalparlamenten geschlossen entgegen zu treten.
Verbindliche Vereinbarungen zum Umgang mit den extrem rechten Verordneten treffen
Spätestens nach dem Einzug extrem rechter Verordneter in das kommunale Gremium müssen sich die demokratischen Kräfte über den Umgang mit diesen verständigen. Dafür gibt es verschiedene erprobte Modelle aus den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie aus zahlreichen kommunalen Gremien. Unerlässlich ist die Vereinbarung, Anträgen der extremen Rechten nicht zuzustimmen, um ihnen keinen politischen Gestaltungsspielraum zu eröffnen.
Die Ächtung der extremen Rechten öffentlich begründen
Auch wenn Anfragen, Anträge und Wortbeiträge extrem rechter Mandatsträger/innen teilweise keinen ideologischen Inhalt haben, gehören sie zur politischen Strategie der Normalisierung und werden in der Regel durch menschenverachtende Äußerungen derselben politischen Kräfte an anderer Stelle ergänzt. Demokratische Kommunalpolitiker/innen können darauf verweisen und ihre ablehnende Haltung somit nachvollziehbar begründen.
Extrem rechte Akteure versuchen sowohl in den Gremien als auch in eigenen Publikationen, den ausgrenzend ignorierenden Umgang als undemokratische Praxis zu kennzeichnen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Öffentlichkeit in Bezug auf die kommunalen Gremien (Übertragung per Livestream u.ä.) sind Gegenreden und Klarstellungen von Vertreter/innen der demokratischen Fraktionen unbedingt notwendig, um die extrem rechte Selbstdarstellung nicht unwidersprochen zu lassen.
Handlungsmöglichkeiten der Sitzungsleitung nutzen
Die Sitzungsleitung kann allein durch die von ihr gewählten Anredeformen die Geschlossenheit der Demokrat/innen zum Ausdruck bringen. Vor dem Hintergrund der Klagefreudigkeit extrem rechter Mandatsträger/innen sind Rechtssicherheit und genaue Kenntnisse der Regeln wie Geschäfts- und Kommunalverordnungen wichtige Voraussetzungen.
Formaljuristische Umgangsformen
Es sollte genau abgewogen werden, ob formelle Mittel der Einschränkung von Handlungsspielräumen für die Auseinandersetzung tatsächlich notwendig sind. Das Heraufsetzen parlamentarischer Hürden ist immer auch mit einem Abbau von Rechten und demokratischen Standards verbunden und schadet den kleineren demokratischen Parteien und Wählervereinigungen.
Zuständigkeiten klären
Vielfach obliegt es Einzelpersonen in den Fraktionen, eine Reaktion auf parlamentarische Initiativen der extremen Rechten „anzumelden“ oder einzufordern. Hier ist es empfehlenswert, die Zuständigkeiten innerhalb der Fraktionen zu klären und eine/n Sprecher/in zu ernennen – ohne damit das Thema wegzudelegieren.
Der persönliche Umgang
Der persönliche Umgang mit extrem rechten Mandatsträger/innen wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Es sollte jedoch klar sein, dass auch alltägliche Gesten der Höflichkeit dem Ziel der extremen Rechten entgegenkommen, als „normale“ politische Kraft akzeptiert zu werden.
Externe Perspektiven einbeziehen
Gut vorbereitete Zurückweisungen extrem rechter Initiativen in den Gremien erreichen eine größere Öffentlichkeit, wenn sie medial aufgegriffen werden. Schriftliche Ausarbeitungen und Hintergrundinformationen für Journalist/innen bieten eine gute Möglichkeit, anlassbezogen eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, auch externe Redner/innen im Gremium zu Wort kommen zu lassen.
Was tun bei abweichenden geheimen Abstimmungsergebnissen?
Eine öffentliche Skandalisierung einzelner Stimmen demokratischer Vertreter/innen für Initiativen der extrem rechten Parteien ist wenig hilfreich. Vielmehr empfiehlt es sich, den parteiinternen sowie -übergreifenden Austausch über den lokalen Umgang zu suchen und den demokratischen Konsens zu erneuern.
Auf eine Debatte wird von Kommunalpolitiker/innen oft verzichtet, weil die Einigkeit im Umgang mit Rechtsextremismus gefährdet sein könnte, wenn Streit aufkommt. Befürchtet wird die Kontroverse um Positionen, die von Vertreter/innen demokratischer Parteien geäußert werden und die für andere als anschlussfähig an Rechtsaußen-Positionen eingeschätzt werden. Dies betrifft z.B. Themen wie Asyl und Einwanderung oder Gedenkkultur.
Die größte Herausforderung besteht daher darin, trotz inhaltlicher Differenzen der demokratischen Parteien einen tragfähigen demokratischen Konsens in den Kommunen – auch über die Kommunalpolitik hinaus – zu erarbeiten. Dieser sollte sich nicht nur gegen extrem rechte Parteien, sondern vor allem gegen die dahinterstehenden Ideologien der Ungleichwertigkeit richten.
Dauerhaft
Die Studie mit Ergebnissen und Handlungsempfehlungen kann kostenlos bei der Friedrich-Ebert-Stiftung bestellt oder als PDF gelesen werden.
Auf extrem rechten Aktivitäten reagieren
Rechtsextreme Aktivitäten sollten in der Kommune nie unwidersprochen bleiben. Bei extrem rechten Aufmärschen ermöglichen breite Kooperationen, die Zielsetzungen der Gegenaktivitäten aufeinander abzustimmen und dadurch auch am Tag des Protests selbst eine gute Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen wie der Polizei, der Verwaltung, den Parteien und den zivilgesellschaftlichen Akteuren zu gewährleisten.
Neue Formen der Beteiligung erproben, um die lokale Demokratie zu stärken
Kommunalpolitiker/innen sind vielerorts mit einem mangelnden Interesse an kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen konfrontiert. Kommunen sollten ihre Spielräume nutzen, neue Formen der politischen Beteiligung auszuprobieren, bei denen es nicht allein um Mitsprache, sondern auch um Entscheidungsrechte geht, die für die Politik verbindlich sind. Konzepte von Bürgerbeteiligungen werden auf kommunaler Ebene nicht nur intensiv diskutiert, sondern auch von extrem rechten Parteien für sich in Anspruch genommen. Eine vorausschauende und offensive Bearbeitung lokaler Problemlagen ist daher eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich extrem rechte Akteure bei lokalen Konflikten nicht als alleinige Fürsprecher/innen inszenieren können.
Flächendeckende Präsenz demokratischer Parteien
Demokratische Parteien stehen in der Verantwortung, mit Angeboten flächendeckend präsent zu sein, insbesondere dort, wo Parteistrukturen nicht (mehr) bestehen. Die Angebote können temporär sein, sollten allerdings nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs stattfinden.
Vorausschauende Bearbeitung lokaler Problemlagen
Es ist ein immer wieder kehrendes Problem, dass extrem rechte Verordnete als Erste reale Missstände in einer Kommune ansprechen und sich damit als Interessenvertreter/innen positionieren. Um dies zu vermeiden, müssen demokratische Parteien nah an den Sorgen der Bürger/innen sein und diese frühzeitig aufgreifen.
Am Ende gilt: Eine gute Kommunalpolitik im Interesse der Bürger/innen ist auch eine erfolgreiche Prävention gegen Rechtsextremismus.
Quelle: Vera Henßler, Ulrich Overdieck, Vor Ort entscheidet. Kommunale Strategien gegen Rechtsextremismus. Hrsg.: Dr. Ralf Melzer und Dr. Dietmar Molthagen für die Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. Forum Berlin/Politischer Dialog, 2014
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Kommentare
KommentierenIgnorieren, isolieren, integrieren
Kommunen im Kreis gehen unterschiedlich mit NPD-Abgeordneten um
„Jede Kommune hat ihren eigenen Weg, mit den NPD-Leuten umzugehen“, sagt Gabriele Schlamann vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (MBT). Es gebe Stadtverordnetenversammlungen, in denen Erklärungen zur Abgrenzung verlesen werden, anderswo würden NPD-Männer ignoriert oder die Sitzungordnungen geändert. „Die Frage ist immer, wie demokratisch gesinnte Menschen mit denen umgehen, die die Demokratie abschaffen wollen“, so Schlamann. Eine pauschale Antwort gebe es nicht, schließlich gebe es auch Gründe, warum die NPD-Leute gewählt worden seien. Städte wie Hennigsdorf, Kremmen oder Oberkrämer hätten Schlamann und ihren Kollegen Nico Scuteri bereits eingeladen und sich Tipps geben lassen, wie man mit den NPD-Leuten umgeht. Auch die Veltener Verwaltung wird Schlamann demnächst besuchen. „Wir lassen uns gerne beraten“, so Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner. [...]
Auszug aus dem Beitrag von Marco Paetzel in der MAZ vom 30.07.2014
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