Der "Wilde Westen"

Jedes Jahr pilgern Tausende aus Berlin und Brandenburg in Westernstädte, Saloons, Cowboy-Clubs und Karl-May-Festivals. Sie beweisen damit die ungebrochene Anziehungskraft eines US-amerikanischen Mythos, des Mythos vom "Wilden Westen". Mit seinen spannenden Geschichten von mutigen Cowboys, edlen "Indianern" und heroischem Kampf mit den Widrigkeiten der Natur ist der "Wilde Westen" der vermutlich weltweit erfolgreichste Expostschlager der US-amerikanischen Kulturindustrie. Um während des Kalten Krieges der Faszination dieses Mythos etwas Eigenes entgegenzusetzen, sah sich die sowjetische Filmproduktion veranlasst, ein verwandtes, aber eben politisch korrektes Produkt zu entwickeln, den sog. "Eastern" (И́стерн).

In einer kritischen Diskussion von Formaten wie "12 Uhr mittags" (1952), dem Italo-Western und den neueren Produktionen von Quentin Tarantino soll gezeigt werden, dass sich hinter dem populären Mythos oft ein Gesellschaftsmodell mit durchaus auch problematischen Inhalten und Idealen verbirgt. Zu der in Westeuropa weit verbreiteten Mantra "Gewalt ist keine Lösung" liefert der Mythos vom "Wilden Westens" programmatisch das Gegenmodell, eine Kultur der Gewalt, in der die Ausübung von Zwang, die Macht des Stärkeren, ja sogar die Lust am Töten nicht nur eine, sondern oft die Lösung zu sein scheint. Dass eben dieses archaische Weltbild, auch was die Rolle von Frauen angeht oder den Umgang mit dem kulturell Anderen, weltweit und besonders auch in Deutschland auf ein bereitwillig aufnahmebereites Publikum trifft, wirft beunruhigende Fragen auf und lädt dazu ein, eigene Vorlieben, auch in den Bereichen Freizeit und Unterhaltung, kritisch zu hinterfragen.

Ziel des Vortrags ist es also zu zeigen, dass auch Unterhaltung eminent politisch ist, dass sie Meinungen und Verhaltensweisen begünstigt, die nicht immer den Idealen einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft entsprechen.