Die von Winston Churchill in seiner Rede über den „Eisernen Vorhang“ von 1946 konstatierte Teilung Europas war die einschneidendste Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie zerriss den gesamten europäischen Kontinent, teilte Deutschland und die Stadt Berlin. Die europäischen Länder gruppierten sich in ideologische Lager und bildeten zwei Blöcke, die sich – in gegnerischen Bündnissen organisiert – feindlich gegenüberstanden. In der umfassenden Auseinandersetzung zweier „Supermächte“ mit konkurrierenden und bis
zum Ende unvereinbaren Gesellschaftsentwürfen standen die von der Sowjetunion dominierten kommunistischen Diktaturen, deren utopischer Anspruch durch den GULAG widerlegt wurde, den von den Vereinigten Staaten angeführten kapitalistischen Demokratien gegenüber, welche –
manchen Unduldsamkeiten zum Trotz – westliche Freiheitsvorstellungen vertraten. Die rasante Dynamik der Auseinandersetzungen lässt sich nur zum Teil aus den zutreffenden oder verfehlten Wahrnehmungen der jeweiligen Gegenseite erklären. Ebenso war dafür auf beiden Seiten der
Wille verantwortlich, die als existentiell verstandene auseinandersetzung siegreich zu Ende zu führen: Der Kalte Krieg sollte gewonnen werden.
Da sich der Konflikt auf verschiedenen Kontinenten gleichzeitig entwickelte, war er prinzipiell global, auch wenn sich bis 1961 die großen Konfrontationen in Europa ereigneten. Während sich Westeuropa mit Montanunion und EG wirtschaftlich mehr und mehr integrierte, gelang
dieser Prozess mit dem COMECON nur teilweise. Osteuropa war damit bis zum Zusammenbruch des Kommunismus vom Zusammenwachsen des Kontinents abgeschnitten. Die Krisen von 1948 und 1958-1961 sowie der Bau der Berliner Mauer machten die frühere deutsche Hauptstadt zum Symbol dieser Auseinandersetzung. Aufgrund des Viermächtestatus verdichtete sich hier der Konflikt.
Nach dem Ende der fast 45jährigen Konfrontation zwischen 1947 und 1991 geht es um die Historisierung des Gesamtkonflikts jenseits der Feindbilder, die der Kalte Krieg bis heute in den Köpfen hinterlassen hat. Diese werden nicht zuletzt dadurch beeinflusst, dass noch immer
die Mehrheit der Bevölkerung den Konflikt selbst miterlebt hat. Die Öffnung der sowjetischen Archive hat es inzwischen ermöglicht, stärker zwischen der propagandistischen Polemik und den tatsächlichen Abläufen zu unterscheiden. Gleichzeitig hat die Schuldfrage in der Retrospektive
an Gewicht verloren und so einen weniger aufgeregten Umgang mit dem Kalten Krieg – als einem interaktiven Prozess ungleicher Antagonisten – möglich gemacht. Der bedrohliche Charakter der Auseinandersetzung gerät langsam in Vergessenheit, erscheint die Epoche im Nachhinein doch als von einer überraschenden strukturellen Stabilität geprägt. Auch ist
neben dem konventionellen und atomaren Wettrüsten die kulturelle Dimension der Auseinandersetzung als ideologischer Wettbewerb der Loyalitäten zwischen dem so genannten „Lager des Friedens“ und der „Freien Welt“ stärker ins Blickfeld gerückt.
Konrad H. Jarausch, Februar 2009
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