Zum 20. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Truppen zeigt die Landeszentrale die Fotoausstellung "Lebe wohl Deutschland". Detlev Steinberg porträtierte 1992-94 russische Soldaten und Offiziere, Andreas Franke fotografierte die verlassenen Kasernen in Wünsdorf.
Ein fröhliches, zugewandtes Lachen findet sich selten. Meist blicken die Soldaten freundlich, aber zurückhaltend in die Kamera. Vielleicht auch misstrauisch und ein wenig verwundert. Dass deutsche Fotografen plötzlich die Kasernen der sowjetischen Streitkräfte besuchen dürfen, ist eine Besonderheit. Nie zuvor in der fast 50 Jahre währenden Besatzungszeit war das möglich.
Erst mit der Friedlichen Revolution hatte auch Detlev Steinberg die Chance, in Wünsdorf zu fotografieren und zu dokumentieren, was später als „Abzug der Russen“ Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat. Die von 1992 bis 1994 entstandenen und inzwischen historisch zu nennenden Aufnahmen zeigen, wie die sowjetische Besatzungsmacht das Land der Besiegten verlässt. Es sind Fotos, die den organisatorischen Kraftakt begleiten, als innerhalb von knapp vier Jahren mehr als 500.000 Soldaten, Offiziere und deren Angehörige samt Panzern, Waffen, Munition und allen beweglichen Gütern in die Heimat zurückgeführt wurden. Vor allem aber sind es Bilder, die den Einzelnen zeigen und ihn herausheben aus den Tausenden, die die letzten sind, die auf deutschem Boden ihren Militärdienst absolvieren.
Hintergrund
Befreier, Besatzer, Freunde
Bilder der Erinnerung
Presse
20 Jahre nach Abzug: Noch 161 sowjetische Liegenschaften
(MOZ, 3.03.14)
Fremde Freunde
(ND, 8.03.14)
Wer heute 40 und älter ist und in der DDR lebte, erinnert sich genau an die „Russen“. Offiziell und öffentlich wurden sie so nie genannt. Man sprach – oft mit ironischem Unterton – von den „Freunden“, was allerdings nur Behauptung und keine praktizierte Realität war. Ihre Kasernen waren allgegenwärtige, abgeschirmte und gut bewachte Areale. Die, die dort ihren zunächst dreijährigen, ab Mitte der 1970er-Jahre zweijährigen Dienst absolvierten, traten, wenn überhaupt, im DDR-Alltag nur als Gruppe auf. Stets in Begleitung eines Offiziers fielen die sehr jungen Männer in ihren derben, immer etwas zu groß wirkenden Uniformen auf.
Beliebt bei der DDR-Bevölkerung waren die Auftritte des Alexandrow-Ensembles, dem kulturellen Aushängeschild der sowjetischen Streitkräfte. Ob Kalinka-singender Männerchor oder temperamentvolle Tanzdarbietung – das sowjetische Kulturensemble wurde immer begeistert gefeiert. Zu persönlichen Begegnungen kam es aber nur bei organisierten, stets von Dolmetschern begleiteten Treffen, die im Namen der 1947 gegründeten Gesellschaft für Deutsch-sowjetische-Freundschaft stattfanden. Es waren gut gemeinte, jedoch oft von peinlicher Förmlichkeit gekennzeichnete Pflichtveranstaltungen. Jeder private Kontakt zwischen Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte und der DDR-Bevölkerung war untersagt.
Die Soldaten auf den Fotos haben die offiziellen Freundschaftsbemühungen nicht mehr erlebt. Als Steinberg sie porträtierte, hatte die DDR gerade aufgehört zu existieren und erst jetzt, in Zeiten des Umbruchs und der Neuordnung, war ein Kennenlernen möglich, entstanden manchmal auch Freundschaften zwischen Deutschen und Russen. Einen gemeinsamen Abschied mit den Westalliierten gab es nicht, zu verschieden waren die politischen Positionen. Der zwischen Bonn und Moskau vereinbarte Abzug wurde deshalb von russischer Seite als demütigend empfunden und als „Abzug zweiter Klasse“ bezeichnet.
Die porträtierten Soldaten sind die letzten der Truppe. Sie sind die, die aufräumen, abreißen, abbauen, auseinandernehmen und zerlegen müssen, was an Militärtechnik nach Russland mitgenommen wird. Später werden die Ostdeutschen auf rund 290.000 Hektar ein problematisches Erbe antreten: Böden, die verseucht und vergiftet sind, Restmunition, Berge von Munitionshülsen und Schrotthaufen, die sortiert und entsorgt werden müssen. Die Unterkünfte, ramponiert und riesig, werden nur schwer neue Mieter finden. Auch in Wünsdorf, dem sowjetischen Machtzentrum und militärischen Hauptquartier in Deutschland, bleiben nach dem Abzug viele Gebäude leer.
Als die russischen Streitkräfte Deutschland verließen, war Andreas Franke 17 und lebte in Berlin. 2001 zog er nach Wünsdorf und war fasziniert von den Gebäuden, die in der Kaiserzeit errichtet und bis 1994 militärisch genutzt worden waren. Ab 2003 begann er, den morbiden Zustand dieser Häuser zu dokumentieren.
Seitdem lässt ihn das Thema nicht mehr los, so dass er zum Chronisten des fortschreitenden Verfalls geworden ist. Die von ihm fotografierten Räume zeigen sich dem Betrachter zunächst nur leer und kaputt. Dann aber beflügelt der Anblick die Fantasie und die in Resten vorhandenen Farben, Bilder und Beschriftungen intensivieren die Gedanken. Gerne würde man erfahren, was in dem Saal gefeiert oder wer geehrt wurde, wie die Zimmer ausgestattet waren, wer die Schwimmhalle benutzte und wohin die langen Gänge führten.
Es finden sich sehnsuchtsvolle Wandbilder und Puschkin-Verse, in denen die russische Seele und die ferne Heimat beschworen oder mit Kosmonauten und Raumschiffen die Errungenschaften des Sozialismus gelobt wurden. Weniges ist nach fast zwanzig Jahren Leerstand noch erhalten und seiner ursprünglichen Nutzung zuzuordnen. Die kunstvoll abblätternden Farbschichten verwandeln die Räume langsam und stetig in geheimnisvolle Orte. Fast scheint es, als ob mit den Farbschnipseln auch die Geschichte dieser Gebäude von den Wänden fallen würde und sich ganz leicht zusammenfegen und entsorgen ließe.
Impressionen von der Ausstellungseröffnung am 4. März 2014
Doch so einfach ist es nicht. Brandenburg, das Land, in dem die meisten sowjetischen Streitkräfte stationiert waren, übernahm vom Bund mehr als 100.000 Hektar militärisch genutztes Gelände mit allen Gebäuden und Hinterlassenschaften. Mehrere Milliarden Euro betrugen die Kosten der Konversion. Dabei spielte Wünsdorf immer eine besondere Rolle. Der kleine Ort, rund fünfzig Kilometer südlich von Berlin, hatte in den 1950er-Jahren etwa 3.000 Einwohner. Im Zweiten Weltkrieg wenig zerstört, boten die in der Kaiserzeit, dann auch durch die Nationalsozialisten errichteten Kasernen, Schießplätze und Bunkeranlagen den idealen Ort für den Sitz des Oberkommandos der sowjetischen Truppen. Für die Offiziere und ihre Familien wurde eine neue Stadt mit Wohnhäusern, Geschäften, Kindergärten, Schulen, einem Kino und einem Museum errichtet, in der – streng abgeschirmt – zeitweise fast 75.000 Menschen lebten.
Inzwischen sind viele Gebäude abgerissen oder zu Wohn- und Geschäftshäusern umgebaut worden. Die friedliche Idee, aus dem militärisch genutzten Ort die Bücherstadt Wünsdorf zu machen, konnte teilweise umgesetzt werden. Dennoch stehen frühere Kasernen noch immer leer, wie sich auch das Haus der Offiziere mit seinen Anbauten und Nebengebäuden trotzig gegen alle Investoren und Nutzungskonzepte zu wehren scheint. In seinem stetigen Verfall bietet es heute lediglich die ideale Kulisse für Fotos und Filme.
Auch Detlev Steinberg machte immer wieder Aufnahmen in Wünsdorf. Anders als Andreas Franke, der mit seiner Digitalkamera unterwegs war, benutzte der 28 Jahre Ältere eine Mittelformatkamera und fotografierte analog und in Schwarz/Weiß. Natürlich kreuzten sich die Wege der beiden „Wünsdorf-Fotografen“ und so entstand die Idee eines gemeinsamen Projektes.
Beim Betrachten der Porträts will der unbelastete, neugierige Blick nicht immer gelingen. Erinnerung mischt sich mit heutigem Wissen. Erst nach dem Abzug wurde eine ehrliche Berichterstattung möglich und vieles, was früher nur Gerücht war, wurde zur Gewissheit. Die Heimat der Soldaten war weit, die Ausbildung hart, der Sold mit einem Rubel (etwa 3 DDR-Mark) pro Tag gering. Die Misshandlung der Rekruten durch ältere Soldaten gehörte bei der Ausbildung dazu und wurde erbarmungslos praktiziert. Die Ausstattung in den Kasernen war auf das Wesentliche beschränkt, das Essen so karg, dass viele Soldaten, obwohl ihnen drakonische Strafen drohten, aus bloßem Hunger zu Dieben wurden.
Über ihre Einbrüche in Gartenlauben und Häusern wurde in der DDR-Bevölkerung hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Schlimmere Straftaten wie Unfälle, Überfälle und Vergewaltigungen erzeugten dagegen laut geäußerten Unmut und offene Beschwerden. Doch die Volkspolizei und die DDR-Justiz waren machtlos und den sowjetischen Militärs war daran gelegen, die Probleme „geräuschlos“ zu klären. Häufig wurde den Opfern Geld angeboten und wurden Schäden direkt beglichen.
Wünsdorf
Eine russische Stadt in der DDR - 20 Jahre nach dem Abzug der Sowjetarmee
Das Buch von Andreas Franke und Detlev Steinberg kann bei uns bestellt werden.
Detlev Steinberg findet Zugang zu den Soldaten und fotografiert. Zweieinhalb Quadratmeter misst die „Privatsphäre“ der Soldaten und besteht aus Bett, Hocker und einem mit dem Bettnachbarn zu teilenden Nachtschränkchen für die wenigen persönlichen Gegenstände. Niemals sind die jungen Männer allein, fünfzig bis achtzig Rekruten schlafen gemeinsam in den Sälen. Steinberg fotografiert sie dabei – unbemerkt, so scheint es – und ihm gelingen intime Aufnahmen.
Ganz anders sind die Bilder, die die Soldaten in Kraftposen zeigen: Da werden nackte Oberkörper zur Schau gestellt und lässig die körperliche Überlegenheit vorgeführt. Auf anderen Fotos ist der Drill dokumentiert, das Exerzieren, Marschieren und Strammstehen und Gesichter mit einem Ausdruck zwischen Konzentration und Stolz.
Immer ist Detlev Steinberg ganz nah dran. Das Vertrauen der Soldaten gewinnt er, weil er sich auf Augenhöhe begibt, sich einfügt in ihren Alltag. Er sitzt neben ihnen, wenn es das dürftige Essen gibt und beklagt sich nicht. Sicher hilft ihm, dass er Russisch spricht und die Sowjetunion zwischen 1978-1990 als Korrespondent viele Jahre bereist hat, den mühsamen Alltag kennenlernte und die russische Seele erspürte. So erklärt sich auch die leise Melancholie, die in vielen seiner Bilder zu finden ist. Rückblickend scheint es, als ob Steinberg, während er den Abschied der sowjetischen Truppen begleitete, auch selbst Abschied nahm von einem ihm bekannten Land und seinen Menschen.
Der letzte Panzer, der auf einem Güterzug von Wünsdorf nach Russland rollte, trug das Schild, auf dem zu lesen war: „LEBE WOHL DEUTSCHLAND!“
Landeszentrale, März 2014
Teilen auf
Kommentare
KommentierenFremde Freunde
Relativ abgeschottet vom DDR-Alltag lebten die Sowjetsoldaten. Vor 20 Jahren zogen sie ab, doch überall in Brandenburg findet man ihre Spuren.
Kommentar zur Ausstellung im ND vom 8.03.2014
Neuen Kommentar hinzufügen