Eine sozialistische Alternative für Deutschland?

Der Histo-Blog von Henrik Eberle

Alljährlich wird Ende September die DDR im TV lebendig. Sie scheint aber auch in der Politik nicht tot, denn die Linke wird von Koalitionsverhandlungen ausgeschlossen. Offensichtlich hat man Angst vor einer Art DDR, einer sozialistischen Alternative für Deutschland.

Neulich lachten mich aus dem Regal bei Kaufland sogenannte Spaßspirituosen an. Giftgrüne Miniflaschen mit Trabbis auf dem Etikett. Daneben ein Schnapskarton mit zugehöriger Puhdys-CD. Beim abendlichen Durchzappen war die Band "Silly" zu sehen und zu hören. Trotz Anna Loos wurde sie von den anderen zur Gala aufgelaufenen Ostgrößen artig beklatscht. 1,4 Millionen Zuschauer sollen sich die Preisverleihung der „Goldenen Henne“ auf RBB und MDR angeschaut haben. Ob die auch "Weißensee" gucken, und wenn ja, woran denkt man in den Wohnzimmern bei dem Stasi-Drama?

An den Geist der Gewalt, der die Entstehung der DDR begleitete? Mit den sowjetischen Truppen kamen die Einheiten des Innenministeriums NKWD. Die sowjetischen Polizisten verhafteten rund 154.000 Deutsche und verschleppten sie in Speziallager.

Allein in Brandenburg gab es davon drei: Nr. 5 in Ketschendorf bei Fürstenwalde, Nr. 6 in Jamlitz bei Lieberose, Nr. 7 in Weesow bei Werneuchen. Letzteres wurde im August 1945 in das KZ Sachsenhausen verlegt. Die sowjetischen Besatzer betrieben das KZ mit neuem Personal einfach weiter. Allein hier waren 60.000 Häftlinge untergebracht, von denen 12.000 starben. Beim größten Teil handelte es sich um NSDAP-Funktionäre, aber auch Jugendliche, die zu Unrecht als „Werwölfe“ beschuldigt wurden, saßen in Sachsenhausen ein.

Die sowjetischen Polizisten ermittelten die zu Verhaftenden oft nicht selbst. Sie konnten sich bei ihrer Arbeit auch auf die eingeübte Denunziationskultur der Deutschen verlassen. Landarbeiter denunzierten Gutsherren als Nazis, obwohl sie das manchmal gar nicht waren, Arbeiter ihre Arbeitgeber, missgünstige Nachbarn den missgünstigen Nachbarn.

Besonders die Kommunisten gingen mit den NKWD-Offizieren eine Symbiose ein. Sie bezeichneten ab 1946 auch Sozialdemokraten, die gegen die Zwangsvereinigung mit der KPD votierten, als Gegner der Demokratie und ließen sie verhaften.

Es ist also nicht ganz richtig, wenn Historiker die DDR nur als Produkt der sowjetischen Deutschlandpolitik beschreiben. Denn am Aufbau des Alternativmodells wirkten die Deutschen tatkräftig mit, nicht nur die Kommunisten. Liberale und christdemokratische Politiker bekleideten von Anfang an höchste Regierungsämter in der DDR. Und es gab Sozialdemokraten, die in der SED fremdelten, aber durchaus Macht besaßen, etwa Ministerpräsident Otto Grotewohl. An die Stelle der Wehrwirtschaftsführer traten neue sozialistische Manager, die den enteigneten Besitz verwalteten. An die Rückgabe der brandenburgischen Braunkohlegruben an ihre jüdischen Eigentümer zum Beispiel dachte 1945 kein Mensch. Das Unrecht des NS-Regimes sollte durch den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft aufgehoben werden, so, als hätte es sich lediglich um einen Irrweg gehandelt, der nun korrigiert werde.

Die Entschlossenheit, mit der dieser Weg gegangen wurde, spiegelt auch die erste Verfassung der DDR wider. Sie war als Verfassung für ein einheitliches Deutschland gedacht. Obwohl sie zahlreiche Freiheitsrechte garantierte, enthielt sie auch den scheinbar gut gemeinten Artikel 6, der die Meinungsfreiheit einschränkte. „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze“ sollten nicht geduldet werden. Die Realität sah dann so aus, dass Kritik an der SED oder die Forderung nach freien Wahlen als „Boykotthetze“ gegen die Demokratie bewertet wurde. Das führte zu tausendfacher Verhaftung und Aburteilung.

Noch entschiedener gab sich der neue Staat in Wirtschaftsfragen. Während das Grundgesetz der Bundesrepublik die eher laue Formulierung „Eigentum verpflichtet“ enthält, besagte die DDR-Verfassung eindeutig: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entsprechen; sie muss allen ein menschenwürdiges Dasein sichern.“ In der Verfassung war auch festgeschrieben, dass alle (!) privaten wirtschaftliche Unternehmungen, „die für die Vergesellschaftung geeignet“ seien, in „Gemeineigentum“ überführt werden sollten (Artikel 27). Diese Verfassung wurde von Deutschen geschrieben. Leiter des Verfassungsausschusses war der ehemalige Sozialdemokrat Grotewohl, der intellektuelle Kopf dahinter der Kommunist Walter Ulbricht, der Erste Sekretär der SED.

Zum Weiterlesen:
Matthias Uhl: die Teilung Deutschlands. Niederlage, Ost-West-Spaltung und Wiederaufbau 1945–1949, Berlin 2009

Diese Fakten müssen einem klar sein, wenn heute in Bezug auf die Strukturen in der DDR auch von einer Alternative für Deutschland gesprochen wird. Die Linke hat sich zwar ausdrücklich vom Stalinismus distanziert, doch die Haltung, in der DDR sei nicht alles schlecht gewesen, ist in der Partei weiter weit verbreitet. Die soziale Komponente etwa oder das einheitliche Schulsystem. Die Forderungen nach Verstaatlichung der Energieunternehmen bzw. den Leitungsnetzen und nach einem Verbot der Bodenspekulation sind inzwischen sogar in ganz Deutschland zu hören, weil sie scheinbar sozial sind.

Trotzdem muss der Linken klar sein, dass viele Deutsche ihrem Gestaltungswillen trotz rot-rot-grüner Mehrheit im Bundestag skeptisch gegenüber stehen. Denn das von ihrer Vorgängerpartei SED angestoßene gesellschaftspolitische Experiment DDR war auch in seiner sozialistischen Komponente radikal und damit letztlich eine unvernünftige Alternative.

Henrik Eberle
(Jg. 1970) schreibt in loser Folge über historische Ereignisse. Der Autor ist Historiker und arbeitet als Journalist. Seine Schwerpunkte sind die beiden deutschen Diktaturen und die extremistischen Parteien der Gegenwart.  

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Vielen Dank für den Widerspruch.

Wir haben zwei Phänomene, die erklärungsbedürftig sind. Erstens die Omnipräsenz der DDR, die wahlweise verklärt oder verteufelt wird. Zweitens eine linke Mehrheit im Bundestag ohne dass eine Regierung zustandekommt.

Meiner Meinung nach hängt das durchaus mit dem sozialistischen Experiment DDR zusammen. Ich wollte daran erinnern, dass die DDR eine ernsthafte sozialistische Alternative war, und nicht nur ein sowjetischer Homunkulus.

Wenn die Linke koalitionsfähig sein will, wird sie sich sozialdemokratisieren müssen. Dazu gehört der Verzicht auf sozialistische Programmatik z. B. Enteignungen, für die die Hürde noch (!) relativ hoch liegt.

Natürlich kann man mit Geschichte nicht alles erklären, aber die Menschen, die den DDR-Sozialismus erlebt haben, sind ja nicht weg.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass der historische Kontext ein Totschlargument ist. Alles was irgendwie fragwürdig oder unter heutigen Maßstäben falsch ist, muss im historischen Kontext gesehen werden um die Wirkung eventuell noch abzumildern. Etwas gut gemeintes in eine Verfassung schreiben und die Formulierungen dann so auszulegen um das eigene Volk zu unterdrücken, sollte nachfolgenden Generationen eine Mahnung sein allzu gedankenlos mit gut gemeinten Vergleichen um sich zu werfen. Gerade wegen des historischen Kontexts.

Sehr geehrter Herr Eberle, ich war zur Veranstaltung der Landeszentrale, auf der Sie Ihr Buch Briefe an Hitler vorgestellt haben. Da haben Sie gezeigt, dass Sie historische Fakten handwerklich gut einordnen können. Davon findet sich in ihrem Text hier indessen kaum etwas. Zu schnell geschrieben oder zu kurz gedacht, dieser Eindruck bleibt. Behaupten Sie ernsthaft, dass die heutigen Politiker eine sozialistische Alternative a la DDR fürchten und deshalb die Linke schneiden? Wenn ja, dann reicht der Verweis auf die erste! Verfassung der DDR wohl kaum aus. Lily Henriksen hat recht, Ihr Vergleich mit den heutigen Forderungen der Linken (ich gehe mal davon aus, dass Sie die Partei Die Linke und nicht die linke Bewegung insgesamt meinen) ist gedankenlos und die Argumentation insgesamt nicht durchdacht. Das können Sie besser, kürzer und vor allem überzeugender.

"Die Forderungen nach Verstaatlichung der Energieunternehmen bzw. den Leitungsnetzen und nach einem Verbot der Bodenspekulation sind inzwischen sogar in ganz Deutschland zu hören, weil sie scheinbar sozial sind...."
schreibt hier Herr Eberle... und führt dies auf das sozialistische Experiment DDR zurück. Diese programmatischen Forderungen bei vielen Parteien links von CDU/CSU und FDP resultieren aber aus den Erfahrungen des Transformationsprozesses und der internationalen Finanzkrise der letzten Jahre... mit Geschichte kann man eben nicht alles erklären sondern sollte mitten im Leben stehen.

Sehr richtig! Die Frage danach, warum die Linke seit Jahren von Koalitionsverhandlungen ausgeschlossen wird und zumindest auf Bundesebene in auffälliger Weise geschnitten wird, ist berechtigt, aber Eberle verkürzt in seiner Argumentation nicht nur unzulässig, sondern geht dabei auch äußerst unprofessionell vor. Als Historiker müsste er wissen, dass Quellen immer in ihren historischen Kontexten gelesen werden müssen und ihre Aussagen (hier erste Verfassung der DDR) nicht absolut in die Gegenwart übertragen werden können. Wenn das ein Histo-Blog sein soll, dann bitte auch mit historischem Handwerkszeug.

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