Das Konzept der Konsumentendemokratie hat der österreichisch-amerikanische Kommunikationsexperten Edward Bernays (1891–1995) in den 1930er Jahren entwickelt. Bernays’ Vision machte den Konsumenten zur zentralen Figur. Zwar kannte man den Satz „Der Kunde ist König“ schon lange, aber für Bernays ist der Konsument weit mehr als nur ein Kunde. Der Konsument artikuliert im Konsum Bedürfnisse und Begierden. Die wiederum werden auf dem freien Markt von Produzenten erkannt und befriedigt – ja letztendlich geweckt und gesteuert. Bernays nahm an, dass die Menschen eher durch ihre Triebe, durch unbewusste Bedürfnissen gesteuert würden als durch rationales politisches Handeln. Damit stand er ganz in der Tradition seines Onkels Sigmund Freud.
Barnays’s Demokratieverständnis ging davon aus, dass gesellschaftliche Eliten die Kontrolle über das Gemeinwesen behalten müssten, während die „Massen“ in der Illusion leben sollten, über den Konsum die Kontrolle über ihr eigenes Dasein zu gewinnen. Dieser Ansicht lag die Erfahrung zugrunde, dass Konsum nicht nur den Erwerb von Gebrauchsgütern bedeutet, sondern auch einen Zugewinn von Ansehen und Statusgewinn. Welches Auto man fährt, welche Möbel man besitzt, welche Markenartikel man im Alltag verwendet, von welchem Markeninhaber Schuhe, Garderobe, Kosmetika usw. stammen, aber auch welche Konzerte man besucht, welche Reisen man gemacht und welche Orte man gesehen hat – das alles definiert den Status der eigenen Persönlichkeit.
Die Grundannahme einer Konsumentendemokratie ist, dass sie ein gesellschafliches Ideal schafft, das auf soziale und politische Gleichheit gerichtet ist. Alles menschliche Streben sei demzufolge ausschließlich auf das private Glück jedes Einzelnen gerichtet. Konsumziele würden zudem Rassismus, Hass und religiösen Fanatismus im Zaum halten. Soziale und weltanschauliche Widersprüche würden praktisch im Konsumrausch und im Überfluss an Waren ertrinken. Martkfrieden und Weltfrieden gingen damit Hand in Hand.
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Die ausschließliche Orientierung auf den Konsum als soziale Kommunikationsform hat mindestens zwei negative Auswirkungen, die kritisiert werden: Auf der einen Seite rufe die Gier nach immer mehr materiellen Gütern eine Art Krankheit hervor. Die Autoren John de Graaf, David Wann, Thomas Naylor nennen sie Affluenza – das ist ein Kunstwort aus Influenza (Grippe) und Affluence (engl. für Wohlstand, Reichtum, Überfluss). Symptome dieser Überfluss-Krankheit seien einerseits Überschuldung und Schuldenkrisen, Überproduktion von Waren, Berge von Müll und auf der anderen Seite Gefühle von Entfremdung, Angstzustände und Verzweiflung.
Auf der anderen Seite ahmen Politiker und politische Parteien marktgerechtes Verhalten nach - mit gravierenden gesellschaftspolitischen Folgen. Wahlwerbung unterscheidet sich zum Beispiel kaum noch von Produktwerbung. Marketingmethoden bestimmen häufig die politische Kommunikation aller Parteien – nicht zuletzt darum werden Parteien in ihrer Programmatik untereinander immer weniger unterscheidbar.
TW, Oktober 2016 (zuletzt bearbeitet von BLPB, Juni 2017)
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