Die Akademie der Dorfhelden über Bürgerbeteiligung im ländlichen Raum

Ja, ich will. Vor Ort mitgestalten möchten viele Menschen. Doch oft brauchen sie Angebote der Weiterbildung, um ihre Kompetenzen zu entdecken und weiterzuentwickeln. Die "Akademie der Dorfhelden" ist ein solches Angebot. Wir haben mit der Leiterin, Ilona Tkocz, gesprochen.

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Ilona Tkocz, Leiterin der Akademie der Dorfhelden, gibt Einblicke in die "Fern-Akademie" zu den Wirkungsorten der Dorfhelden.

Was ist die Akademie der Dorfhelden?

Die Akademie der Dorfhelden ist ein Bildungsangebot. Wir richten uns an diejenigen, die sich in ihren Dörfern engagieren und für etwas einsetzen. An die Menschen in Brandenburg, denen die Entwicklung und Mitgestaltung ihrer Lebensorte wichtig ist. Ein Leitgedanke unserer Akademie lautet daher auch: „Vom Wollen zum Können“, denn die Akteurinnen und Akteure vor Ort brauchen Unterstützung bei ihrem Engagement.

Wenn ich „wir“ sage, meine ich ein Netzwerk, innerhalb dessen die Akademie arbeitet. Das sind der Schloß Trebnitz e.V. als Träger des Projekts sowie unsere Projektpartner, mit denen wir von Anfang an das Projekt gemeinsam umgesetzt haben: der KKJR MOL e.V., die LAG Märkische Seen e.V. und die Dorfbewegung Brandenburg e.V.

Warum haben Sie die Aktiven in den Dörfern im Blick?

Weil zivilgesellschaftliches Engagement ein ganz wesentlicher Stützpfeiler eines demokratischen Gemeinwesens ist.

Gerade in ländlichen Räumen ist das politische, kulturelle und soziale Miteinander in einem hohen Maße von dem Mitwirken der Einzelnen in ihren Dörfern abhängig. Wir versuchen daher, demokratische Handlungskompetenzen zu stärken und ein zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern, das es den Menschen ermöglicht, die Wirksamkeit des eigenen Handelns zu erfahren.

Für diese Selbstwirksamkeit brauchen wir zwei Dinge: Qualifizierungsmaßnahmen, die sich am Bedarf orientieren und einen Dialog auf Augenhöhe mit Politikerinnen und Politikern, um politische Rahmenbedingungen auf- und auszubauen, die Mitgestaltung ermöglichen beziehungsweise um bestehende Strukturen von Teilhabemöglichkeiten konstruktiv zu nutzen.

Das klingt sehr abstrakt…

Das klingt vielleicht so, meint aber brandenburgische Realität, wenn etwa Teilnehmende der Akademie mit Landtagsabgeordneten über die Auswirkungen des Landesentwicklungsplans auf die ländlichen Räume diskutieren oder ganz praxisnah Strategien für eine gute Lobbyarbeit in eigener Sache entwickeln, um ihre Sichtbarkeit zu verbessern. Unser Dialogformat „Politik trifft Zivilgesellschaft“ haben wir aufgrund dieser Erfahrungen entwickelt.

Eine Frage, die sich viele Anbieter politischer Bildung stellen: Wie erreiche ich die Menschen mit meinen Angeboten?

Mit der Frage sind wir mitten in der Vorstellung eines zentralen Bausteins unseres Konzepts. Denn natürlich haben wir uns während der Planung gefragt: wie erreichen wir mit unseren Bildungsangeboten möglichst viele Menschen im ländlichen Raum, wie kommen wir ran an die Aktiven in den Dörfern und welche Gelingensbedingungen beziehungsweise welche Risiken gilt es zu bedenken, um passende Angebote entwickeln zu können, die die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum wirklich braucht.

Die Antwort entspricht einer sehr schlichten Wahrheit: man braucht gute Projektpartner, die sich gut auskennen, die aufgrund einer jahrelangen Erfahrung mit den Spezifika des ländlichen Raums vertraut sind und die mit ihren jeweiligen Netzwerken unterschiedliche Zielgruppen erreichen, so dass man sich gut ergänzen kann. Hinter dem Netzwerkgedanken steckt bei uns die Idee, Kräfte zu bündeln mit dem Ziel, Bildungsangebote zu entwickeln, die ganz nah an der Lebenswirklichkeit und Praxis unserer Teilnehmenden sind.

Gibt es dafür eine gut geordnete Mappe voller Methoden?

Damit eine solche Strategie aufgeht, damit ein Team aus unterschiedlichen Institutionen als essenzielle Ressource gut funktionieren kann, braucht es eine Klarheit über die gemeinsamen Ziele, einen guten Informationsfluss im Team sowie eine offene und konstruktive Reflexion der Arbeit. Dahinter verbirgt sich nicht nur die sogenannte „ehrliche Manöverkritik“ nach jedem durchgeführten Format, sondern auch die Bereitschaft, die Probleme hinter den Problemen zu sehen. Wenn man sich gemeinsam vornimmt, die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum zu stärken, reicht es nicht, „Pflaster“ zu verteilen, die eine kurzlebige Abhilfe für die Bedarfe vor Ort verschaffen. Viel wichtiger ist es, sich Gedanken über die strukturellen Ursachen zu machen und gemeinsam zu überlegen, wie man diesen begegnen kann.

Vom Wollen zum Können

In Brandenburg finden  Akteurinnen und Akteure vielfältige Unterstützung bei ihren Vorhaben vor Ort. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden.
 

Ein „Pflaster“ klingt ein bisschen nach Wunde, meinen Sie das?

In einem gewissen Sinn vielleicht. Aktive vor Ort, die ehrenamtlich politische Verantwortung übernommen haben, machen oft die Erfahrung, dass sie als Störfaktor des kommunalpolitischen beziehungsweise des verwaltungstechnischen Alltags wahrgenommen werden.

Hinter dieser Haltung mag in vielen Fällen ein berechtigter Vorbehalt stecken bezüglich der Sach- und Fachkompetenzen der Ehrenamtlichen im Vergleich zu hauptamtlicher Verwaltung und Politik. Nicht selten ist aber die Form der Kommunikation über die faktisch vorhandenen Unterschiede beziehungsweise der Mangel an Informationsfluss grundlegend für viel Unmut, der entsteht.

Was setzen die „Dorfhelden“ dagegen?

Es gibt den klugen Satz von Stephen R. Covey:

„Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen, sondern um Antworten zu geben.“

Das versuchen wir in der Akademie der Dorfhelden zu vermeiden, indem wir bewusst einen anderen Weg gehen: Zuhören und Verstehen stehen bei uns vor allem anderen. Wir hören zu, um zu verstehen, erst danach entwickeln wir Formate, die die Möglichkeit bieten, gemeinsam mit den Teilnehmenden nach Lösungen zu suchen, indem wir sie inhaltlich und methodisch in einem Lernprozess begleiten.

Akademie der Dorfhelden Konzept
© Akademie der Dorfhelden

Das ist aber nicht in zwei Stunden getan…

Auf jeden Fall nicht. Zeit und Geduld müssen eingeplant und aufgebracht werden. In der Praxis bedeutet es, dass wir Auftaktveranstaltungen organisieren, zu denen wir breit einladen. An diesen zwei Tagen stellen wir Fragen und hören zu. Die Teilnehmenden benennen und diskutieren miteinander, welche Inhalte in der Akademie bearbeitet werden sollten. Dieser erste Schritt ist sehr wichtig, denn eine nachvollziehbare Transparenz in Bezug auf unsere Vorgehensweise und die Möglichkeit der Mitbestimmung der Agenda sind essenziell, um eine Akzeptanz bei der Zielgruppe zu erreichen und ein nachhaltiges Interesse zu wecken durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in diesem demokratischen Prozess.

In Brandenburg gibt es mehr als 400 Gemeinden mit über 1.700 Ortsteilen. Wie erfolgreich kann Ihr Ansatz da sein?

Unsere Methode des Zuhörens und Verstehens setzt genau an dieser Sachlage in Brandenburg an. Wenn man den Aktiven aus den Dörfern zuhört, lernt man schnell, dass jedes Dorf ein Unikat ist und eigene ortsspezifische Aufgaben und Probleme hat.

Deshalb braucht es individuelle Lösungen. Die Kraft der Dörfer lag schon immer in der lokalen Kompetenz der Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. Aber genau darin liegt derzeit auch ein großes Problem beim Aufspüren von Lösungen. Denn die kommunale Selbstverwaltung wurde vielen Dörfern durch die Gemeindegebietsreformen entzogen, indem sie zu eingemeindeten Ortsteilen von Gemeinden und Städten geworden sind.

Die Folge davon ist, dass die ehrenamtlichen Ortsvorsteherinnen und -vorsteher und die ehrenamtlichen Bürgermeister und -meisterinnen im nächsthöheren Gremium, der Gemeinde- oder Stadtverordnetenversammlung sehr häufig kein Stimmrecht ihren Ortsteil betreffend mehr haben. Hier klafft eine Demokratielücke direkt an der Basis, auf der untersten politischen Ebene, die ein wesentliches Grundproblem, darstellt.

 

Straßenbau
© Tomicek

Gemeinden in Brandenburg

Unsere Gemeinden sind die kleinsten demokratischen Einheiten des Staatswesens und der wichtigste Ort für bürgerschaftliche Mitwirkung. 

 

Wie macht sich diese „Demokratielücke“ bemerkbar?

Wenn zwischen Politik auf Gemeinde- oder Stadtebene und den Dörfern kein Dialog auf Augenhöhe möglich ist, führt dies dazu, dass in den Dörfern die Botschaft ankommt: euer Wissen und eure Bedarfe sind uns in der Politik nicht wichtig.

So wird zivilgesellschaftliches Engagement ausgebremst, politisches Interesse an demokratischer Teilhabe wandelt sich aufgrund von Enttäuschung in Frustkommunikation und Ressourcen und Potentiale, die in der lokalen Kompetenz von Selbstverantwortung liegen, bleiben ungenutzt, da die Motivation, sich zu engagieren, schwindet, wenn keine echte Möglichkeit zur Teilhabe vorhanden ist.

Womit motivieren sich die „Dorfhelden“ an der Stelle?

Formate der politischen Bildung, die auf einen Dialog zielen, können sicherlich nicht die Kommunalverfassung wieder ändern, das wäre vermessen und ist nicht unsere Aufgabe. Unser Beitrag kann jedoch darin liegen, einen Rahmen zu bieten für einen konstruktiven Beitrag zu einem besseren Problemverständnis aller Beteiligten - durch einen Wissenstransfer in beide Richtungen. Genau hier kann politische Bildung ansetzen, mit Wissensvermittlung, um zum einen Informationsbedarf abzudecken und zum anderen, um politische Strukturen und Verwaltungshandeln nachvollziehbar und transparent zu machen.

Wenn die Stimmen der Dörfer als fachliche und örtliche Expertise sichtbar werden können, deren Vorschläge auch die Perspektive des Gegenübers berücksichtigen und wohldurchdacht präsentiert werden, kann aus einem Gegeneinander vielleicht wieder ein Miteinander werden, bei dem ehrenamtliches Engagement aus der Perspektive von ungenutzten Kooperationspotenzialen betrachtet wird, um im nächsten Schritt im Austausch miteinander neue Lösungen zu entwickeln, die förderlich sind für die Entwicklung ländlicher Räume.

BLPB, März 2021

Linktipps

  • Grit Körmer über den ländlichen Raum

    Der ländliche Raum hat die Strukturen, um gut arbeiten zu können, meint Grit Körmer, Regionalmanagerin des LAG Märkische Seen e. V. Die Frage lautet jedoch: Wie ernst nimmt man die Menschen dort und wie sehr werden sie in Prozesse eingebunden?

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