Wahlumfragen - wie aussagekräftig sind sie wirklich?

Die Bundestagswahlen stehen kurz bevor und manch einer wüsste jetzt schon gern, wie sie ausgeht. Das Interesse an Wahlumfragen ist groß. Aber Vorsicht: Diese zeigen uns Stimmungsbilder, sind aber keine Voraussage des Wahlergebnisses, erklärt Politikwissenschaftler Thorsten Faas.

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Wahlprognosen zur Bundestagswahl 2025

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Herr Faas, wozu gibt es überhaupt Wahlumfragen und warum sind sie wichtig?

Es gibt sie, weil in Deutschland vor allem Medien solche Umfragen in Auftrag geben, um dann über die Zahlen zu berichten. Sie machen das, weil sie glauben, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an diesen Zahlen hat und dass diese die Berichterstattung über den Wahlkampf anreichern und ergänzen. Dieses Interesse scheint auch vorhanden zu sein, denn in den Wochen vor der Wahl nehmen etwa 70 Prozent der Menschen tatsächlich solche Umfrageergebnisse wahr.
 

Was können Wahlumfragen leisten und was nicht?

Wahlumfragen zeigen uns Stimmungsbilder. Sie liefern uns Hinweise, wie die Stimmungslage aktuell im Land ist. Wir erfahren, wie bestimmte Politiker bewertet werden, welche Themen die Menschen umtreiben. Insofern haben Wahlumfragen nicht nur diesen strategisch-spielerischen Aspekt ‚Wie geht die Wahl eigentlich aus‘, sondern sie sind auch für die Politik immer wieder ein wichtiges Instrument, um zu erfahren, was die breite Bevölkerung eigentlich denkt.

Mit Blick auf Wahlausgänge sind Wahlumfragen jedoch keine Garantie, dass die Wahl auch tatsächlich so ausgeht, wie es Umfragen im Vorfeld sagen. Es können sich Dinge ändern und  es gibt auch methodisch-technische Herausforderungen bei der Durchführung solcher Umfragen. Insofern sind die Zahlen interessant, wir sollten sie aber nie gleichsetzen mit dem tatsächlichen Wahlausgang. Entscheidend ist der Wahlsonntag. Die demoskopischen Institute betonen das auch immer wieder, in der öffentlichen Diskussion um die Zahlen geht das aber oft ein bisschen unter. 

Prof. Thorsten Faas

Professor Dr. Thorsten Faas lehrt Politikwissenschaft im Bereich "Empirische Politikforschung" an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Auf dem YouTube-Kanal „Was mit Wahlen“  beschäftigt er sich mit verschiedenen Facetten der Bundestagswahl.


Wer wird befragt?

Wer kontaktiert wird, darüber entscheidet klassischerweise eine Zufallsstichprobe. Warum? Wenn man die Auswahl der Probanden dem Zufall anvertraut, dann stellt dieser sicher, dass jede wahlberechtigte Person in Deutschland in die Stichprobe für eine solche Umfrage gelangen kann. Das ist ähnlich wie bei einem Würfel, bei dem jede Zahl jeweils eine Chance hat, gewürfelt zu werden. Daher reichen auch die typischerweise 1.000 bis 2.000 Befragten aus, um ein gutes Stimmungsbild für die Bevölkerung insgesamt zu bekommen.


Wie werden die Daten erhoben?

Eine solche Zufallsstichprobe zu realisieren, ist eine gewisse Herausforderung. Es gibt in Deutschland kein bundesweites Bevölkerungsregister, aus dem man einfach jeden Tausendsten auswählen kann. Typischerweise erfolgen Wahlumfragen über das Telefon. Es werden bestimmte Telefonnummern ausgewählt, man ruft an und muss in dem Haushalt zufällig eine Person auswählen.

Das ist richtig hartes, aber solides Handwerk, das die demoskopischen Institute leisten. Sie stehen aber noch vor einer anderen Herausforderung, denn selbst wenn sie eine Zufallsstichprobe nach allen Regeln der Kunst gezogen haben, dann müssen die Leute bereit sein, an der Umfrage teilzunehmen. In der jüngeren Vergangenheit sehen wir jedoch, dass diese Bereitschaft nachlässt. Die Teilnahmequote liegt derzeit zwischen 10 und 20 Prozent und das an einer Stelle, wo wir uns idealtypisch eigentlich 100 Prozent wünschen würden.


Das sind wirklich niedrige Zahlen, gibt es denn Alternativen zu den Telefonumfragen?

Es gibt inzwischen alternative Ansätze, vor allem auch in Verbindung mit neuen Formen der Onlineforschung. Diese folgen einer etwas anderen Logik als die klassischen telefonbasierten Ansätze. Da es kein Verzeichnis aller E-Mail-Adressen in Deutschland gibt, lässt sich online keine zufällige Auswahl treffen.

Stattdessen registrieren sich viele tausend Menschen in einem ersten Schritt im Internet in sogenannten Pools und signalisieren somit ihre Bereitschaft, zukünftig an Umfragen teilzunehmen. In einem zweiten Schritt wird dieser Pool genutzt, um eine Umfrage durchzuführen. Dafür werden zwischen 1.000 und 2.000 Leute aus dem Pool ausgewählt. Dabei wird geschaut, dass die Auswahl repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ist. Streng genommen ist das aber keine Zufallsauswahl aus der Gesamtbevölkerung, da erst einmal ein Pool geschaffen werden muss und diesem Pool treten die Leute aus eigenem Antrieb bei.


Nicht alle nutzen aber das Internet… Verzerrt das nicht die Ergebnisse von onlinebasierten Umfragen?

Ja, absolut. Es gibt allerdings auch Verfahren, die es Menschen, die bisher keinen Internetzugang hatten, extra für diesen Zweck ermöglichen, internetfähig zu werden. Das ist allerdings nicht der Standard. In der Regel wird auf Internetnutzer zurückgegriffen und natürlich werden damit systematisch alle Menschen ausgeschlossen, die keinen Internetzugang haben.

Das sind in Deutschland auch weiterhin eher ältere Menschen, die zugleich aber sehr wahlfreudig sind. Das ist ein Problem. Allerdings gibt es auch immer mehr Menschen, die nur noch über das Handy erreichbar sind. Wenn das Auswahlverfahren für telefonische Zufallsstichproben ausschließlich auf Festnetznummern basiert, dann gibt es hier einen ähnlich verzerrenden Faktor.


Wer arbeitet denn mit welchen Verfahren?

Telefonumfragen werden zum Beispiel vom ZDF mit der Forschungsgruppe Wahlen, der ARD mit Infratest dimap, aber auch von Forsa für Stern und RTL durchgeführt. Diese nutzen alle eine sehr ähnliche Herangehensweise, unterscheiden sich aber darin, ob sie Mobilfunknutzer einbeziehen oder nicht. INSA und YouGov sind hingegen Beispiele für Institute, die eher onlinebasierte Verfahren anwenden.


Welchen Einfluss haben Wahlumfragen auf die Entscheidung von Wählerinnen und Wählern?

Hier ist zunächst einmal interessant, ob Menschen die Ergebnisse von Meinungsumfragen überhaupt wahrnehmen. Das ist zu bejahen, denn wie bereits erwähnt, sagen etwa 70 Prozent der Bevölkerung, dass sie solche Ergebnisse wahrnehmen. Fragt man hingegen nach dem Einfluss, dann fallen die Zahlen deutlich geringer aus. Selbstberichte deuten aber darauf hin, dass es in der Bevölkerung durchaus Gruppen gibt, die versuchen, strategisch zu wählen. Sie verfolgen bestimmte Koalitionsüberlegungen und greifen zu diesem Zweck auf Umfragen als Impuls- oder Signalgeber zurück. Das ist das eine.

Man muss sich aber auch immer den Kontext einer Wahl anschauen. Denken wir zum Beispiel an die Bundestagswahl 2013 zurück: Da hatten wir die AfD, die in Umfragen relativ nahe bei fünf Prozent gesehen wurde. Gleiches galt für die FDP. Immer wenn es um solche Schwellenwerte geht, wenn Umfragen zeigen, dass es für eine Partei knapp werden könnte oder eben auch nicht, dann reagieren die Menschen darauf. Das konnte man auch 2013 sehen: Am Morgen des Wahlsonntags hat die „Bild am Sonntag“ noch eine Umfrage veröffentlicht, die die FDP bei sechs Prozent sah. Um 18 Uhr waren es 4,8 Prozent.


Woran lag das?

Wir haben eine kleine experimentelle Studie gemacht, mit der wir zeigen konnten, dass die Annahme, dass die FDP schon in den Bundestag kommt, zu weniger Leihstimmen von Unions-Anhängern geführt hat. Bringt man das in Verbindung mit der Tatsache, dass es laut der Umfragen in den Tagen vor und auch am Tag der Bundestagswahl so aussah, dass die FDP mehr als fünf Prozent der Stimmen erhält, dann kann man etwas kühn formulieren, dass die Demoskopen durchaus ihren Beitrag zu dem Wahlergebnis geleistet haben, indem sie die Wählerschaft in dem Glauben gelassen haben, es würde für die FDP schon reichen.

Das ist aber ein sehr spezifischer oder kontextabhängiger Befund, weil er eben darin begründet liegt, dass die FDP mit den fünf Prozent gekämpft hat. Wenn eine Partei bei acht oder neun Prozent liegt, dann stellt sich diese Frage einfach nicht. Insofern gibt es Effekte, die auch sehr vielfältiger Natur sein können und in verschiedene Richtungen funktionieren, aber sie sind eben doch immer sehr stark kontextabhängig. Daher kann man die Frage, wie wirken Umfragen, leider nie mit einer ganz pauschalen Antwort beantworten.


Wie ist angesichts dessen die Veröffentlichung von Umfragen am Wahltag zu bewerten? Sollte man davon eher Abstand nehmen?

Es ist ein alter Streit, ob es vor Wahlen eine bestimmte Zeit geben sollte, in der es keine Umfragen mehr gibt oder zumindest keine mehr veröffentlicht werden dürfen. In Frankreich ist das der Fall, da gibt es solche Tabuzonen. In Deutschland haben sich ARD und ZDF über viele Jahre die Selbstverpflichtung auferlegt, zumindest in der Woche vor der Wahl keine Zahlen mehr zu veröffentlichen. Davon hat das ZDF inzwischen Abstand genommen. Auch ich finde ein Verbot schwierig.

Wichtiger erscheint mir, dass man die Ergebnisse der Umfragen richtig kommuniziert. Man sollte sicherstellen, dass diese eben nicht als ein in Stein gemeißeltes Endergebnis kommuniziert werden, sondern als ein Stimmungsbild, auf das Menschen wiederum reagieren können. Wir würden ja auch keiner Zeitung in der Woche vor der Wahl verbieten, Kommentare zu schreiben. Wir verbieten den Leuten am Wahlsonntag auch nicht, ihrem Nachbarn zu sagen ‚Hey, wählst du nicht auch vielleicht Partei A oder B‘. Das ist normale Wahlkampfkommunikation und dazu gehören eben auch Umfragen. Insofern wäre ich mit Verboten sehr vorsichtig.


Sowohl beim Brexit-Referendum als auch bei den US-Präsidentschaftswahlen lagen die Umfragen daneben. Woran lag das? Wo sehen Sie Probleme und Fehlerquellen?

Da muss man verschiedene Dinge unterscheiden. Also erst einmal können Umfragen einfach fehlerhaft sein. Das kann damit zu tun haben, dass bestimmte Wähler zuvor in den Umfragen nicht adäquat berücksichtigt wurden. Daraus kann sich eine Differenz zwischen der Umfrage und dem Abstimmungsergebnis ergeben, die man im Nachhinein als Fehler interpretiert. Mit Blick auf Trump und populistische Personen, Parteien und Bewegungen allgemein ist es durchaus wahrscheinlich, dass deren Anhänger aus Misstrauen gegenüber Medien und demoskopischen Instituten nicht an Umfragen teilnehmen. Auf diese Weise wird die Unterstützung für populistische Parteien und Bewegungen unterschätzt und am Wahltag kommen plötzlich viel höhere Zahlen für diese zustande als es im Vorfeld auf Basis der Umfragen absehbar war. In diesem Fall gibt es ein Problem bei der Gewinnung von Befragten für die Stichprobe.

Bezogen auf Trump oder auch rechtsextreme Parteien gibt es auch das Argument, dass Menschen einfach falsch antworten, weil sie nicht zugeben wollen, dass sie eine rechte oder rechtsextreme Partei wählen. Stattdessen geben sie an, eine andere Partei zu wählen oder gar nicht zur Wahl zu gehen. Ob die Befragten ehrlich antworten, weiß man nicht. Wenn auf diese Weise bestimmte Parteien systematisch benachteiligt oder bevorteilt werden, kann auch das zu Abweichungen zwischen Umfragen und Endergebnissen führen.

Der dritte Punkt ist, dass Menschen auf Umfrageergebnisse reagieren und diese damit
ad absurdum führen können. All das sind Gründe, warum es nicht verwunderlich ist, dass es zuweilen zu Abweichungen zwischen den Umfragen und amtlichen Endergebnissen kommt.


Ist es nichtsdestotrotz aus Ihrer Perspektive sinnvoll, dass Umfragen gemacht werden?

Absolut. Man muss nur ihre Belastbarkeit thematisieren und deutlich machen, was geht und was nicht geht. In dieser Richtung gab es auch schon Versuche, zum Beispiel hatte die ARD einen Volatilitätspfeil. Wenn es hieß, dass noch viele Menschen unentschieden sind und sich auch noch vorstellen können, eine andere Partei zu wählen, dann hat dieser immer ganz wild ausgeschlagen. Das sind durchaus sehr löbliche Versuche, die mit Umfragen verbundene Unsicherheit zu kommunizieren und zu transportieren. Daran hapert es zuweilen, denn zu oft wird immer noch der Eindruck erweckt, dass Umfragen wahre Voraussagen des Wahlergebnisses seien.


Vielen Dank für das Gespräch.
 

Landeszentrale, August 2017

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