Markus Klein über Demokratie und Zivilgesellschaft in Brandenburg

Demokratie ist kein Online-Versandhandel

Immer mehr Menschen stellen sich Demokratie wie einen Versandhandel vor, bei dem sie, wenn sie mit einer Entscheidung unzufrieden sind, das Ganze zurückschicken können und dann etwas Neues bestellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Echokammern der sozialen Medien Unzufriedenheit und Frust fördern und keine Nachsicht oder Gnade mehr kennen. 

Zivilgesellschaft
© Großstadtzoo

Kompakt erklärt: Zivilgesellschaft

Wie steht es derzeit um die Zivilgesellschaft in Brandenburg?

Die Beratungsteams von Demos arbeiten eng mit den Menschen in Brandenburg zusammen. Aus dieser Erfahrung wissen wir, Zivilgesellschaft kann viel sein. Die eine Zivilgesellschaft gibt es nicht. In Brandenburg haben wir drei große, das ganze Land überspannende zivilgesellschaftliche Akteure. Das sind die Kirche, Vereine, vor allem Sportvereine, und die Feuerwehr. Obwohl Brandenburg ein stark säkularisiertes Bundesland ist, sind knapp 20 Prozent der hier lebenden Menschen konfessionell gebunden. Die Kirchengemeinden decken das Bundesland weitgehend ab.

In Brandenburg gibt es rund 3.000 Sportvereine und zirka 38.000 Feuerwehrleute. Das ist schon sehr viel zivilgesellschaftliches, vielfältiges Engagement. Natürlich muss man sich auch immer die Gründe für zivilgesellschaftliches Engagement angucken.

Markus Klein
Markus Klein ist Geschäftsführer beim Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung (demos). 

demos setzt sich für eine starke und lebendige Demokratie in Brandenburg ein.

Wofür ist das wichtig?

Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Zivilgesellschaft per se demokratisch ist. Das ist sie nicht. Daher ist es umso wichtiger, genau hinzuschauen und zu differenzieren. Es geht in der Praxis oft darum, zunächst anzuerkennen, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Wichtig ist es, Graubereiche zu erkennen und zuzulassen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie 2014 und 2015 in Brandenburg an fast allen Orten, an denen schutzbedürftige Menschen ankamen, Willkommensinitiativen gegründet wurden.

Ohne deren Engagement hätte die damalige Situation nicht so gut gemeistert werden können. Zeitgleich demonstrierten in Dresden zu Hochzeiten fast 40.000 Menschen mit Pegida gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung und forderten, die Grenzen dichtzumachen. In Brandenburg kopierte „Zukunft Heimat“ Pegida und schaffte es, die Initiative in den ländlicheren Raum hineinzutragen. Ungefähr zur selben Zeit gründete sich die Initiative „Ein Prozent“ mit dem Ziel, die fremdenfeindlichen, rechtsextremen und rechtspopulistischen Initiativen zu vernetzen und mit Spenden zu unterstützen.

Nun können wir aber nicht so einfach von demokratischer und nicht-demokratischer oder demokratiefeindlicher Zivilgesellschaft sprechen, von hellen und dunklen Seiten, guten und bösen. Wir sollten vielmehr beobachten, wie sich Initiativen, Bewegungen und Organisationen entwickeln. „Querdenken“ zum Beispiel mobilisierte zigtausende Bürgerinnen und Bürger. Darunter waren von Beginn an Reichsbürger und Reichsbürgerinnen, aber eben auch Eltern, die sich um die Bildung ihrer Kinder sorgten, Selbständige, die Angst hatten, in absehbarer Zeit an der Supermarktkasse nicht bezahlen zu können. Mit der Zeit bleibt der radikale Kern übrig. Davor gab es jede Menge Grautöne. Und diese zu sehen, ist wichtig in einer Demokratie. Wir von Demos versuchen, diese Grautöne vor Ort sichtbar zu machen. Sie können die Brücke für ein Gespräch sein.

Was finden Sie derzeit besonders schwierig?

Immer mehr Menschen stellen sich Demokratie wie einen Online-Versandhandel vor, bei dem sie, wenn sie mit einer Entscheidung unzufrieden sind, das Ganze zurückschicken können und dann etwas Neues bestellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Echokammern der sozialen Medien Unzufriedenheit und Frust fördern und keine Nachsicht oder Gnade mehr kennen. Die Gefahr, die daraus für unser Zusammenleben entsteht, ist real. Aber sie klingt abstrakt. Und das ist das Problem.

Wir müssen ein gemeinsames Verständnis darüber entwickeln, was Demokratie ist. Deshalb reicht es nicht aus, auf die Landesverfassung und das Grundgesetz zu zeigen. Demokratische Gesellschaften brauchen eine demokratisch engagierte Zivilgesellschaft. Und damit kommen wir zum anstrengenden Teil: der Auseinandersetzung im Graubereich, von dem ich gesprochen habe.

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Wie bewegt man sich in diesem Graubereich, haben Sie Tipps?

Sie alle kennen folgendes Muster: Jemand sagt etwas oder in dem Gesagten gibt es ein bestimmtes Wort. Gegenwärtig ist es häufig etwas im Zusammenhang mit der Pandemie. Die Aussage versetzt Sie in Alarmbereitschaft. In der Psychologie spricht man von triggern. Was machen Sie? Sie wappnen sich, legen sich umgehend den Harnisch an und füllen Ihren Köcher mit Argumenten. Dann kann es losgehen! Auf in den Kampf! Immerhin geht es um nichts Geringeres als um die Demokratie! Dem Gegenüber muss jetzt klipp und klar erklärt werden, wie der Hase läuft. Und dann? Der Kampf endet damit, dass die Kontrahenten frustriert und ratlos auseinandergehen.

Wie sollen aber gesellschaftliche Spaltungen überwunden werden, wenn die Bereitschaft zum Dialog nicht gegeben ist? Oftmals liegen wir falsch mit unseren ersten Einordnungen. Menschen sind sehr vielschichtig und haben viele Facetten. Eine rassistische Aussage macht noch keinen Rassisten mit einem geschlossenen Weltbild. Das heißt nicht, dass wir nicht streiten sollen.

Im Gegenteil: wir müssen streiten und uns über Inhalte austauschen. Nur so wird die Demokratie lebendig. Nur so erfahren wir gesellschaftlichen Zusammenhalt. Meine Erfahrung: Beobachten Sie sich selbst. Wie schnell stecken Sie Menschen vorschnell in Schubladen? Was passiert, wenn Sie das nicht tun?

Lesetipp

Sie haben vorhin die Psychologie angesprochen. Die sagt aber auch, dass die meisten Menschen sich lieber mit Gleichgesinnten umgeben, also die Auseinandersetzung vermeiden.

Schon bevor es Soziale Medien und Netzwerke gab, haben wir uns in Echokammern bewegt. Wir haben uns mit Menschen umgeben, die uns ähnlich waren. Bestätigung ist in der Regel einfach und angenehmer als Konflikt. Das ist auch völlig in Ordnung, dass man das tut. Die Blase darf nur nicht zu eng werden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft unserer Gesellschaft?

Freude. Demokratie braucht einen stabilen Rahmen. Sie lebt vom Engagement der Zivilgesellschaft. Diese ist vielfältig. Sie braucht Freude an der Auseinandersetzung.

BLPB, November 2021

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