Gottes Werk und Menschens Beitrag

Es geht um Religion und Politik. Aber die aktuelle Beschneidungsdebatte ist noch mehr. Auf dem Prüfstand stehen auch universelle Menschenrechte. Am Ende hätten alle etwas zu verlieren.

Beschneidung Jesu
Religiöse Überlieferung: Im Neuen Testament wird Jesus nach seiner Geburt gemäß der jüdischen Tradition beschnitten. Gemälde von Giovanni Bellini (1430 - 1516)

Juden und Muslime in Deutschland reagierten empört, als ein Gericht im Mai 2012 die Beschneidung eines Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung wertete. In beiden Religionen werden Jungen an der Vorhaut beschnitten.

Nun soll ein neues Gesetz Rechtssicherheit schaffen. Demzufolge sind ärztlich fachgerecht durchgeführte Beschneidungen bis zum sechsten Monat des Kindes zulässig. Die Beschneidung gehöre zur gesellschaftlichen Normalität in Deutschland, so Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Vorfeld der Entscheidung.

Das Thema hat eine vehemente öffentliche Diskussion von Befürwortern und Gegnern ausgelöst, die weit über die Frage nach Recht und Gesetz hinausging, ethisch-moralische Bedenken aufwarf und das gesellschaftliche Miteinander in einem Zuwanderungsland wie Deutschland auf den Prüfstand stellte. Aber die Beschneidungsdebatte ist noch mehr: Die Angelegenheit ist von fundamentaler Bedeutung für jeden Einzelnen, unabhängig davon, welcher Religion er angehört. Denn auf dem Prüfstand stehen auch universelle Menschenrechte.

Geht Menschenrecht vor Religionsrecht? Tatsache ist: Alle Religionen sind Menschenwerk, sind von Menschen gemacht, erinnert einer der profiliertesten katholischen Theologen und Philosophen, Prof. Dr. Hubertus Mynarek. Sie alle gehen auf Intuitionen, Inspirationen, Visionen zurück.

Als Menschenwerk enthalten die Religionen Wahres und Falsches, Gutes und Schlechtes, Schönes und Hässliches, wie das im Allgemeinen bei allem Menschlichen der Fall ist. Deshalb unterstehen die Religionen wie alle anderen Bereiche der Menschen der Ethik, der Vernunft, dem Maßstab der Humanität... Wenn also ihre Rituale, Zeremonien, Bräuche, Praktiken gegen die Menschenrechte verstoßen, dann sind sie aufzugeben.
Prof. Dr. Hubertus Mynarek

Demzufolge ginge es um weit mehr als nur die Frage nach der Anstößigkeit oder Zulässigkeit religiöser Traditionen. Heiner Bielefeldt, Professor für Menschenrechte und UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit dürfte daher Recht behalten, wenn er warnt: "In der Debatte um die Knabenbeschneidung sind gesellschaftliche Bruchlinien zutage getreten, die uns vermutlich noch lange beschäftigen werden."*

Mit anderen Worten: Durch gesetzliche Regelungen wird die Debatte nicht beendet werden können. Es steht zu viel auf dem Spiel und am Ende hätten alle etwas zu verlieren.

Landeszentrale, Dezember 2012

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Kommentare

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Wieso bei Jungen, bei Mädchen nicht?!

Die Begründung "gehört zur Tradition der Religionen" ist abartig; dann sollten  auch die Hexenverbrennungen und Steinigungen  für  Ehebruch nebst  Handabhacken bei Dieben wieder gesetzlich erlaubt sein.

Einem Kindsmörder werden alle Menschenrechte,  auch dem vor körperlicher Bedrohung eingeräumt, aber  hilflose Kinder werden verstümmelt - was ist das für ein Unrechtssystem!

Wenn die  Gläubigen an Gott  glauben, sollte nicht dann Gottes  höchste Schöpfung vor dilettantischer Verstümmelung  tabu sein?! Und wenn Ungläubige das goutieren, ist es eine Schande!

Alle Politiker, die einer Beschneidung zustimmen, sollten das bei ihren Kindern  auch machen lassen. 

 Ein guter Vortrag, stimmt. Letzlich ist es aber auch nur eine Meinung mehr, über die man streiten kann. Hier eine weitere Perspektive: "Menschenwürde der Eltern gegen Menschenwürde des Kindes: Dieser Verfassungskonflikt besteht freilich nur aus nichtjüdischer Sicht. Den betroffenen Eltern, dem Arzt, dem Rabbi und sehr wahrscheinlich auch dem Kleinen, wenn er mal groß ist, wird es nicht einleuchten, warum die Beschneidung den Kern der kindlichen Persönlichkeit, seine Menschenwürde, verletzt. Sollen deutsche Juristen deutschen Juden erklären, was es mit ihrer Menschenwürde auf sich hat? Vielleicht eine zu große Herausforderung." http://m.spiegel.de/politik/deutschland/a-845836.html#spRedirectedFrom=www

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