Polen und Deutsche scheinen nur wenig vom Anderen zu wissen. Daher bleiben Klischees und Vorurteile so lebendig, meint die Journalistin Monika Stefanek. Sie kennt die Medienlandschaft beider Länder und sieht Versäumnisse in der Berichterstattung dies- und jenseits der Oder.
Der Pole klaut, der Deutsche schlägt die Hacken zusammen: Thomas Urban, Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, hat 2009 mit dieser Zuspitzung auf die starken Klischees sowohl in den polnischen als auch in den deutschen Medien hingewiesen. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?
Auch wenn diese Aussage von Thomas Urban ziemlich übertrieben und kontrovers zu sein scheint, stimme ich ihr zu. Fast 25 Jahre nach der Wende und knapp 10 Jahre nach Polens EU-Beitritt ist es uns nicht gelungen, die gegenseitigen Stereotype grundlegend zu bekämpfen. Es mag wahrscheinlich daran liegen, dass wir uns – trotz unzähliger deutsch-polnischer Projekte – nach wie vor nicht gut genug kennen.
Woran machen Sie diese gegenseitige Unkenntnis fest?
In den Medien beider Länder beobachte ich zwei unterschiedliche Haltungen: Entweder wird das Nachbarland in rosaroten Farben dargestellt und die gemeinsame Zusammenarbeit hoch gelobt, oder im Gegenteil – der Nachbar wird auf eine stereotype, holzschnittartige Weise beschrieben. Nur selten stößt man in den Medien auf eine, gut recherchierte Analyse oder Reportage, in der die Realität objektiv gezeigt wird. Diese Haltungen spiegeln sich auch in der Bevölkerung beider Länder wider.
Monika Stefanek, geboren in Szczecin (Stettin), war von 2002 bis 2009 Redakteurin bei der Stettiner Tageszeitung “Głos Szczeciński”. Seit 2009 lebt sie in Berlin und arbeitet als freie Journalistin für polnische und deutsche Medien. 2010 erhielt sie in Istanbul den European Young Journalist Award der Europäischen Kommission.
Welche Einstellungen fallen Ihnen da auf?
Auf beiden Seiten der Oder trifft man Menschen, die polen- oder eben auch deutschfreundlich eingestellt sind, aber die Mehrheit der Bevölkerung zeigt sich gegenüber dem Nachbarn gleichgültig. Für viele Berliner, die ja nur etwa 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt leben, scheint Polen fast hinter dem Ural zu liegen. Ein Besuch in meinem Heimatland endet meistens an der Grenze, da, wo sich eine Tankstelle bzw. ein Markt befindet. Umgekehrt nutzen Polen gern die deutschen Autobahnen, aber ihren Urlaub verbringen sie lieber in Italien, Frankreich oder Spanien.
Wobei die polnischen Touristenzahlen gerade in Brandenburg immer mehr steigen...
Das mag stimmen, aber auch in den grenznahen Orten Brandenburgs oder Mecklenburg-Vorpommerns, wohin in den letzten Jahren sehr viele Polen gezogen sind, leben die polnischen und deutschen Nachbarn eher nebeneinander als miteinander. Ein großes Problem bleibt die Sprachbarriere. Kein Wunder also, dass die Stereotype so lebendig sind, wenn wir uns kaum kennen.
In Brandenburg spielt in der Wahrnehmung der Bevölkerung die Grenzkriminalität eine große Rolle, wenn es um das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland geht. Wie empfinden Sie die Berichterstattung in den deutschen Medien über dieses Thema?
Das Problem der Grenzkriminalität ist mittlerweile so groß und spürbar, dass man Berichte darüber in der regionalen Presse fast jeden Tag lesen kann. Ich würde nicht sagen, dass die deutschen Medien die Stereotypen gegen Polen erhitzen. Man findet eher selten direkte Aussagen, welcher Nationalität der festgenommene Dieb angehörte. Viel öfter sehe oder höre ich Formulierungen, nach denen der Täter ausländischer Herkunft war bzw. das gestohlene Auto Richtung Polen fuhr.
Es wird auch oft betont, dass für die Grenzkriminalität eine internationale Mafia verantwortlich ist und nicht kleine Bürger des Nachbarlandes. Medien in Deutschland, gerade in Brandenburg, versuchen auch, Druck auf die Vertreter der Landes- bzw. Bundespolitik auszuüben – nicht immer mit Erfolg.
Wie wird dieses Thema in den polnischen Medien behandelt?
Jerzy Margański, der polnische Botschafter in Berlin, sagte auf einer gemeinsamen Tagung der polnischen und deutschen Polizei im Mai dieses Jahres in Słubice, dass die Grenzkriminalität zum größten Problem entlang der Grenze geworden ist, und zerstört, was seit der Wende dank unzähliger gemeinsamer Projekte und Initiativen aufgebaut wurde. Trotz dieser wichtigen Worte taucht das Thema der Grenzkriminalität nur selten in der polnischen Presse auf. Meistens erst dann, wenn etwas wirklich Skandalöses passiert, wie zum Beispiel so genannter Leichenklau oder eine Schießerei, in der ein deutscher Polizist verletzt wurde. Ein großes Echo hat auch der Fall aus Kremmen in Brandenburg hervorgerufen, bei dem vollkommen unschuldige polnische Bürger, Erntehelfer, von Einwohnern angegriffen wurden, weil am gleichen Tag in eines der Familienhäuser eingebrochen worden war. Über solche Ereignisse berichten dann die Medien in Polen mehrere Tage nacheinander. Doch oft ohne vertiefende Recherche. Die Fakten werden zwar dargestellt, aber der Hintergrund zur Tatsache fehlt.
Woran liegt das?
Bei vielen meiner polnischen Kollegen beobachte ich manchmal eine Art der Verwunderung über das Ausmaß des Problems der Grenzkriminalität, als ob sie nicht wirklich glaubten, was in den deutschen Polizeistatistiken steht.
Manche Journalisten, denen das Thema der Grenzkriminalität bekannt ist, vermeiden darüber zu berichten, um – wie sie erklären – die Stereotypen nicht zu bestärken, wonach „der Pole“ der Dieb ist. Insgesamt aber habe ich den Eindruck, dass dieses Problem in Polen sehr unterschätzt wird. Den Journalisten, aber auch der Bevölkerung und den Politikern ist nicht bewusst, wie sehr diese nicht ganz wahrgenommene Sache dem Image Polens schadet.
Schreiben die Medien das deutsch-polnische Verhältnis kaputt?
Nein, es gibt unterschiedliche Medien, das ist schwer zu verallgemeinern. Die Berichterstattung ist in den letzten Jahren viel objektiver geworden. Auch wenn ich zu Beginn unseres Interviews eher skeptisch über noch bestehende Stereotype gesprochen habe, so bewegt sich doch etwas. Beispielweise hat der historische Begriff von der „polnischen Wirtschaft“ seine negative Bedeutung weitestgehend verloren, da Polen nicht zuletzt auch die Krise gut überstanden hat. Da hat sich einiges zum Positiven verändert.
Welche Themen vermissen Sie in den Medien beider Länder, wenn es um das deutsch-polnische Verhältnis geht?
Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Tabuthemen in den Medien beider Länder. Für mich ist vielmehr das Problem, wie man über manche Themen berichtet. Nehmen wir das Beispiel NPD. In überregionalen Medien ist diese Thematik viel präsenter als in lokalen. Was mir etwa fehlt, ist eine Auseinandersetzung vor dem Hintergrund des aktuellen Wahlkampfes. Überall an der Grenze hängen NPD-Plakate mit ausländerfeindlichen Parolen. Die betreffen auch Polen, die dort leben, die dort Unternehmen aufgebaut haben und Arbeitsplätze auch für deutsche Arbeitnehmer geschaffen haben. Niemand fragt in der Presse, wie sich die Leute fühlen, dabei spricht man immer in Deutschland so viel von „Willkommenskultur“.
Im Gespräch mit der Landeszentrale, September 2013
Teilen auf
Neuen Kommentar hinzufügen