Günter Nooke

Ein Mann der offenen Worte

... Gemeinsam mit Matthias Platzeck und Marianne Birthler haben wir relativ früh für uns entschieden, dass es spannend sein muss, ein neues Bundesland aufzubauen. Wir kandidierten für den Brandenburger Landtag für Bündnis 90 als Listenvereinigung und machten zusammen Wahlkampf.

Günter Nooke; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Erst im Oktober 1991 wurde das Bündnis 90 offiziell als Partei gegründet. Als es sich im Mai 1993 mit den Grünen vereinte, wollte ich diesen Zusammenschluss nicht mitmachen und trat aus. Von da an war ich wieder parteilos.

In Brandenburg habe ich mich mit allen Themen des Neuanfangs befasst. Vergangenheitsaufarbeitung war für mich anfangs kein Schwerpunkt.

Ich war im Landtag Fraktionsvorsitzender unserer sechsköpfigen Fraktion und Mitglied mehrerer Ausschüsse, darunter im Wirtschafts-, Umwelt- und Bauausschuss. Im Februar 1992 wurde ich Mitglied im dritten Untersuchungsausschuss, dem Stolpe-Untersuchungsausschuss.

Seit diesem Zeitpunkt habe ich mich mit der Vergangenheit befassen müssen. Als ich die Stasi-Akten auf den Tisch bekam, musste ich sie natürlich lesen. Aufgrund der Aktenlage bin ich der Ansicht, dass die Vorwürfe gegen Manfred Stolpe berechtigt sind. Er hat eben nicht nur im Interesse der Menschen mit der Staatssicherheit geredet.

Als Fehler sehe ich es heute an, dass die PDS den Vorsitz des Ausschusses übernehmen konnte, aber sie war drittgrößte Fraktion und dies entsprach den demokratischen Spielregeln. ...

Die Stimmung in den Landtagssitzungen fand ich von der allgemeinen Situation her sehr offen. Das war aus meiner Sicht Parlamentarismus, wie er eigentlich ursprünglich mal gedacht war. Nicht nur wir, auch die CDU-Fraktion um Peter-Michael Diestel haben mit der PDS Anträge eingebracht. Man könnte uns vorwerfen, dass wir keine klare Linie zur PDS gezeigt haben, aber eine Ausgrenzung der PDS-Fraktion im Landtag hätte wenig gebracht.

Wir hielten uns an die demokratischen Spielregeln. Für uns galt: Wenn jemand etwas Richtiges sagt, müssen wir keinen zweiten Antrag schreiben. Die westdeutschen Spielregeln haben wir damals einfach nicht übernommen. Leider hat sich diese Offenheit dann umgekehrt. Ein ostdeutscher Politiker, der inoffizieller Mitarbeiter der Stasi oder SED-Mitglied war, muss nur zu seiner DDR-Biografie „stehen“ und schon ist alles erledigt. Das lehne ich ab. ...

Anders hätte ich mir die Schulpolitik vorgestellt, die von Marianne Birthler als Schulministerin bestimmt wurde. Das ist wirklich nicht gut gelaufen. Ich wäre gerne beim Abitur nach zwölf Jahren geblieben, doch es wurden dreizehn. Aber wir konnten uns mit den wenigen Leuten, die wir in der Fraktion waren, nicht auch noch ausgiebig mit dem eigenen Ministerium streiten.

1994 bin ich dann noch einmal für das BürgerBündnis zur Wahl angetreten. Wenn ich nicht von den Bürgern abgewählt worden wäre, wäre ich gerne Politiker im Land Brandenburg geblieben, das man meiner Meinung nach Mark Brandenburg hätte nennen sollen. Aber man muss als Politiker damit leben, dass es auch einmal nicht weitergehen kann. Ich schaue jedenfalls zufrieden auf meine Zeit in Brandenburg zurück. ...

Über die Zeit der friedlichen Revolution spreche ich immer noch viel. Als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung werde ich dazu auf vielen Veranstaltungen im In- und Ausland befragt. Mir ist es wichtig, immer differenziert zu berichten. Heute gibt es einen Trend zur Relativierung des politischen Unrechtssystems in der DDR. Dazu wird auch bewusst die Erinnerung der Menschen an den unpolitischen, normalen DDR-Alltag thematisiert. Das stört mich schon.

Es gibt aber 20 Jahre später im Osten immer noch reale Probleme, wie zum Beispiel eine viel geringere Kaufkraft als im Westen. Solche Tendenzen haben auch damit zu tun, dass viele junge Leute ihr Glück in den westlichen Ländern suchen, weil es im Osten zu wenige Arbeitsplätze gibt.

Ein anderes Problem besteht darin, dass frühere westliche Schönredner des sozialistischen Systems und Alt-68er heute auf Lehrstühlen an Universitäten in Ostdeutschland sitzen, ohne sich jemals für ihre Aussagen von damals entschuldigt zu haben. Im Gegenteil, sie haben ihre Ideologie ein bisschen angepasst und ihre eigene Biografie ein wenig korrigiert. Da haben wir Ostdeutschen, meines Erachtens, viel zu wenig widersprochen und uns zur Seite drängen lassen.

Günter Nooke,
geboren am 21. Januar 1959 in Forst/Lausitz, wurde 1990 als Abgeordneter von Bündnis 90 in den Landtag gewählt. Er trat 1993 der vereinigten Partei Bündnis 90/Grüne nicht bei, blieb aber Fraktionsvorsitzender.

Der von ihm mitbegründeten Partei BürgerBündnis gelang 1994 nicht der Einzug in den Landtag. 1996 wurde Nooke Mitglied der CDU, für die er 1998 bis 2005 im Bundestag saß.

Von 2006 bis 2010 war er Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe.


Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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