Alwin Ziel

Rücksichtsvoller Idealist

Innenminister Alwin Ziel 1993; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Innenminister Alwin Ziel 1993

... Ich habe für die erste frei gewählte Volkskammer der DDR kandidiert und wurde gewählt. Genau in den Tagen um die Wahl am 18. März 1990 erhielten meine Frau und ich den Bescheid aus Kanada, wir könnten nun einreisen. Aber wir blieben, und ich wurde Staatssekretär im Sozialministerium unter Regine Hildebrandt, die das Amt der Ministerin nur mit mir als Staatssekretär antreten wollte.

Die Wiedervereinigung war genau das, was wir Sozialdemokraten angestrebt hatten. Sie lag auch ganz in meinem Sinne. Wir wollten nur für einen ganz kurzen Zeitraum zwei deutsche Staaten, obwohl wir befürchteten, der Osten könne wirtschaftlich nicht mithalten. Wir hatten immer die Sorge, die Russen könnten eingreifen. Deshalb durfte nicht zu viel Zeit bis zur Wiedervereinigung verstreichen. Außerdem waren wir nicht nur ideologisch, sondern auch geistig sehr nahe bei den Kolleginnen und Kollegen aus der Regierung unter Lothar de Maizière wie auch aus der Bonner Regierung. Bei der Zusammenarbeit mit den Staatssekretären aus dem Bundessozialministerium von Norbert Blüm (CDU) merkte ich sehr bald, wie ehrlich das Blüm-Ministerium mit uns umging. Es hat uns keine U-Boote geschickt, sondern richtig gut qualifizierte und loyale Mitarbeiter.

Nach Brandenburg hat mich Manfred Stolpe geholt. Während der Verhandlungen über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in das neue Bundesland zu gehen, wenn das DDR-Parlament aufgelöst sein würde. Das konnte ich mir gut vorstellen, weil ich Brandenburg gut kannte. Auch wusste ich, dass Regine Hildebrandt als Kandidatin für die Landtagswahl dorthin gehen wollte. Meine Familie hat mir bei all dem immer den Rücken gestärkt. Noch bevor ich dann am 22. November 1990 Innenminister wurde, habe ich auf Reisen durch Brandenburg die Entwicklung des Landes miterlebt und festgestellt, wie gut den Kommunen und Landkreisen die kommunale Selbstverwaltung tat.

Alwin Ziel
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Für mich als Innenminister war in erster Linie der Aufbau des Landes Brandenburg wichtig. Die Kommunen hatten durch die Verordnung der kommunalen Selbstverwaltung der Regierung de Maizière einen zeitlichen Vorlauf gehabt, aber bei der Polizei mussten wir ganz von vorne anfangen.

Es gab dort viele Menschen, die am Ende ihrer physischen und psychischen Kräfte waren. Sie hatten sich gar nicht alle schuldig gemacht, aber sie hatten das Gefühl, falsch positioniert gewesen, vielleicht auch missbraucht worden zu sein.

Unser Partnerland Nordrhein-Westfalen war für uns ein wichtiger und uneigennütziger Helfer. Zusätzlich zu den vertraglich vereinbarten Transfergeldern hat unser Ministerium dafür von NRW eine große finanzielle Unterstützung erhalten und die Hilfe von westdeutschen Mitarbeitern, die über den normalen Einsatz hinaus arbeiteten.

Ich habe sehr viel von diesen Kollegen gelernt. Denn abends saßen wir oft nach dem Essen zusammen und tauschten uns aus über die Dinge, die dann im Ministerium nachher knallhart durchgearbeitet werden mussten. ...

In Brandenburg ist manches anders gelaufen als in den anderen ostdeutschen Ländern, aber ich will nicht unbedingt sagen, dass es immer besser gelaufen ist. Wir haben versucht, einen Zusammenhalt zu erreichen, indem nicht so scharf zugespitzt und nicht so schnell verurteilt worden ist.

Schwer gefallen sind mir immer Entscheidungen, bei denen Menschen ihre Arbeit verloren haben. Manche Bereiche des Innenministeriums mussten abgewickelt werden, wie beispielsweise die Küche in einer Polizeischule. Als ich diese Polizeischule besuchte und mich Mitarbeiter der Küche wegen der bevorstehenden Schließung ansprachen, habe ich ihnen empfohlen, die Küche selbst zu übernehmen, aber das haben sie sich nicht zugetraut. Die Menschen in der DDR waren genauso intelligent wie die im Westen, aber sie hatten einfach nicht die Erfahrung und den Mut, ein Risiko einzugehen. ...

Meine Vorstellung von der Aufarbeitung der Vergangenheit ging ebenfalls in diese Richtung. Ich war nicht voller Hass wie manch andere. Für mich ist es wichtig, dass wir alle und vor allem unsere Kinder aus der Geschichte lernen. Ich wollte den Menschen, auch denen, die in der DDR falsch gehandelt haben, immer eine Perspektive geben. Zu entscheiden, ob sich dabei jemand strafrechtlich verantwortlich gemacht hat, war meiner Auffassung nach die Aufgabe der Gerichte. Und da war ich ganz begeistert von der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland.

Ich bin auch der Überzeugung, dass Ministerpräsident Manfred Stolpe nie unehrlich war. Er hat mit den Behörden der DDR zusammengearbeitet, weil er sich für Militärdienstverweigerer und Ausreisewillige eingesetzt hat. Das war ein Balanceakt. Daraus sind zu Unrecht Beschuldigungen abgeleitet worden.

Neben ehemaligen SED-Mitgliedern im Landtag zu sitzen, war für mich nicht leicht. Schon in der Volkskammer habe ich manche Rede gegenüber der PDS-Fraktion gehalten, die an Schärfe kaum zu übertreffen war. Aber sie waren demokratisch gewählt, und wir waren angetreten, die Demokratie hochzuhalten. Ihnen zu verbieten, zu Wahlen anzutreten, hätte ich für falsch gehalten. ...

Alwin Ziel,
geboren am 22. April 1941 in Quernau/Westpreußen, ist seit 1990 Abgeordneter für die SPD im Landtag Brandenburg.

Er war ab 1990 zwei Legislaturperioden lang Innenminister des Landes und von 1999 bis 2002 Minister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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