... Von dem sozialistischen System in der DDR war ich überzeugt. Ich war auch Mitglied im FDGB und in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Ich fand, dass es uns nicht schlecht ging. Nach 1989 haben mich Westdeutsche gelegentlich gefragt, wie wir es nur ohne Bananen aushalten konnten. Das hat mich erschüttert. Ich habe geantwortet, ich hätte in der DDR studiert, hätte meinen Beruf trotz meiner Kinder immer ausüben können und keiner von uns hätte etwas vermisst. Das fand ich nach dem Ende der DDR auch erhaltenswert.
Im Jahr 1989 haben wir in den Leitungssitzungen, an denen ich teilnehmen musste, auch über die wirtschaftliche Situation gesprochen. Mir war nicht entgangen, wie es um die Versorgungslage bestellt war. Aber ich fand das nicht so dramatisch. Selbst im Herbst 1989 habe ich immer noch alles mehr von außen betrachtet.
Ich war ein politisch interessierter Mensch, habe Zeitung gelesen und die Nachrichten verfolgt, wenn auch nicht unbedingt Westfernsehen. Aber ich war nicht nahe genug am Geschehen, als dass ich ernsthaft an eine Wende gedacht oder mir Gedanken über die Zukunft der DDR gemacht hätte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass alles zusammenbricht.
Am Tag des Mauerfalls war ich hier in Finsterwalde und habe gearbeitet. Die Geschehnisse in Berlin habe ich nach der Arbeit zuhause am Fernseher verfolgt. Ich bin nicht nach Berlin gefahren, wie andere es getan haben. Später ging ich zu Demonstrationen und Kundgebungen im Ort und habe die Ablösung der Parteivertreter verfolgt. Was uns betrifft, wurde die Kreisärztin, die beim Rat des Kreises angesiedelt war, weggejagt. Ich erinnere mich, dass auf den Kundgebungen Behinderte, auch Kinder, mit einem Schild um den Hals die Ablösung von Parteimitgliedern gefordert haben. Diese Instrumentalisierung konnte ich nicht fassen.
Zur Wendezeit war ich nicht so euphorisch wie andere Leute. Statt der Wiedervereinigung hätte ich mir zwei deutsche Staaten gewünscht. Ich hatte keine Westverwandten, ich hatte nie Westgeld und ich war nie im Intershop. Aber ich hab dann nach der Wende bald verstanden, dass es nicht anders ging, weil die Wirtschaft in einem zu schlechten Zustand war. Leider ist der Einigungsvertrag mit heißer Nadel gestrickt worden, weshalb wir von der PDS gegen ihn gestimmt haben. Wer in der Schule in der DDR aufgepasst hatte, der wusste, was auf ihn zukommt. Es war Kapitalismus, der sich nun richtig entfalten konnte. Es gab ja keinen mehr, auf den Rücksicht genommen werden musste. Das haben die DDR-Bürger dann auch erlebt.
Im Frühjahr 1990 bin ich angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könne, für den Landtag in Brandenburg zu kandidieren. Die Neugründung Brandenburgs als Bundesland fand ich richtig. Eine Aufteilung der DDR in ein nördliches und ein südliches Land hätte ich nicht gut geheißen. Ich hatte den Eindruck, damals suchte die Partei jemanden, der integer war. Ich entsprach diesen Vorstellungen, weil ich zu DDR-Zeiten keine Funktion inne gehabt hatte und auch sonst nicht auffällig gewesen war. ...
Der Wahlkampf war einer meiner schlimmsten Erfahrungen. In Herzberg und Finsterwalde habe ich auf dem Markt gemeinsam mit Gregor Gysi Reden gehalten. Wir standen auf einem Lkw-Anhänger und wurden mit Tomaten und Eiern beworfen. Meine Jacke konnte ich hinterher wegwerfen. Ich habe mich da wirklich gefragt, wofür ich so gedemütigt werde, obwohl ich mich doch so sehr um das Wohl der Kinder gekümmert hatte. Ich konnte das nicht verstehen. Trotzdem wurde ich gewählt. Nach der Wahl erhielt ich ein Telegramm mit dem Inhalt: „Herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Morgen ist Fraktionssitzung.“ ...
Ich empfand mich als Vertreter des Volkes und halte auch die Brandenburger Verfassung, an der die PDS mitgewirkt hat, für eine moderne Verfassung. Aber dass das Volk nun angemessen an allen Entscheidungen beteiligt gewesen wäre, finde ich nicht. Ich kenne nicht einen Volksentscheid oder eine Volksinitiative, die vom Volk gemacht wurde und die der Landtag anerkannt hat.
Ich denke, bei der Frage der Fusion von Berlin und Brandenburg wurde besonders deutlich, dass das Volk mitreden wollte. Die Landesregierung hat es damals einfach nicht verstanden, die Leute zu überzeugen. Stattdessen haben sich die Brandenburger von den Abgeordneten des ersten Landtags nicht vertreten gefühlt, sondern dachten, sie würden „untergebuttert“. Auch in den Bereichen Bildung und Gesundheit haben sie gedacht, dass sie solche Veränderungen nicht gewollt haben. Dabei haben die Abgeordneten selbst alle in der DDR gelebt und wussten, wovon sie reden. Aber sie haben die DDR verteufelt. Und das war aus meiner Sicht nicht richtig. ...
In Brandenburg ist wirtschaftlich kaum etwas anders gelaufen als in den anderen neuen Bundesländern. Das Land ist mehr oder weniger Bestandteil der gesamten wirtschaftlichen Lage des Ostens. Ich bin davon überzeugt, dass sich durch Regine Hildebrandts sozialpolitisches Engagement einiges bei uns besser entwickelt hat als in anderen neuen Ländern. Aber insgesamt kann man nicht sagen, dass es nun für Brandenburg besonders gut oder schlecht war.
Ich glaube, heute herrscht eine völlig andere Stimmung als zur Wendezeit, weil die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander gegangen ist. Wir erleben zurzeit ja nicht nur eine Finanzkrise, sondern eine gesellschaftliche Krise. Insofern müssen wir schauen, wo der Weg hinführt. Man sieht jetzt, dass die Leute mit dem, was sie jetzt haben, auch nicht zufrieden sind. Was in den nächsten 20 Jahren auf uns zukommt, wird besonders spannend sein.
Die DDR will ich nicht mehr zurück haben. Aber wenn man eine wirkliche Einheit gewollt hätte, hätte man die guten Sachen aus beiden Systemen zusammenführen müssen. Auch in den Köpfen der Menschen hat sich die Einheit nicht vollzogen. Keiner weiß vom anderen genug. Leider werde ich zu der damaligen Zeit außerhalb der Familie viel zu wenig befragt.
geboren am 17. September 1940 in Finsterwalde/Brandenburg, war von 1990 bis 2003 Abgeordnete der PDS-LL bzw. der PDS im Landtag Brandenburg.
2003 ist sie während ihrer dritten Legislaturperiode in den Ruhestand getreten.
Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010
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