... Wenn ich es heute bedenke, haben wir nach 1990 über unsere Finanzverhältnisse gelebt. Wir haben zu viel zu schnell finanziert. So ist es auch zu mancher Fehlinvestition gekommen. Einige Krankenhäuser, die wir mit Regine Hildebrandts Kraft zu gut ausgestatteten Spezialkrankenhäusern umgebaut haben, sind heute wieder ganz normale Polikliniken wie zuvor. Sie haben sich nicht bewährt, da die Patienten für Untersuchungen von einem Krankenhaus zum anderen reisen mussten. Wenn das dann noch mit dem Krankenwagen geschah, war das für alle Beteiligten besonders teuer.
Auf anderen Gebieten haben wir ebenso fehlinvestiert. Das muss ich auch meinem Kollegen Walter Hirche, dem damaligen FDP-Wirtschaftsminister in Brandenburg, anlasten. Zu viel Geld ist im Rahmen der Wirtschaftsförderung an Kommunen geflossen, so dass es im Land viele Gegenden mit gut ausgebauten Straßen, Abwässeranschlüssen und Laternen gibt, aber ohne die erhofften Industrieansiedlungen. So wurden bei vielen Menschen Hoffnungen geweckt, die sich nicht erfüllten. ...
Die Kabinettssitzungen in Brandenburg empfand ich als ermüdend und über Gebühr lang. Es gab lange Tagesordnungen, die abgearbeitet wurden, wobei jeder genau wusste, was er wollte. Es hat mich manchmal schon genervt, wenn von einigen Kollegen untergeordnete Punkte ausführlich diskutiert wurden.
Einmal ging es beispielsweise um eine kleine Hutfabrik mit etwa 40 Beschäftigten. Diese Fabrik sollte Geld für neue Maschinen bekommen, aber ob die Hüte auch verkauft würden, war in solchen Diskussionen zweitrangig.
Ein andermal wurde über Tomaten aus Europa contra Braunkohle-Tomaten aus eigenen Landen diskutiert. Die heimischen Anbieter ärgerten sich über das Angebot aus Spanien oder Holland, obwohl bekannt war, dass ihre Tomaten von Braunkohlestaub belastet waren. Denn die privaten Gärtner heizten wie zu DDR-Zeiten die Gewächshäuser mit Braunkohle.
Dann hat die Landesregierung das Heizen der Gewächshäuser mit Briketts aus Umweltschutzgründen verboten und diesem Lamento ein Ende bereitet. In der Folge mussten aber Braunkohlefabriken wie auch Gärtnereien schließen.
Wolfgang Birthler, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, warf uns natürlich vor, dass dadurch Menschen ihre Arbeit verlören. Ich war aber zu der Auffassung gekommen, dass die Regierung nicht alle in Lohn und Brot halten könne.
Viele Verhandlungen haben sich so bis in die Nächte gezogen, weil Ministerpräsident Stolpe im wahrsten Sinne des Wortes nicht müde wurde. Wenn es abends länger dauerte, bis ein Tagesordnungspunkt beschlossen war, dann dauerte es eben länger. Wir hatten am Wochenende auch nicht generell frei, sondern immer musste einer von uns Ministern, sehr zum Missfallen meiner Frau, mit Manfred Stolpe samstags oder sonntags auf Besichtigungstour durchs Land fahren. Nach Braunschweig konnte ich dann oft nicht mehr. Das empfand ich auch als kräftezehrend.
Die politische Arbeit war natürlich durch die stabile Mehrheit der Koalition sehr erleichtert. Die CDU war zu der Zeit mehr oder weniger zerstritten, und die PDS hat sich am Anfang nicht so massiv gerührt. Leider bin ich dann im Jahr 1995 quasi aus dem Kabinett geworfen worden, obwohl ich mittlerweile ordentlich gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Senftenberg war.
Ich war von Anfang an gegen eine Fusion der Länder Berlin und Brandenburg, wie Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister von Berlin, sie planten. Allein schon wegen der Bevölkerungszahl Berlins war ich davon überzeugt, dass die Berliner Abgeordneten immer mehr an der Zahl sein würden als die Brandenburger Parlamentarier. Auch die Ost-Berliner Abgeordneten haben nicht automatisch Brandenburger Interessen vertreten.
Ich habe dann zunehmend meine ablehnende Haltung geäußert und am Ende ein Bild von der Tasse und dem Schwamm gebraucht: Berlin liegt in Brandenburg, welches ein wasserreiches Land ist. Mitten in diese Suppenschüssel setzt sich Berlin und saugt alles auf. Das hat gewirkt. Bei der Volksabstimmung haben die Brandenburger Bürger die Fusion abgelehnt. Ich wurde sodann für Brandenburg und Berlin in die Deutsche Bundesbank „weggelobt“. ...
geboren am 30. Oktober 1943 in Heerlen/Holland, war für die SPD Abgeordneter im Landtag Niedersachsen und im Bundestag, bevor er 1990 als Finanzminister nach Brandenburg kam.
1994 wurde er im Wahlkreis Oberspreewald-Lausitz II direkt in den Landtag gewählt und erneut Finanzminister. Ein Jahr später wechselte er als Präsident der Landeszentralbank von Berlin und Brandenburg zur Deutschen Bundesbank. Er trat 2002 in den Ruhestand und verstarb am 7. Juli 2023.
Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010
Teilen auf
Neuen Kommentar hinzufügen