Es gibt offenbar eine verborgene Brandenburger Identität. Lasst uns also das Land der Brandenburger mit der Seele suchen, so wie einst Goethes Iphigenie in der Verbannung das Land der Griechen suchte, als es noch keine Smartphones gab.
Computer wissen vielleicht nicht alles über uns, aber doch viel mehr als wir ahnen. Während einer abendlichen Gesprächsrunde vor nicht langer Zeit griff einer der Anwesenden zum Smartphone und verkündete, eine App könne nach nur 24 Fragen mit ziemlicher Sicherheit sagen, aus welcher Gegend des deutschen Sprachraums man stammen würde. Frage sieben lautete beispielsweise: Wie nennen Sie »warme, manchmal ausgetretene, Hausschuhe?« Im Angebot waren: Latschen, Pantoffeln, Schlapfen / Schlappen, Puschen, Patschen, Finken, Schluffen, Schluppen, Hausschuhe und Bambuschen.
Woher kommst du?
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Das Resultat der Befragung war verblüffend. Das Programm bot fünf Varianten in der Reihenfolge ihrer Wahrscheinlichkeit an. Zielgenau verorteten mich alle fünf Varianten im Land Brandenburg. »Fauler Trick«, protestierte ein Teilnehmer der Runde, »das Programm erkennt die Postleitzahl des Users.« Doch der Gegencheck einige Tage später, und von einem anderen Ort gestartet, war noch genauer. Er gab sogar eine Kleinstadt an, die nur wenige Kilometer von meinem Wohnort Frankfurt (Oder) entfernt liegt.
So wie ich das Land bisher für eine recht willkürliche Zusammenfügung aus dem Berliner Speckgürtel, einigen ferner gelegenen Ausflugszielen und einigen Relikten der planwirtschaftlichen Strukturpolitik gehalten haben, so meinte ich auch, mein Wohnort an der Oder sei dem Zufall geschuldet. Was ich mir selbst nie zugestanden hätte, hat die unbestechliche Suchfunktion des Computerprogramms ans Licht gebracht. Ich bin ein Brandenburger – als solcher auf jeden Fall am Sprachgebrauch erkennbar, vielleicht auch an der Mentalität, am Charakter, an der Kleidung, am Aussehen und weiß der Teufel an welchen anderen Kennzeichen noch. Es gibt offenbar eine verborgene Brandenburger Identität. Lasst uns also das Land der Brandenburger mit der Seele suchen, so wie einst Goethes Iphigenie in der Verbannung das Land der Griechen suchte, als es noch keine Smartphones gab.
Wo liegt Brandenburg?
Die einfachste Antwort lautet: Wenn man im Regionalexpress sitzt und draußen huscht nicht nur mal ein einzelner Baum oder wildes Gesträuch vorüber, sondern es bleibt je nach Jahreszeit grün, herbstlaubgolden oder winterlich grau – dann ist man in Brandenburg. Der Horizont wird weit und der Himmel hoch. Endlose Felder und Baumgruppen zuckeln vorüber, gelegentlich sanfte Hügelketten, einsame Chausseen und verschlafene Bahnstationen. Der Schaffner kennt die meisten Reisenden persönlich und winkt nur ab, wenn Sie eilfertig nach ihrer Monatskarte greifen. Solange noch Reisende im Zug sind, lässt er sich gerne zu einem Schwätzchen nieder. Nach jedem Haltepunkt wird der Zug leerer. Die Aussteigenden werden meist von Autofahrern erwartet und verschwinden schnell in den Brandenburger Weiten.
Die Landschaft, so liest man überall, ist durch die Eiszeit geprägt und das scheint noch gar nicht so lange her zu sein. Vor 12.000 Jahren tauten die Gletscher ab, ließen Grund- und Endmoränen, Gletscherseen und Findlinge zurück. Das Eiswasser floss zurück durch breite Urstromtäler, die der kundige Beobachter heute noch in der Landschaft erkennt. Mit einem bisschen guten Willen, kann man die Landschaft, die der Zug durchquert, reizvoll finden. Viel ist in den Zeitungen von den Wölfen die Rede, die auf ihren alten Wanderwegen nach Brandenburg zurückkommen. Man glaubt es gerne, auch wenn man noch nie so ein Tier in freier Wildbahn gesehen hat. Auch einen roten Adler hat hier noch niemand gesichtet. Er kommt in Brandenburgs inoffizieller Hymne vor. Dort schwebt er »hoch über Sumpf und Sand« und das ist gar nicht abwertend gemeint.
Das Lied von der Märkischen Heide, so berichtet die Legende, ist 1923 erstmals in einer Jugendherberge erklungen. Und die Gruppe Wandervögel, die es zur Klampfe sang, kam mit Sicherheit aus Berlin und kehrte nach der Landpartie dorthin zurück. So wie auch Theodor Fontane, der diesen Landstrich literaturfähig machte, Kurt Tucholsky, der Rheinsberg als Schauplatz einer zauberhaften Liebesgeschichte wählte oder Bertolt Brecht, der sich in Buckow vom Theaterstress erholte. Die echten Brandenburger Geistesgrößen dagegen, wie Heinrich von Kleist, Gottfried Benn oder Klabund landeten früher oder später in der Metropole.
Alle Wege führen nach Berlin oder sie kommen von dort. Das große Loch in der Mitte Brandenburgs ist zugleich geistiges und wirtschaftliches Zentrum des Landes. Das macht jede Geschichte Brandenburgs so schwierig.
Was ist Brandenburg?
Fährt man mit dem Zug in Richtung Osten erfolgen die Durchsagen auch auf Polnisch. Darüber wundert sich niemand mehr. Am wenigsten die Polen, die fast alle Deutsch sprechen. Irgendwie ist das Land slawisch geblieben. Mancher Rheinländer, wie der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, wähnte sich östlich der Elbe bereits in Sibirien. Das ist übertrieben, doch bis Wladiwostok zieht sich ein einheitlicher Waldgürtel, der kaum noch landschaftliche Abwechslung bietet. In grauer Vorzeit lebten hier ostgermanische Stämme, wie die Burgunder oder Vandalen. Als die Völkerwanderungszeit begann, ergriffen sie die Gelegenheit, nach Italien, Gallien, Spanien oder Nordafrika zu ziehen. Dort erwarben sich die Vandalen den guten Ruf, der sie bis heute populär macht.
Die Sehnsucht nach dem Süden ist den Brandenburgern geblieben. Selbst in fast leergezogenen Stadtsiedlungen gibt es neben dem Beerdigungsinstitut ein Reisebüro mit bunten Bildern ferner Gestade. Die slawischen Stämme hatten keine Schwierigkeiten in den Landstrich zwischen Oder und Elbe vorzurücken. Für Jahrhunderte prägten sie die Region. Fast alle Orts-, Gewässer und Flurnamen sind slawischen Ursprungs. So auch Brennaburg, das eine Art Hauptort der Slawen war, und der Stadt und dem Land den Namen gab. Noch in der frühen Neuzeit sprach man in den Dörfern und sogar in den Fischersiedlungen vor den Toren Berlins überwiegend Wendisch.
Seit dem 10. Jahrhundert dehnten die Deutschen, wenn man sie in dieser Zeit schon so nennen möchte, ihre Macht in Richtung Osten aus. Es entstand das Kurfürstentum Brandenburg, das 1415 in die Hände der Hohenzollern fiel. Sie rafften, raubten und heirateten Länder zusammen, ließen sich 1701 zu Königen in Preußen krönen und rafften weiter bis das Land eine europäische Großmacht war. Die Mark Brandenburg war zwar das Kernland des Staates und bis 1701 namensgebend, aber faktisch war es immer nur Anhängsel einer fragwürdigen Staatsidee und einer ausgreifenden Machtpolitik.
Der rote Adler war bestenfalls der kleine Artgenosse des schwarzen Adlers, jenes preußischen Raubvogels, der lange über Europa kreiste. Der stieg nun im Unterschied zum roten Adler wirklich hoch und stürzte tief. Brandenburg war in jenen gloriosen Zeiten nur noch ein Name, keine geschichtliche Größe mehr. »In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs!« tönte Heinrich von Kleists Schlusssatz des »Prinzen von Homburg«. Das Stück wäre nationalistisch verfälscht worden, so hört man. Doch auch zum Verfälschen gehören immer zwei Seiten. Die eine, die verfälscht, und die andere, die sich nur allzu leicht verfälschen lässt.
Irgendwie war Brandenburg in jenem engen Sinne als Mark Brandenburg dennoch Teil des preußischen Geistes, der jahrzehntelang als Ungeist geschmäht wurde, andererseits war das Land viel zu arm und schäbig für Eroberungsgelüste und Herrschaftsträume. Wer möchte schon vom Oderbruch aus die Welt in Angst und Schrecken versetzen? Dies gilt für Potsdam nicht, jene schöne Metropole aus dem Geist der Aufklärung und des Kasernenhofes. In seinen Gärten und Straßen dominiert die geometrisch gerade Linie der barocken Gartenkunst und der Truppenparade. Historisch liegt Brandenburg also zwischen lauter Gegensätzen. Das macht jede Identifikation mit Brandenburg so kompliziert.
Was bedeutet uns Brandenburg?
Im Sommer 1990 bereiste der amerikanische Historiker Gordon A. Craig die DDR-Bezirke Potsdam und Frankfurt /Oder. Er hatte sich ein ganzes Historikerleben mit Deutschland, speziell mit Brandenburg-Preußen, beschäftigt. Die Schauplätze von Fontanes Reiseskizzen und Romanen aber sah er zum ersten Mal und er machte in seinem Essay über die Reise keinen Hehl aus dem Entsetzen über den Zustand der historischen Orte.
Überall begegneten ihm Verfall und Lieblosigkeit im Umgang mit den historischen Baudenkmalen, ausgestorbene Städte und dazu noch schlechte Bedienung und noch schlechteres Essen in den wenigen Restaurants. Craig kam kurz vor der Währungsumstellung, also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt in die sterbende DDR. Doch was er sah, war nicht erst in jenen Tagen entstanden. Es war das Resultat eines vier Jahrzehnte dauernden bestenfalls halbherzigen Umgangs mit dem historischen Erbe.
Die angebliche »Preußenwelle«, die zur spektakulären Wiedererrichtung des Reiterdenkmals Friedrich II. Unter den Linden in Ost-Berlin geführt hatte, war in Orten wie Rheinsberg oder Paretz nicht angekommen. War es böser Wille der politisch Verantwortlichen, Unfähigkeit, Geschichtsvergessenheit, Mangel an Baustoffen und Handwerkern? In der Realität wohl eine Mischung aus alledem.
Wer heute mit offenen Augen durch Brandenburg fährt, wird den Riesenfortschritt nicht übersehen können. Rheinsberg ist wieder ein Schmuckstück, wie zu Zeiten von Kurt Tucholsky. Das Schlösschen Paretz, wo Kronprinz Friedrich Wilhelm III. und seine Gattin Luise glückliche Sommertage verbracht hatten, ist hervorragend restauriert. Wo immer man Station macht, trifft man auf renovierte Innenstädte, Museen und an guten Gaststätten gibt es keinen Mangel.
Die Brandenburger Ministerpräsidenten seit 1990, speziell Manfred Stolpe, haben viel getan, die guten Seiten des Brandenburger Geistes wieder zum Leben zu erwecken. Sie beriefen sich gerne auf das Edikt von Potsdam, das 1685 die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten einlud, nach Brandenburg zu kommen. Auch Friedrich II. wurde nun nicht mehr nur als Kriegsherr betrachtet, sondern auch als der Philosoph auf dem Königsthron gewürdigt, der gesagt haben soll, jeder möge nach seiner Façon selig werden, der das Oderbruch kultivierte und den Kartoffelanbau verfügte. Solch gute Taten wird jeder gerne loben und als Vorbild für die Gegenwart begreifen. So entstand eine Art moderne Staatsräson des neuen Brandenburg seit 1990.
Wenn auch immer noch viele Landeskinder weglaufen, um im Süden oder Westen der Bundesrepublik Studienplätze, gute Jobs und Lebensglück zu finden, so liegt es mit Sicherheit nicht am Mangel an Toleranz und Weltoffenheit. Die Folgen der sozialistischen Planwirtschaft sind auch nach 30 Jahren noch nicht überwunden. So wie die alte Grenze zwischen Germanen und Slawen entlang der Elbe-Saale-Linie auch nach über tausend Jahren noch deutlich zu erkennen ist, wird es seine Zeit dauern, bis die Grenze zwischen Ost und West überwunden sein wird.
Hinzu kommt: Wer auch immer hier regiert, es bleibt ein karges Land. Wer das Land der Brandenburger mit der Seele sucht und schließlich findet, braucht ein bisschen Sinn für treue Pflichterfüllung und einen Hauch von jenem unpathetischen Enthusiasmus, der das Land auszeichnet.
Hilfreich dabei ist vielleicht eine App, die man auf das Smartphone downloaden kann. Dort ließe sich die Frage stellen: Was ist ihre Lieblingsperiode in der Geschichte: Die Saurierzeit, die Trichterbecherkultur oder die Eiszeit? Klar, was hier Pluspunkte bringt. Wer dazu noch Fontane, frei lebende Wölfe und Kartoffeln liebt, ist hier richtig und wird hier gerne bleiben.
Stefan Wolle
Aus: Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 3. Auflage, Potsdam 2020
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Kommentare
KommentierenRoter Adler
Mir ist noch geläufig, dass mit dem Roten Adler ursprünglich ein Milan gemeint war. Der war aber nicht so klang- und würdevoll. So wurde aus dem Roten Milan der Rote Adler.
AW: Roter Adler
Diese Legende hält sich tatsächlich hartnäckig in Brandenburg. Die Wappenforschung nimmt indessen an, dass die Markgrafen Brandenburgs als königliche - beziehungsweise kaiserliche - Amtsträger den Reichsadler von ihrem Lehnsherrn übernommen hatten. Dieser war ursprünglich schwarz, aber eben ein Adler und kein Milan. Um 1170 zeigte sich das Tier, das für Mut, Kraft und Weitblick steht, erstmals nachweislich im Siegel des Askaniers Otto I. Das aus dem Ostharz stammende Adelsgeschlecht regierte die Mark seit 1157. Verbreitet ist die These, dass der Farbwechsel von Schwarz zu Rot die Unabhängigkeit vom Lehnsherrn demonstrieren sollte. Mit den besten Grüßen Ihre Landeszentrale
Preußischer Geist
" Irgendwie war Brandenburg in jenem engen Sinne als Mark Brandenburg dennoch Teil des preußischen Geistes, der jahrzehntelang als Ungeist geschmäht wurde"
Dieses Zitat beschreibt das Dilemma, vor welchem eine Brandenburger Identität im Wege stehen könnte ziemlich gut. Dabei scheint mir die Lösung dieses Knotens ziemlich einfach. Dieser Satz skizziert das Problem, deutet aber auch in die Richtung einer möglichen Lösung.
Wenn wir uns trauen würden ganz offen in ein Preußen Brandenbruger Prägung und ein Preußen deutschnationaler Präung zu unterscheiden, wäre das Problem gelöst. vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jh. war hier Brandenburg. Es galten Brandneburger Grundsätze, es galt der Brandenburger Geist. Wir waren multiethnisch, wir waren multilingual und es war uns egal woher jemand kam und wie er sprach, wir sprachen alle irgenwas und kamen irgendwo her, wir mußten hier nur gemeinsam dieses Land bewirtschaften. Nach den Napoleonische Kriegen entwickelte sich das nationale Denken, so auch das deutschnationale und das war dann das Ende des Brandenburger Preußen und der Beginn des deutschnationalen Preußen.
Ersteres kann und muß man mögen, letzteres kann und darf man nicht mögen. Das stört uns Brandenburger aber auch nicht, weil wir ja mit dem gleichen Groll auf dieses Preußen schauen dürften. Also einfach Mehr Brandenburg wage! Wie jede andere Region Deutschlands und Europas haben wir unsere eigene Geschichte und unsere Eigenarten. Und das sollten wir pflegen, verstärken und deutlicher zur Schau stellen. Es kann so einfach sein!
P.S. Zum im Artikel anklingende "kriegerischen" Alten Fritzen. Auch das sollten wir vermeiden und uns diesen Schuh nicht anziehen. Der Alte Fritz war definitiv mehr Brandenburger als er "Deutscher" gewesen sein mag. Preußen insgesamt, aber auch Preußen während der Regentschaft Friedrich des Großen war in deutlich weniger Kriege verwickelt als gemeinhin angenommen. Andere europäische Mächte lagen da deutlich weiter vorn. Und schaut man sich Auslöser und Umstände der Auseinandersetzungen an, so wird das Bild noch freundlicher.
Dieses "kriegerische Preußen" ist eigentlich auch nur so eine Legende, Christopher Clark meint sogar, daß es eine recht junge Legende sei, die mehr oder weniger mit der Präambel zur Auflösung des Freistaates Preußen nach dem 2. WK in die Welt gesetzt wurde und gleichzeitig eine therapeutische Wirkung auf den Aufbau Nachkriegsdeutschlands gehabt hätte: "WIR waren das nicht, es waren DIE; und DIE gibt es nicht mehr"
Wann wird es das Buch wieder
Wann wird es das Buch wieder geben? Ein großartiges Buch!
Das Brandenbuch
Sehr geehrter Gast,
vielen Dank für Ihr Lob zum "Brandenbuch". Wir freuen uns über das riesige Interesse und planen deshalb auch einen Nachdruck. Einen genauen Termin können wir jedoch noch nicht sagen. Sobald es wieder verfügbar ist, informieren wir darüber auf unserer Webseite und in unserem Newsletter. Wenn Sie sich für den Newsletter angemeldet haben, erhalten Sie die Mitteilung automatisch, ansonsten klicken Sie sich gern immer mal wieder bei uns ein.
Wir wünschen weiterhin viel Spaß mit der Lektüre.
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