Peter-Michael Diestel

Ein Freigeist - kein Parteisoldat

Peter Michael Diestel 1994
© Simone Römhold

... Politisch aktiv geworden bin ich, weil ich aus dieser dumpfen staatlichen Hülle DDR raus wollte. Es saßen Leute im Politbüro, die nicht reden konnten, die kein Auftreten hatten, die nicht argumentieren konnten. Sie hatten kein Sendungsbewusstsein und kein Ziel und waren nur aufgrund ihrer Durchschnittlichkeit in diesem Apparat befördert worden. So eine Situation wollte ich nie wieder zulassen. Mein Wille zur Gestaltung war enorm, weshalb ich von meiner Familie und von Freunden gebremst werden musste.

Die Wiedervereinigung, die ich im Wesentlichen als Stellvertreter des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière und Innenminister mitgestalten durfte, war zu dem Zeitpunkt mein Lebensziel. Dafür haben ich und andere unsere Berufe aufgegeben. Wenn ich an die Gesprächsrunde im ersten frei gewählten DDR-Kabinett denke, mit Professoren, mit Theologen, erinnere ich mich an viel geistige Substanz. Die Kollegen aus dem Westen haben über uns gelächelt, weil wir ihre Parteipolitik nicht verstanden haben, auch nicht verstehen wollten. Aber was ist die deutsche Einheit gegen den Wahlsieg einer Partei? ...

Ich hätte bei der Neugründung der Länder allerdings ein nördliches und ein südliches Bundesland favorisiert mit einer politisch selbständigen Einheit Berlin in der Mitte. Leider ist ein auf Kleinstaaterei und parteipolitisches Denken ausgerichtetes Bundessystem auf den Osten gestülpt worden. Ich empfand dies damals als verpasste historische Chance, obwohl ich heute sehe, dass sich in Brandenburg Strukturen konsequent und folgerichtig entwickelt haben.

Auch hat Brandenburg seine eigene Identität entwickelt, was man schon daran erkennt, dass die Bevölkerung keine Vereinigung mit Berlin wollte. Ich finde es herrlich, dass das Volk einfach „Nein“ gesagt hat. Ich bin mir aber sicher, dass die nach der Wende geschaffenen staatlichen Kreis- und Länderstrukturen irgendwann zu korrigieren sind. ...

Als Vorsitzender des Innenausschusses sowie als Oppositionsführer war ich mit vielen Dingen beschäftigt. Aber besonders war mir an einem harmonischen Umgang mit den Menschen aus der früheren Zeit gelegen. Denn ich glaube, der Blick nach vorne war erst einmal wichtiger als der Blick zurück.

Das heißt nicht, dass man die Aufarbeitung der Vergangenheit vernachlässigen darf. Wer etwas leisten konnte, den brauchten wir. Ich bin daher gegen jegliche Ausgrenzungsaktivitäten vorgegangen und halte es nach wie vor für richtig, dass wir im Land Brandenburg die Entscheidung der Wähler akzeptiert haben, und nicht wie in Dresden gigantische Prozesse angestrengt haben, um beispielsweise ehemalige IM los zu werden. Ich hatte keine Probleme damit, dass frühere SED-Genossen plötzlich mit im Landtag saßen. Wir sind in Brandenburg einen sehr klugen Weg gegangen.

Mit der Politik aufgehört habe ich vor allem, weil meine politischen Inhalte in der CDU nicht mehrheitsfähig waren. Ich hatte noch als DDR-Innenminister und Mitgestalter der deutschen Einheit den SED-Genossen und 100.000 hauptamtlichen Stasi-Leuten, den über 100.000 IM, den Grenztruppen und den Offizieren der Nationalen Volksarmee, der Polizei und anderer bewaffneter Organe Menschlichkeit versprochen, die nicht eingetreten ist.

Es war eine friedliche Revolution, die es ohne das Umdenken und das Ablegen der Waffen bei den ehemals Herrschenden nie gegeben hätte. Auch die deutsche Einheit hätte es nie gegeben, wenn Lothar de Maizière und ich diesem Personenkreis gesagt hätten: Liebe Freunde, wenn die deutsche Einheit kommt, dann verlängern wir rückwirkend Verjährungsfristen, um euch alle kriegen zu können. ...

Bis heute beschäftige ich mich regelmäßig mit der Revolution in der DDR, werde danach gefragt, gebe Interviews. Allerdings bin ich noch nie zu einer Gedenkveranstaltung zur deutschen Einheit eingeladen worden, was mich sehr wundert.

Wir müssen aber dafür sorgen, dass nicht weiterhin von Westdeutschen so dümmlich und undifferenziert über die DDR geredet wird wie jetzt. Sonst werden wir die deutsche Einheit mental zerstören und die Ossis wollen wirklich die DDR zurück. Dann wird sie in ihren Augen eine wunderschöne, harmonische, biedermeierliche Gesellschaft gewesen sein, die sie nie war. Wir werden sie immer verteidigen, wenn andere die DDR als Unrechtsstaat in Gänze deklarieren und 17 Millionen Menschen zu Tätern machen.
 

Dr. Peter-Michael Diestel,
geboren am 14. Februar 1952 in Prora auf Rügen, wurde 1990 als Abgeordneter der CDU in den Landtag Brandenburg gewählt, wo er bis 1992 den Fraktionsvorsitz innehatte.

Diestel gestaltete für die CDU die Brandenburgische Verfassung mit und war 1992 neben Gregor Gysi (PDS) Mitinitiator der parteiübergreifenden „Komitees für Gerechtigkeit“.

1994 wurde er nicht wieder in den Landtag gewählt. Er ist als Rechtsanwalt in Potsdam tätig.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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