... Als ich 1966 in die SED eintrat, war ich mit einem ausgeprägten sozialen Engagement dabei, so wie ich zuvor ein überzeugter FDJler gewesen bin. Meine Eltern, die beide Behinderungen hatten, waren nicht begeistert von dieser Entscheidung, aber sie akzeptierten sie, weil sie fanden, dass ein soziales Element auch in der SED gegeben war.
Mein Vater war 1952 aus der SED ausgetreten, nachdem sie zur „Partei neuen Typus“ umgeformt wurde, während ich schon früh zu Hause dagegen gekämpft habe, dass meine Familie immer Westfernsehen schaute. Aber mir wurde klargemacht, ich könne ja schlafen gehen. ...
Das Verbot der Zeitschrift Sputnik 1988 hatte uns in der Partei erstmals verunsichert. Die Wirkungen solcher Maßnahmen waren nicht immer ermutigend. Ich habe noch sehr gut die Diskussion in Erinnerung, als wir unter uns gesagt haben, es darf nicht zu Betrug bei der Kommunalwahl kommen. Der wurde dann am Ende trotzdem organisiert. Es war eine aberwitzige Situation: Man wusste, dass der Betrug durch das Neue Forum auffliegen würde, dass die Auszählung beobachtet würde, und trotzdem wurde alles von der Staatssicherheit unternommen, dies durch einen Beauftragten bei den öffentlichen Auszählungen in den Wahllokalen zu unterbinden.
Damit hatte sich das System selbst infrage gestellt. Und damit stand für mich die Frage, wie lange mache ich das mit, wenn ich in so einer Verantwortung bin. Distanziere ich mich oder versuche ich, etwas zu verändern. Aber in dieser Situation musste ich einfach Farbe bekennen. Und da sind wir in der innerparteilichen Auseinandersetzung offener geworden. ...
Um 20 Uhr fuhr ich zur Glienicker Brücke und habe gesehen, wie nachts die Grenze aufgemacht wurde. Das haben die Grenzpolizisten jeweils selbst entschieden. Ich fand das souverän. Da ist mancher Grenzsoldat und auch Offizier über sich hinaus gewachsen. Sie haben sich als gute Bürger erwiesen.
Der Fall der Mauer war aber für mich noch kein hinreichender Grund, über meine künftigen politischen Aktivitäten nachzudenken, denn wir wollten ja eine bessere, modernere und demokratischere DDR. Doch die Entwicklungen überschlugen sich und ich war auf einmal hier in Potsdam derjenige, dem der Hut aufgesetzt wurde. Da wäre ich ein Opportunist gewesen, wenn ich davongelaufen wäre. Nein, meine Weggefährten haben erwartet, dass ich mich der Verantwortung stelle. Es waren ja keine leichten Aufgaben zu bewältigen, wenn man beispielsweise an die Auflösung des Apparats der SED denkt. Vor allem haben Gregor Gysi, Lothar Bisky und mein leider schon verstorbener Freund Michael Schumann gesagt, sie hätten alle keine Ahnung von der Partei, das müsste ich schon machen. Im Sommer 1990 dann wurde ich zum Landesvorsitzenden der PDS in Brandenburg gewählt. ...
Während wir am Anfang noch gedacht haben, wir werden „besetzt“, haben wir dann doch gesehen, wie sich die Kollegen aus den alten Ländern bei der Schaffung der Verwaltungs- und Rechtsstrukturen eingebracht haben. Viele haben auch persönliche Opfer gebracht. Sie haben bisherige Lebensläufe verlassen, um sich in ein Abenteuer hierher zu begeben, und ich finde einfach, das verdient Anerkennung und Respekt. Gleichzeitig glaube ich, viele aus dem Westen haben verstanden, dass wir von den Linken eben nicht nur Buhmänner sind. Dass nicht immer alles das System gefährdet, sondern manchmal auch einfach nur dazu beiträgt, eine vernünftige Lösung im Interesse der Menschen zu finden. Insofern haben alle etwas dazugelernt in Ost und West.
Ich habe mich in den ersten Jahren in Brandenburg natürlich auch besonders für die Interessen der im Osten Lebenden eingesetzt. Denn die Ungleichbehandlung war ja nicht nur eine Frage der Rhetorik, sondern sie war bei der Anerkennung von Schulabschlüssen, bei den Renten oder auch in der Frage des Eigentums an Grund und Boden für viele real. Später sind glücklicherweise manche dieser Festlegungen korrigiert worden.
Andererseits haben wir als Oppositionspartei manches aus Prinzip ablehnt, wie zum Beispiel den Haushalt, aber die Fraktionsmitglieder haben nie unter Fraktionszwang gestanden. Als Linke haben wir mit vielen Niederlagen umgehen müssen. Ein Erfolg war manchmal, wenn ein Antrag von unserer Fraktion erst abgelehnt wurde, die Regierung dann aber einen Entschließungsantrag mit gleich lautendem Text einbrachte. Den konnte sie dann mit ihren Stimmen in Kraft setzen, und wir konnten auch zustimmen.
Trotz solcher Umwege hatten wir nie das Gefühl der Ausgrenzung seitens der anderen Parteien. Damals spielten Bürgerrechtler wie Matthias Platzeck und Marianne Birthler, Leute wie Peter-Michael Diestel und Karl-Heinz Kretschmer von der CDU wie auch Wolfgang Birthler von der SPD eine ausgleichende Rolle. Ich wäre ja als Erster, sozusagen als Aushängeschild, zu bekämpfen gewesen. Aber ich bin von Anfang an in dieser Runde akzeptiert worden.
Andererseits wurde Anfang der 90er Jahre Manfred Stolpe von manchen Bürgerrechtlern sehr stark kritisiert, was ich persönlich ungerecht fand. Er hat zu DDR-Zeiten im Interesse der Kirche und der von Sicherheitsmaßnahmen der DDR betroffenen Kirchenvertreter Gutes getan. Er hat mit uns von der Partei darüber geredet, was man tun könne und ob wir nicht doch mal helfen. Er hat für den Einzelfall gekämpft wie für den Platz der Kirche in der Gesellschaft.
Leider wurde die Aufgeschlossenheit uns Linken gegenüber, die sich die CDU am Anfang leisten konnte, Ende der 90er-Jahre nicht mehr geduldet. Auch der sachgemäße Umgang der SPD mit uns, der am Anfang normal war, wurde dann von der SPD-Führung unter Rudolf Scharping nicht mehr geduldet. ...
geboren am 19. September 1947 in Zeitz/Sachsen-Anhalt, war seit 1990 für die PDS-LL Abgeordneter des Landtags.
Bis 1994 fungierte er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, danach war er bis 2007 Parlamentarischer Geschäftsführer der PDS bzw. der Partei Die Linke.
Von 2004 bis 2007 gehörte er dem Landtagspräsidium an. 2009 kandidierte er nicht mehr für das Landesparlament.
Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010
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