Brandenburch. Grausame Wahrheiten zur Regionalsprache

Dieses Kapitel enthält eine schlechte Nachricht und eine katastrophale welche möchten Sie zuerst? Fangen wir mit der schlechten an: Der Brandenburger ist mit den „Fischköppen“ von der Ost-und Nordseeküste sprachlich verwandt. Das mag für manche schwer zu glauben sein, aber es ist wahr: Brandenburg ist altes plattdeutsches Gebiet.

Brandenburg-Adler auf einer Schaukel
© Cleo-Petra Kurze

Im 12. und 13. Jahrhundert wurde das Land von Niederdeutschen besiedelt: aus „Elbostfalen“, also aus dem Raum zwischen Elbe, Saale und Harz, dazu aus dem Rheinland und aus den Niederlanden. Ihre sprachliche Hinterlassenschaft ist bis heute zu hören: ick, wat, Appel vereinen Brandenburg mit ganz Plattdeutschland.

Berlin war Hanse-Mitglied wie auch Frankfurt (Oder), Brandenburg an der Havel, Havelberg, Kyritz, Pritzwalk, Perleberg. Das Städtebündnis gegen die Fürstengewalt vereinte auf seinem Höhepunkt 35 Städte der Mittelmark, Altmark, Uckermark, Prignitz: wy Stede der marke to Brandenburch (1349).

Mit dem Niedergang der Hanse, als Kurfürst Friedrich II. („Eisenzahn“) den Berliner Unwillen“ 1448 niederschlug und sein Berliner Stadtschloss in die Stadtmauer setzen ließ, war die Orientierung nach Norden für die Mittelmark beendet. Der Blick richtete sich nun nach Süden, ins Mittel-und Oberdeutsche, besonders nach Leipzig und Nürnberg. Bezeichnenderweise sind alle Urkunden der Fürstenkanzlei für die Stadt hochdeutsch, nur das Unterwerfungsschreiben des Rats von Berlin und Köln 1442 ist niederdeutsch.

Lesetipp

Berlin-Brandenburgerisch ist zur Hälfte Sächsisch!

Nun zur katastrophalen Nachricht: Berlin-Brandenburgerisch ist zur Hälfte Sächsisch! Berlin und mit ihm bald auch die Mark hat ab 1500 Sachsen sprachlich zu imitieren begonnen. Das ist eine sprachgeschichtliche Gemeinheit, die Berliner und Brandenburger gern leugnen würden, aber auch sie ist wahr: Mit der Neuausrichtung des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens nach Süden wurde Sachsen zum großen Vorbild. Man schrieb nach sächsischem Muster, man studierte in Leipzig, man bewunderte das Kulturleben in der Sachsenmetropole. Die Stadtkanzlei schrieb nach obersächsischem Vorbild, die Hofkanzlei war schon lange mit hochdeutschen Schreibern besetzt, die Gerichtskanzleien und die geistlichen Kanzleien folgten.

Die„Verhochdeutschung“ nach sächsischem Vorbild bestand in einem sprachlichen Kompromiss mit dem Niederdeutschen: Man behielt niederdeutsches oo statt hochdeutschem au wie in loofen (laufen) oder ooch (auch), ebenso wie niederdeutsches ee statt hochdeutschem ei in kleen (klein’) oder Been (Bein). Aber man ging ganz wie Sachsen zum hochdeutschen au oder ei über bei niederdeutschem i oder u wie in dein (niederdeutsch din) und Haus (niederdeutsch Hus). Auch die Konsonanten in der Wortmitte und am Wortendein loofen (statt niederdeutsch lopen) oder ooch (statt niederdeutsch ook) verraten den Kompromiss.

Brandenburg-Adler auf einer Treppe mit einem Fernglas
© Cleo-Petra Kurze

Für Brandenburger Leserinnen und Leserfolgt nun die dritte Gemeinheit: Die Brandenburger haben ihre Regionalsprache zu weiten Teilen Berlin zu „verdanken“. Mit der Expansion der Berliner Stadtsprache in die Mark drang auch dessen „verhochdeutschtes“ Plattdeutsch ins Brandenburgische vor. Diese Expansion ging über das Bürgertum der Mittel- und Kleinstädte Brandenburgs und von dort aus in die breiteren Bevölkerungsschichten und in den ländlichen Raum. Sie fand nicht einmal an den Landesgrenzen eine Schranke: Mittelpommern und das südliche Vorpommern waren lange Schauplatz des Ringens um Einfluss und Besitz zwischen Brandenburg und Mecklenburger oder Pommerschen Herrschergeschlechtern.

Tröstliche Nachricht für die Brandenburger Seele

Dass bis nach Prenzlau (und sogar bis nach Stralsund) wie in Berlin „jeredetwird, hat Vorläufer: „Die städtische Umgangssprache wurde zur regionalen Umgangssprache”. Nun folgt die erste tröstliche Nachricht für die Brandenburger Seele: Der sprachliche Austausch zwischen Berlin und Brandenburg war und ist keineswegs eine Einbahnstraße! Berlin wird mit seiner „Strahlkraft“ zwar zum sprachlichen Motor, aber der Treibstoff, der für die Abweichung vom Hochdeutschen sorgt, ist weiterhin das Niederdeutsche. Und das wird in der Stadt immer wieder aufgefrischt durch die Zuwanderung aus dem Berliner Umland.

Ein steter Zustrom von Niederdeutschsprechern aus Brandenburg setzt mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Zuwanderer siedeln sich in Baracken vor dem Cottbusser Tor an; ihre polizeiliche Vertreibung misslingt immer wieder. Von den niederen städtischen Sozialschichten wird noch lange niederdeutscher Sprachgebrauch berichtet. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts gilt in einem „Glossarium der Berliner Wörter und Redensarten“ die Bezeichnung „charlottenburgerisch“ als synonym für „niederdeutsch“.

1920 werden angrenzende Gebiete der Provinz Brandenburg nach „Groß-Berlin“ eingemeindet. Damit hält das Niederdeutsche erneuten Einzug in Berlin. Aus Spracherhebungen des Deutschen Sprachatlas um 1880 weiß man, dass die Eingemeindungen mehrheitlich niederdeutschen Dialekt in die Stadt mitbrachten.Während sich Berlin zum industriellen Zentrum und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar zum führenden Industriestandort Deutschlands entwickelt, wird Brandenburg zum Hinterland Berlins: Die Region orientiert sich sprachlich auf das Berliner Zentrum.

In der DDR wird Brandenburg wie der traditionell siedlungsschwache Norden der DDR generell zur Region planmäßiger Ansiedlungspolitik, vor allem aus den bevölkerungsstarken Regionen des Südens: Orte wie Schwedt und Eisenhüttenstadt dokumentieren das Bemühen, Wirtschaftsförderung mit Regionalentwicklung zu verbinden.

Brandenburg-Adler
© Cleo-Petra Kurze
Glossar Brandenburgisch-Deutsch

Der Brandenburger trägt sein Herz nicht auf der Zunge. Sich kurz zu fassen, ist eines der wesentlichen Prinzipien eines brandenburgischen Gesprächs, das meint zumindest die Brandenburger Autorin, Antje Rávic Strubel. Gut, wenn man die paar Brocken Brandenburgisch dann auch kennt.

Sprachlich bringt diese geplante Bevölkerungsmobilität hochdeutsche Sprache in die Nordbezirke der DDR. Der leicht sächsisch-thüringische Einschlag, mit dem gelegentlich berlinert wird, geht auf diese Zeit zurück. Die Berliner Hauptstadtsprache wird im Berliner Umland zur Norm für Einheimische und Zugezogene. Die Schule ist wie in der Bundesrepublik auch in der DDR eine standardsprachlich orientierte Institution: Sie betrachtet sprachliche Regionalismen seit Mitte der 1950er Jahre als Quelle von „Nachlässigkeiten [...], die aus der Umgangssprache und der Mundart herrühren.“. Erst in den späten 1970er Jahren wird regionale Sprache in der Bildungspolitik wieder berücksichtigt.

Die Berlin-Brandenburger Regionalsprache genießt allerdings als „Volkssprache“ Prestige, auch in Medien,Kultur und Politik.In der „Wendezeit“ wird das Berlinisch-Brandenburgische medial als sprachlicher Ausdruck der prototypisch „ostdeutschen“ Alltagssprache dargestellt: So spricht die „kleine DDR“. Damit knüpfen sich alle eingeübten Vorurteile an diese Sprechweise.

Adler
© Cleo-Petra Kurze
Studien zur „Erkennbarkeit“

des Berlin-Brandenburgischen nach Ost
-oder Westherkunft, die zwischen 1989 und 2000 unternommen wurden, zeigen zwar feste (Vor-)Urteile, aber immer weniger handfeste Unterschiede: Die Identifizierung, woher jemand kommt, gelingt immer seltener, besonders bei jüngeren Sprechern.

Urteile sind dennoch schnell zur Hand: Ostdeutsche sprächen angeblich eher „einfach“, Westsprecher eher „unnatürlich“. Wie in anderen Kulturbereichen breiten sich auch sprachlich „Westnormen“ aus, etwa die, sprachliche Flexibilitätanstelle sprachlicher „Authentizität“ wertzuschätzen.

Was sich aber auch mit zunehmendem Abstand von der deutschen Vereinigung erkennen lässt, ist ein steigendes sprachliches Selbstbewusstsein und eine Vorliebe der Brandenburger, lieber die eigene Regionalsprache statt der Standardsprache zu verwenden. Das wiederum kommt dem Berliner zugute, der in der Regionalsprache keinen Widerspruch zur Internationalisierung der Stadt sieht.

Jewinn-Jewinn-Situation

Die sprachlich längst vollzogene Ländervereinigung ist für beide Seiten eine Jewinn-Jewinn-Situation: Auch wenn bei Jüngeren in der Region wie überall das Hochdeutsche an Boden gewinnt, zeigen aktuelle Untersuchungen doch eine sehr vitale Berlin-Brandenburger Regionalsprache: Im Sprachgebrauch fest verankert ist (in aufsteigender Reihenfolge) Tüsch, uff, rin, ooch, keen, dit, haste, Strump, ick und schließlich das nahezu unverwüstliche je-(jesacht, jejessen, Jeflüjel, jeloren).

Eine Eigenheit, die bei Eingeborenen Heimatgefühle, bei Zugezogenen mitunter Gedanken an Flucht oder Abwehr auslöst, ist die ebenso beliebte wie berüchtigte Schlagfertigkeit des Berlin-Brandenburgers, die verwegeneArt, mit der wir schon den Frankfurter Goethe beeindruckten: Was Zugezogene als aggressiv interpretieren, versteht der Einheimische als Aufforderung zum (sprachlichen) Tanz, zum sprachlichen Spiel.

Beispiel gefällig? Jagt ein Hertha-Stürmer den Torschuss wieder einmal statt aufs Tor in Richtung Eckfahne; alles stöhnt auf, nur eine Berliner Stimme meldet sich: Feiner Pass. Jeder andere hätte ruffjeschossen.

Na, denn muss einem ja nicht bange sein. Und das ist doch eine tröstliche Botschaft (eher sprachlich als sportlich).

Peter Rosenberg
Aus: Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, 3. Auflage, Potsdam 2020

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