... Nach der Kommunalwahl im Mai 1990 wurde ich zunächst die erste Regierungsbeauftragte und Leiterin der Bezirksverwaltungsbehörde Frankfurt (Oder). Da hatte ich nun die Aufgabe, diese Behörde mit mehreren tausend Mitarbeitern abzuwickeln, mit allen angeschlossenen Einrichtungen bis hin zu den Gästehäusern.
Diese ehemaligen Räte der Bezirke waren alle noch mit den alten Genossen versehen und nicht demokratisch gewählt wie die Bürgermeister oder Landräte. Das war eine Wahnsinnsaufgabe, ohne dass ich davon wirklich Ahnung hatte.
Frustrierend war, dass für viele Beschäftigte aufgrund eines Überleitungsvertrags schon das bundesdeutsche Personalrecht galt und wir sie nicht mehr loswurden. Es bestand nicht einmal eine Chance, diese Leute zu degradieren.
Noch bevor ich kam, hatten Stasi und SED ihre Genossen zum Beispiel in Finanzämtern und Sozialämtern untergebracht. Das konnte ich anhand der Personalakten nachvollziehen, und da sitzen sie noch heute.
Das wird immer wieder in Petitionen und Briefen von Bürgern beklagt, die sozusagen unter jedem System mit denselben Personen zu tun haben. Andererseits kann man so einen Staatsapparat mit Tausenden von Leuten nicht innerhalb von einer Woche komplett durch Tierärzte, Pastoren oder Maschinenbauer ersetzen.
Mir war daher die Stasi-Aufarbeitung wichtig, weshalb ich in der Arbeitsgruppe für das Stasi-Unterlagengesetz mitgearbeitet habe. Leider war die Aufarbeitung teilweise nur begrenzt möglich, denn es sind schon kurz nach der Wende Stasi-Akten vernichtet worden. Andererseits wurde und wird die Aufarbeitung der Vergangenheit vorwiegend und nicht selten vordergründig an der Stasi festgemacht. Aber sie war nur ein Instrument der SED, und die wirklich Verantwortlichen waren die SED-Funktionäre. Sie tragen die Verantwortung für all das, was in der DDR geschehen ist.
Da ist die Vergangenheit ungenügend aufgearbeitet worden. Es hätte manchmal schon gereicht, dass sich einer der ehemaligen SED-Funktionäre entschuldigt, einen Satz zur eigenen Aufarbeitung geäußert oder einfach mal reflektiert hätte, was eigentlich passiert war und ab wann er selber eine Verantwortung zu tragen hatte. Aber das hat alles nicht stattgefunden. Viele waren sofort wieder im Sattel, als Richter und Staatsanwälte, als Beamte und Verwaltungsangestellte, und bildeten den neuen Rechtsstaat. Diese Erfahrung hätte ich lieber nicht gemacht.
Fast genauso hat es mich gestört, dass viele wichtige Positionen in den Behörden und Ministerien mit Westdeutschen vorwiegend aus Nordrhein-Westfalen, unserem Partnerland, besetzt waren. Es gab neben Karrieristen natürlich auch Fachleute, auf die wir angewiesen waren. Aber das Prinzip der doppelten Schreibtische, wir arbeiten die Ostdeutschen ein und gehen dann wieder nach Hause, wurde zwar versprochen, aber nicht eingehalten. ...
Von der Wende ist natürlich immer weniger zu spüren. Aber solange noch Leute aus dieser Zeit leben, glaube ich, wird es Differenzierungen zwischen Ost und West geben. Ich habe auch Verständnis dafür, dass jemand frustriert reagiert und sagt, mir ist egal, dass man nach China fahren kann, ich kann es mir gar nicht leisten. Ich hätte lieber einen Arbeitsplatz, eine Sozialversicherung, eine Schrankwand und meine Rente. Man konnte sich in der DDR einrichten. Daraus rührt natürlich auch die Verklärung der DDR bei denen, die dort ihre Nische hatten und heute ohne etwas da stehen. Das zeigt einem, dass man die Leute nicht einfach sich selbst überlassen kann und dass jeder ein Minimum zum Leben braucht. Wir sollten es daher schaffen, einen solidarischen Konsens in der Gesellschaft zu finden.
In diesem Zusammenhang enttäuscht es mich, dass die DDR, unsere jüngste Geschichte, in der Schule so wenig behandelt wird. Sicher hängt das auch von den Lehrern ab und deren Erfahrungen in der DDR. Ich halte viele Vorträge in den Schulen, biete mich auch an, aber meistens geschieht dies im Rahmen von Projektarbeit oder in Schulklassen in Diskussionsrunden. Insgesamt ist das viel zu defizitär und wir müssen mehr dafür tun, DDR-Geschichte besser zu vermitteln. ...
geboren am 12. Mai 1963 in Bernau/Brandenburg, war ab 1990 zwei Legislaturperioden lang für die SPD Abgeordnete im Landtag Brandenburg.
1999 bis 2001 arbeitete sie nach verpasstem Wiedereinzug in der Verwaltung, bis sie 2001 als Nachrückerin für Manfred Stolpe, der Bundesminister wurde, erneut im Landesparlament aktiv war.
2014 wurde sie zur ersten Präsidentin des Landtags Brandenburg gewählt.
Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010
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