Schatten der Vergangenheit

Während in Brandenburg zunächst der Wunsch im Vordergrund stand, gemeinsam Neues zu erschaffen, warf die DDR-Vergangenheit später einen immer größeren Schatten auf die Politik.

Eine 1991 vom Landtag eingesetzte „Ehrenkommission“ zur Überprüfung der Abgeordneten auf frühere Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit aus Pfarrer Karl-Heinz Ducke, der den Zentralen Runden Tisch der DDR mit geleitet hatte, und Generalsuperintendent Günter Bransch, ehedem Moderator des Potsdamer Runden Tisches, ließ von der Stasi-Unterlagenbehörde prüfen, ob Akten zu den Abgeordneten vorlagen, und führte anschließend Einzelgespräche mit den Mandatsträgern.

Marianne Birthler und Günter Nooke; Foto: Simone Römhold
© Simone Römhold

Marianne Birthler und Günter Nooke.

Im Landtag wandten sich Vertreter aller Parteien gegen einfaches Schwarz-Weiß-Denken und hoben die Tatsache hervor, dass Kontakte zur Staatssicherheit in der DDR vielfach unvermeidbar waren. Es sei daher immer die konkrete Einzelsituation zu prüfen (LT-Plenarprotokoll 1/30: 2231, 2235). Ähnlich zurückhaltend agierte die Ehrenkommission. Ihr unveröffentlichter Abschlussbericht an den Landtagspräsidenten vermerkte lediglich zwölf „Grenzfälle“ einer Zusammenarbeit mit dem MfS. Fünf weitere Personen wurden informell als belastet bezeichnet.

Nur zwei Landtagsabgeordnete von Bündnis 90 legten im Zusammenhang mit der Überprüfung ihr Mandat nieder. Nach Vorwürfen der Zusammenarbeit mit der Stasi, aber auch der Vetternwirtschaft trat außerdem Karl-Heinz Kretschmer (CDU) vom Amt des Landtags-Vizepräsidenten zurück; obgleich die Behauptungen aus seiner Sicht haltlos waren. Damit erfolgten in Brandenburg weniger Rücktritte als in den anderen neuen Ländern, wo mehr Abgeordnete, Minister oder sogar der Ministerpräsident (Thüringen) im Zusammenhang mit Überprüfungen oder Informationen über die Vergangenheit zurücktraten. Es wurde auch kein spezieller Posten eines „Stasi-Beauftragten“ geschaffen.

Allerdings berief der Landtag 1992 einen Untersuchungsausschuss zur Überprüfung der Kontakte des Ministerpräsidenten zu Organen des DDR-Staatsapparates und der SED ein. Anlass waren Vorwürfe an Manfred Stolpe, er habe während der achtziger Jahre konspirativ mit der DDR-Staatssicherheit zusammengearbeitet. Der Fall polarisierte, aber die Bevölkerung solidarisierte sich sehr stark mit Stolpe und quer durch die Parteien wurde grundsätzliches Verständnis für Stasi-Kontakte in einem hohen Kirchenamt geäußert.

Kompakt erklärt

Stasi

Man solle, so ein gemeinsamer Appell von Vertretern aller Parteien im Landtag, die Vergangenheit „mit menschlichem Maß bewerten“. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der von Abgeordneten der SPD, FDP und PDS getragen wurde, kam zu dem Ergebnis, dass eine ausdrückliche Verpflichtung Stolpes zur Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit nicht nachzuweisen sei (LT-Drs. 1/3009).

Kritiker brandmarkten diese Bewertung als verharmlosend und problematisierten, dass ausgerechnet ein Politiker der PDS, Lothar Bisky, zum Vorsitzenden des Untersuchungsausschuss gewählt wurde. 

Weil sie eine Ungleichbehandlung nicht mittragen wollte, legte Marianne Birthler bereits im Oktober 1992 ihr Amt als Bildungsministerin nieder. Sie hatte grundsätzlich keine Lehrer mit Stasi-Kontakten in den neuen Schuldienst übernommen; ein härterer Maßstab übrigens als ihn etwa Innenminister Ziel für die Polizisten anwandte.

Der Schatten der Vergangenheit führte 1994 schließlich zum Bruch der Regierungskoalition. Nachdem im März 1994 neue Akten zum Fall Stolpe offengelegt wurden, forderte die Bündnis-Fraktion den Ministerpräsidenten endgültig zum Rücktritt auf, woraufhin dieser die Koalition aufkündigte. Bis zur Neuwahl des Landtags im September 1994 amtierte eine von der PDS tolerierte sozial-liberale Minderheitsregierung.

Auszug aus Andrea von Gersdorff / Astrid Lorenz, "Neuanfang in Brandenburg", Potsdam 2010

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