Die Landesverfassung ermöglicht es den Bürgern, eigene Anträge im Landtag zur Abstimmung vorzulegen. Dafür gibt es ein dreistufiges Verfahren. Auf die Volksinitiative folgen das Volksbegehren und der Volksentscheid. Rechtlich bindend ist der Bürgerwille jedoch nicht.
Politische Teilhabe in Brandenburg - Was heißt das für den einzelnen Bürger? Die Bürger wählen alle fünf Jahre die Abgeordneten des Landtags, der den Ministerpräsidenten wählt und die Gesetze verabschiedet. Doch die Landesverfassung hält schon seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1992 noch weitere Verfahren der politischen Beteiligung bereit. Sie ermöglicht es den Bürgern zum Beispiel, eigene Anträge dem Landtag und schließlich dem Volk, also den Mitbürgern, zur Abstimmung vorzulegen. Eine Verfassungsänderung zum Ende des Jahres 2011 hat diese Instrumente der so genannten „direkten“ Demokratie noch ein wenig ausgebaut.
Das hierfür vorgesehene Verfahren ist freilich auf den ersten Blick recht komplex und aufwendig. Das liegt zu einem gewissen Teil wohl im Wesen der „direkten“ Demokratie selbst: die demokratische Legitimität einer Entscheidung unmittelbar durch das Volk muss durch ein entsprechend ausgestaltetes Verfahren sichergestellt werden. Wer sich jedoch in die einschlägigen Verfahrensbestimmungen vertieft, sieht bald, dass dem Verfahren eine klare Struktur zugrunde liegt: Die Verfassung stellt den Bürgern als Instrument der direktdemokratischen Willensbildung in ihren Artikeln 76 – 78 ein dreistufiges Verfahren zur Verfügung (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid).
Die Volksinitiative
Auf der ersten Stufe können 20.000 Einwohner durch ihre Unterschrift eine Initiative unterstützen, die sowohl ein Gesetz als auch einen sonstigen Gegenstand der politischen Willensbildung zum Inhalt haben kann. Die Initiatoren des Antrags müssen die Unterschriften der Unterstützer innerhalb eines Jahres auf speziellen Unterschriftsbögen zu dieser Initiative „sammeln“.
Was hat man sich hierunter konkret vorzustellen? Beispielsweise starten die Initiatoren hierfür eine Kampagne in der Presse, stellen Informationen und Unterschriftsbögen im Internet für Interessierte bereit, legen Unterschriftsbögen an ausgewählten Orten aus, stellen sich mit ihrem Stand oder mit ihrem Infobus vor die belebten Einkaufspassagen oder auf die Marktplätze oder gehen von Tür zu Tür. Das „Campaigning“, wie man diese Werbung für eine Volksinitiative auch nennt, hat zweifellos gewisse Ähnlichkeiten mit dem Wahlkampf vor der Landtagswahl, auch wenn es um eine Sachfrage statt um Wahlkandidaten geht.
Die auf den Unterschriftsbögen gesammelten Unterschriften übergeben die Initiatoren dem Landtag, der sie durch seinen Hauptausschuss formal, insbesondere mit Blick auf die vorgeschriebene Zahl von Unterstützer-Unterschriften und inhaltlich hinsichtlich der übrigen verfassungsrechtlichen Vorgaben prüfen lässt. Der zuständige Fachausschuss des Landtags übernimmt die Aufgabe, die Vertreter der Initiative anzuhören.
Einen auch inhaltlich zulässigen Antrag zu formulieren, kann für die Initiatoren durchaus sehr anspruchsvoll sein. Eine in der politischen Praxis zum Beispiel sehr bedeutsame Hürde für die inhaltliche Zulässigkeit der Volksinitiative kann der in der Verfassung verankerte, sogenannte Haushaltsvorbehalt sein, den es zu umschiffen gilt. Er besagt, dass eine Initiative unzulässig ist, falls sie spürbar in das dem Parlament zustehende Recht eingreift, den Haushalt in Form des Haushaltsgesetzes zu beschließen. Das Haushaltsgesetz umfasst die für das staatliche Handeln notwendige jährliche, umfassende Entscheidung über die Verwendung der Steuern und der sonstigen Einnahmen. Dies bedeutet, dass Initiativen, deren Umsetzung hohe Kosten für den Landeshaushalt zur Folge haben würden, von vornherein unzulässig sind.
Stellt der Hauptausschuss fest, dass die Initiative von mindestens 20.000 Einwohnern unterstützt wird und hält er sie für inhaltlich zulässig, wird der Antrag dem Plenum des Landtags zur Abstimmung vorgelegt. Der Hauptausschuss gibt auch eine politische Empfehlung zur Beschlussfassung ab (Annahme oder Ablehnung). Lehnt der Landtag die Volksinitiative ab, können die Initiatoren beantragen, dass ein Volksbegehren durchgeführt wird (zweite Stufe).
Das Volksbegehren
Mit Wirkung vom 9. Mai 2012 trat eine neue Verfahrensordnung für Volksbegehren in Kraft. Die Änderungen wurden besonders mit Blick auf das Volksbegehren zum Nachflugverbot auf dem neuen Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg zügig umgesetzt. Anders als vorher können die Bürger ihre Stimme nun auch per Brief abgeben.
Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen 80.000 brandenburgische Bürger das Begehren durch ihre Unterschrift unterstützen. Die Unterstützer eines Volksbegehrens können sich seit der Verfassungsänderung von 2011 sechs statt nur vier Monate lang in die in ihrer Heimatgemeinde in den bei den Behörden ausliegende Listen eintragen (sog. Amtseintragung).
Das Volksbegehren „Für eine Änderung des § 19 Absatz 11 des Landesentwicklungsprogrammes zur Durchsetzung eines landesplanerischen Nachtflugverbotes am Flughafen Berlin Brandenburg International (BER)!“ hat es übrigens in der Geschichte unseres Bundeslandes im Dezember 2011 als erstes Volksbegehren geschafft, die erforderliche Anzahl von Unterschriften zu erreichen. Damit hat diese Initiative die dritte Stufe des Verfahrens erreicht.
Der Volksentscheid
Der Landtag muss nun erneut über den zugrundeliegenden Antrag des Volksbegehrens entscheiden. Nimmt er den Antrag diesmal an, kommt es nicht zu einem Volksentscheid. Lehnt der Landtag das Volksbegehren hingegen ab, wird der Antrag dem Volk in einem Volksabstimmungsverfahren vorgelegt, bei dem alle Stimmberechtigten am festgesetzten Abstimmungstag in den Abstimmungslokalen über den Antrag mit „ja“ oder „nein“ abstimmen können. Der Landtag kann dem Volksbegehren einen alternativen Gesetzentwurf oder sonstigen Antrag entgegensetzen, über den zugleich mit dem Antrag des Volksbegehrens abgestimmt wird.
Für den Erfolg der Abstimmung genügt es nicht, dass die Mehrheit derjenigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, mit „ja“ stimmt. Die Verfassung verlangt außerdem, dass diese Mehrheit zugleich mindestens ein Viertel aller Abstimmungsberechtigten ausmacht (Zustimmungsquorum). Für Anträge, die ein verfassungsänderndes Gesetz enthalten, gelten noch einmal höhere Anforderungen (Zwei-Drittel-Mehrheit der Abstimmenden/die Hälfte aller Abstimmungsberechtigten).
Was folgt aus einem erfolgreichen Volksentscheid?
Die Folgen eines erfolgreichen Volksentscheids können – in verfassungsrechtlicher Hinsicht – durchaus unterschiedlich sein. Nicht zwangsläufig ist mit dem erfolgreichen Volksentscheid „alles entschieden“. Die so genannte Bindungswirkung des Entscheides hängt davon ab, welcher Antrag ihm zugrunde lag. Der Inhalt des Antrags wird, wie schon erwähnt, bereits in der ersten Stufe des Verfahrens von den Initiatoren festgelegt, also auf der Stufe der Volksinitiative. Liegt dem Antrag ein Gesetzentwurf zugrunde, so wird mit dem Volksentscheid ein Gesetz mit denselben Wirkungen beschlossen, wie auch der Landtag Gesetze beschließt. Ein Gesetz ist für sowohl für die Bürger als auch die Landesregierung bindend.
Etwas anderes gilt, wenn dem Volksentscheid ein so genannter sonstiger Antrag zugrunde liegt, beispielsweise eine Aufforderung an die Landesregierung, in einer bestimmten Weise tätig zu werden. In diesem Fall ähnelt der Volksentscheid in seiner rechtlichen Wirkung einem erfolgreichen Entschließungsantrag im Parlament: Eine Entschließung des Parlaments bindet die Landesregierung nicht.
Der Volksentscheid über einen sonstigen Antrag entfaltet somit zwar eine starke politische Signalwirkung. Rechtlich bindet er jedoch weder die Landesregierung noch den Landtag. Die Landesregierung muss sich nicht an die mit dem Volksentscheid ausgesprochene Aufforderung halten. Der Landtag ist nicht gehindert, sich später politisch anders als im Volksentscheid beschlossen zu entscheiden. Daran zeigt sich: Der Volksentscheid fügt sich in das verfassungsrechtlich festgelegte System der Gewaltenteilung ein. Eine Form der „Überregierung“ oder „Überparlament“ ist er nicht.
Dr. iur. Julia Platter
Parlamentarischer Beratungsdienst Landtag Brandenburg
Dezember 2012
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