Was haben die gesagt? Die Sprache von Politikern hat großen Einfluss auf das allgemeine Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sich zu informieren. Doch die Art, wie Politik oft dargestellt und verhandelt wird, bewirkt in vielen Fällen eine Abwendung der Bürger.
Scheiße! Darf eine Behörde das schreiben? Dürfen Politiker das sagen? Naja, es wäre zumindest deutlich und verständlich, so könnte man die Ergebnisse einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen fassen. Die Untersuchung stammt aus dem Jahre 2011, ist aber die bislang größte Online-Befragung zum Thema in Deutschland überhaupt. Mehr als 30.000 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 19 Jahren haben in direkten Interviews und im Internet gesagt, was sie über die Sprache von Politik und Politikern denken. Dabei wurde auch durchaus Verständnis deutlich.
Die sind so was wie Prominente und die haben halt nicht die Chance, einfach rauszugehen und zu sagen: 'Finde ich scheiße.' Dürfen sie nicht, sie sagen immer 'Kein Kommentar'."
Die Berliner Kommunikationsexpertin Bettina Fackelmann, die die Ebert-Studie wissenschaftlich begleitet hat, war erschrocken über das breite Misstrauen der Jugendlichen gegenüber dem politischen System, das nicht zuletzt die Folge einer politischen Sprache ist, die nicht verstanden wird. Dabei fanden 81,2 % aller Befragten es wichtig, dass sich die Menschen mit Politik auseinandersetzen. Die Sprache der Politik sei aber zu kompliziert.
Genau das setzt jedoch einen verhängnisvollen Mechanismus in Gang, der das Zeug hat, auf Dauer die "demokratische Reife" einer Gesellschaft in Frage zu stellen. Demokratisch reif ist eine Gesellschaft aber nur dann, wenn sich möglichst viele Bürger in möglichst vielen Lebensbereichen an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen, die über die bloße Wahlbeteiligung hinausreichen. Schon diese ist aber seit einigen Jahren in Deutschland schon fast eine Zitterpartie.
Politik-Schweigen auf breiter Front
Fackelmann stellt indessen nicht nur bei Jugendlichen, sondern inzwischen "auf breiter Front" eine Art großes Politik- Schweigen fest. Die Deutschen reden nicht mehr miteinander über politische Themen. Und das liegt daran, wie Sprache funktioniert.
Man hört zunächst lieber zu... wenn das Gegenüber erscheint. Doch wenn dessen Sprache das Zuhören erschwert, kann man auch jederzeit wieder damit aufhören... Oder man kann die Information ... zwar annehmen (wie etwa politische Berichterstattung durch Massenmedien), die Nichtakzeptanz des Inhalts aber für sich behalten und diese nicht mit dem Absender oder anderen teilen..."
Mit anderen Worten: Wenn Politiker, aber auch Medien und Wissenschaftler reden, schalten viele Bürger ab. Seit einiger Zeit findet sich diese Entwicklung zugespitzt im Wort von der "Lügenpresse" wieder. Es findet kein wirklicher Austausch mehr statt, sondern ein Auskübeln von Hassbotschaften gegen Versuche, sachlich aufzuklären. Das lässt sich vor allem im Internet beobachten.
Verständliche Politiker, das wünschen sich auch politisch interessierte Menschen, für die in der Politik das Wort Inklusion bereit gehalten wird. Menschen mit Behinderungen, die teilhaben möchten an dem, was in der Gesellschaft passiert. Welcher Politiker denkt in seinen Reden aber an die Gebärdendolmetscher, die für Gehörlose zum Beispiel das Wort "Nullwachstum" übersetzen müssen?
Immerhin, die Initiativen für Leichte und Einfache Sprache, die sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten richten, nehmen an Fahrt auf und finden zunehmend Eingang in die politische Praxis. So ist es inzwischen üblich, dass Parteien ihre Wahlprogramme auch in Leichter Sprache formulieren und wichtige bundesstaatliche Institutionen und Behörden wie der Bundestag oder die Bundeskanzlerin sich leicht verständlich vorstellen. Die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung stellt bestimmte Angebote ebenfalls in Leichter Sprache bereit.
Handlungsempfehlungen
Jugendliche haben eine recht genaue Vorstellung davon, wie eine verständliche Sprache aussehen könnte. Die Studie "Sprichst du Politik?" hat einige Handlungsempfehlungen aufgelistet.
Die erste Empfehlung geht an Politikerinnen und Politiker, Parteien und politische Institutionen. Hier steht das Zitat eines Berufsschülers für viele: "Das heißt nicht Nullwachstum, das heißt Stagnation. Also wirklich klipp und klar sagen, so und so sieht es aus." Am besten frei sprechen, in der Alltagssprache, direkt, offen und unkompliziert - und sich nicht hinter einer "Wir"-Parteiensprache verstecken.
Tipps für die Politik: verständlich bleiben
- Fremdwörter konsequent durch einfachere Begriffe ersetzen
- beschönigende Kunstwörter gegen angemessen dargestellte Fakten auswechseln
- rhetorische Floskeln durch konkrete, verbindliche Aussagen ersetzen
- Fachsprache nur in Fachkreisen nutzen
- in Bildern und Metaphern sprechen
- kurze Sätze ohne Verschachtelungen bilden
- Überzeugungen in Reden lebhafter und glaubhafter vermitteln, z.B. indem auf der Basis von Stichworten frei gesprochen wird
Der zweite Tipp richtet sich an die Medien. Wenn da steht, was Politiker sagen, dann bleibt es unverständlich. Und Talkshows, in denen Streits zur Show inszeniert werden, die braucht keiner. Junge Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach sachlicher Auseinandersetzung. Aggressivität in politischen Debatten ist genau das Gegenteil.
Tipps für die Medien: Hintergründe erklären
- eine verständliche Sprache benutzen
- den Hintergrund schildern
- Grafiken zur Erklärung von Sachverhalten und Meinungen nutzen, insbesondere bei schwierigen Themen wie beispielsweise aus der Finanzwelt
- Fachbegriffe erklären
Der dritte Tipp geht an die Bildungspolitik und ist im Kern die Forderung nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten. Der Appell lautet: Gebt der heranwachsenden politischen Generation die Möglichkeit, mündige Staatsbürger und Staatsbürgerinnen zu werden. Mit mehr Politikunterricht zum Beispiel, und zwar früher, neutraler und praxisnaher.
Tipps für die Bildung: zu mehr Beteiligung befähigen
- Politikunterricht verbindlich für alle Schulstufen anbieten
- eine verständliche Sprache im Unterricht zu benutzen und Fachbegriffe erklären
- einen angstfreien Zugang zum Thema Politik ermöglichen
Das klingt konkret und vielleicht gerade deshalb auch machbar. Und es könnte auch eine Antwort auf unsere Eingangsfrage sein: Darf eine Behörde, dürfen Politiker das Wort mit Sch... benutzen? Ja, meinen Jugendliche. Allerdings trifft auch die Übersetzung des Dudens den Nagel auf den Kopf. Dort ist Scheiße nämlich etwas sehr Schlechtes, Unerfreuliches und Ärgerliches - und das will nun wirklich niemand haben.
BLPB, März 2014 (zuletzt bearbeitet im November 2016)
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Kommentare
KommentierenDaumen hoch!
Als eher stille Leserin der Artikel der Landeszentrale muss ich diesen Titel doch einmal ausdrücklich loben. Ja, eine Behörde sollte auch einmal scheiße sagen dürfen und zwar genau dann, wenn etwas "Schlechtes, Ärgerliches und Unerfreuliches" im Raum steht und von niemandem so genannt wird. Gerade in mündlichen Aussagen hätte es etwas Erfrischendes und würde im Gegensatz zu dem oft bemühten "kein Kommentar" stehen. Jugendliche können durchaus einordnen. Es muss keine hippe Spreche sein, aber einfach mal Dinge beim Namen nennen, das wäre eine echte Abwechslung. DANKE auch für die Hinweise zu einfacher(er) Sprache. Ich hoffe Politiker und Parteien besuchen die Seiten ebenso fleißig und nehmen sich den einen oder anderen Punkt zu Herzen. Es stehen ja bald Wahlen an, auch für 16jährige. Und da gilt das Motto: Kein Applaus für Scheiße!
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