- 12. /13. Jh. – Frühe Wurzeln
- 1500-1800 – Reformation, 30-jähriger Krieg, Absolutismus
- 1806-1918 – Preußische Reformen, Kaiserreich und Erster Weltkrieg
- 1918-1932 – Weimarer Republik
- 1933-1945 – NS-Zeit und adliger Widerstand im 2. Weltkrieg
- 1945-1989 – Nachkriegszeit, SBZ, DDR und Mauerfall
- 1990-2014 – Wiedervereinigung bis heute
12. /13. Jh. – Frühe Wurzeln
Schon unter den Askaniern hat sich eine adlige Oberschicht etabliert, der „schlossgesessene Adel“ mit eigenen Burgen wie die Rochows, Bredows und Gröben in der Mittelmark, die Edlen Gans von Putlitz und die Quitzows in der Prignitz, die Greifenbergs und Blankenburgs in der Uckermark. Die mächtigsten unter ihnen besitzen sogar kleine Städte; so gehört Golzow in der Zauche zum Herrschaftsbereich der Rochows und Friesack im Havelland zu dem der Bredows. Angesichts der desolaten Herrschaftsverhältnisse im Innern erreichen die großen Adelsgeschlechter eine Machtstellung, die an Souveränität grenzt und vielfach in grobem Machtmissbrauch ausufert. Raubritter ziehen durch das Land. Sie halten markgräfliche Burgen besetzt, erheben Anspruch auf deren Einnahmen und bedrohen von dort aus die Handelswege.
Anfang des 16. Jh. haben sich die führenden Adelsfamilien im kurfürstlichen Machtgefüge etabliert. Unter ihnen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Dienst für den Landesherrn mit politischem Einfluss und Vermögenszuwachs verbunden ist. Sie nehmen hohe weltliche und kirchliche Ämter ein und lösen dabei die anfangs dominierenden Amtsträger ab, die mit den ersten Hohenzollern aus Franken gekommen waren.
1157
Albrecht der Bär (um 1100-1170), aus dem Geschlecht der Askanier nennt sich erstmals Markgraf von Brandenburg. Es folgt die Ansiedlung von Rittersöhnen aus dem Westen, vor allem um das Militär zu stärken. Sie bekommen Land, um dem neuen Landesherren zu dienen und ihn bei der Unterwerfung der Slawen und dem weiteren Landesausbau zu unterstützen. Den in die Mark gerufenen Adligen wird die Aufsicht über Burgen und neu geschaffene Siedlungen übertragen.
Die Askanier darunter Markgraf Otto I., Otto II., Albrecht II. und seine Söhne die Markgrafen Johann I. und Otto III. dehnen in den folgenden 150 Jahren die Mark Brandenburg vom Havelland bis an die Oder aus und werben neue Adlige für die Besiedelung der Landstriche an. Sie bilden Adelsgüter und Ritterhöfe.
1204
Erste urkundliche Erwähnung der von Arnims. Sie sind an der Besiedelung der Uckermark maßgeblich beteiligt.
Ca. 1210-1237
„Großer Zehntstreit“ zwischen dem Bischof von Brandenburg und den askanischen Markgrafen. Sie versuchen sich den an die Kirche zu leistenden Steueranteil anzueignen. Der Konflikt endet mit einem Kompromiss, die Markgrafen dürfen den Steueranteil zum größten Teil behalten und geben ihn an ihre Adligen weiter. Die einstige kirchliche Abgabe wird ein Beitrag an die Grundherren, deren Macht weiter steigt. Sie verfügen über eine eigene Gerichtsbarkeit und sind nur dem Markgrafen unterstellt.
1237
Erste urkundliche Erwähnung der von Ribbecks. Ab 1375 sind von Ribbecks Eigentümer eines Ritterhofes in Ribbeck.
1259
Erste urkundliche Erwähnung der von der Marwitz. Der gleichnamige Stammsitz der Familie liegt heute in Polen (Marwice) etwa 80km nordöstlich von Frankfurt Oder.
1319-1412
Der Tod von Waldemar, letzter askanischer Markgraf, und der Streit um seine Nachfolge stürzt Brandenburg in eine schwere Krise. Zunächst werden ab 1324 die Wittelsbacher aus Bayern Lehnsherren der Mark. Diese verkaufen 1373 ihre Rechte an Kaiser Karl IV. (1316-1378), der von Prag aus regiert. Der Kaiser ist an der Mark jedoch nur als Einnahmequelle interessiert. Eine Übersicht aus seinem Landbuch über Anzahl der ritterlichen Eigenwirtschaften belegt, dass sich die meisten in der Uckermark, im Havelland und im Barnim befinden. In dem bestehenden Machtvakuum wächst die Macht der Stände und des Adels, die sich Kaiser und Königen zunehmend widersetzen.
1412
Burggraf Friedrich von Hohenzollern (1371-1440) wird von König Sigismund (1368-1437) zum Hauptmann und Verweser der Mark eingesetzt. Er bekämpft massiv den rebellischen Adel und kann schließlich die innere Ordnung wieder herstellen.
1415
Friedrich wird als Friedrich I. von Brandenburg Markgraf und Kurfürst von Brandenburg. Die Herrschaft der Hohenzollern ist damit begründet. Schnell versucht er Harmonie zwischen der kurfürstlichen Herrschaft und den Adelsfamilien herzustellen, was bis auf die Uckermark auch gelingt. Aus diesem Grund fördert Friedrich I. bislang weniger bedeutende Familien wie von Arnim und Sparr und bindet so auch eine Reihe von Adelshäusern in der Uckermark an die kurfürstliche Gewalt.
1441
Stölln und das Ländchen Rhinow gelangt in den Besitz der Familie von der Hagen.
1495
Auf dem „Reichstag zu Worms“ wird ewiger Landfrieden verkündet, der auch das Verbot des Fehderechts einschließt. Ansprüche sollen nicht mehr durch Kampf, sondern auf dem Rechtsweg geltend gemacht werden. Der Beschluss muss oftmals gewaltsam durchgesetzt werden.
1500-1800 Reformation, 30-jähriger Krieg, Absolutismus
Der Adel in Brandenburg profitiert weitestgehend von der Reformation vor allem durch die Enteignung der kirchlichen Güter. Der 30jährige Krieg ist für das Land und die Bevölkerung verheerend und doch geht der Adel gestärkt aus ihm hervor. Selbst unter absolutistischen Verhältnissen bleibt in den Kreisen eine begrenzte Adelsautonomie erhalten, die das Leben der Untertanen vor allem auf den Gebieten der Rechtspflege, des Polizeiwesens und der Bildung ordnet. Unter diesen Bedingungen kann sich in der Zeit des Absolutismus in Brandenburg mehr als in anderen Teilen des seit 1701 bestehenden preußischen Königreichs auch gegenüber der Monarchie ein adliges Standesbewusstsein erhalten und weiter entfalten.
Ein prägendes Element adligen Elitedenkens ist das Offizierskorps. Unter dem „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. und erst recht unter Friedrich II. formierte sich eine Militäraristokratie, die aus geleistetem Militärdienst ein Sozialprestige für sich ableitete, das über anderen Berufen steht. Das führte schließlich dazu, dass die Offizierslaufbahn als eine Standespflicht jeder Adelsfamilie begriffen wurde. Ihren Verhaltenskodex leiten die Offiziere aus traditionellen adligen Ehrbegriffen ab. Das preußische Offizierskorps rekrutiert sich vor allem aus nachgeborenen Söhnen des niederen und weniger wohlhabenden Adels. 1739, ein Jahr vor dem Tod des „Soldatenkönigs“, sind alle 34 preußischen Generäle von adliger Herkunft; von den 211 Stabsoffizieren stammen nur elf nicht aus dem Adelsstand. 1786, im Todesjahr Friedrichs II., ist nur etwa ein Zehntel der über 5.000 Offiziere nicht von Adel.
1517
Martin Luther (1483-1546) verfasst seine berühmten 95 Thesen zum Ablasshandel der katholischen Kirche und löst so ungewollt die Spaltung in Protestantismus und Katholizismus aus.
Der brandenburgische Adel ist den neuen humanistischen Ideen gegenüber durchaus aufgeschlossen und nutzt die neue Glaubenslehre vielfach um die zentrale Macht von Papst und Kaiser zurück zu drängen.
1540
Die Reformation hat weitreichende wirtschaftliche Folgen. Der Landtag berät die neue kurfürstliche Kirchenordnung, die die Säkularisierung beinhaltet. Es wird über den Umfang der Übertragung der geistlichen Ländereien in weltlichen Besitz beraten. Ein Großteil der kirchlichen Eigentümer geht an den Kurfürsten, aber auch der Adel profitiert vom Grundbesitz der aufgelösten Bistümer in Brandenburg, Havelberg und Lebus. Die Adelsherren übernehmen zusätzlich auch Verantwortung und sichern die weitere kirchliche Betreuung ihrer Untertanen.
1550
Obwohl der Kurfürst nun der bedeutendste Grundbesitzer in der Mark ist, bleibt seine Zentralmacht durch einen starken Landadel und die Macht der Städte eingeschränkt. Unterhalb des Hofes gibt es noch keine vollständige regionale Verwaltung. So zerfällt Brandenburg in gutsherrliche Gebiete des Adels, Ländereien des Kurfürsten und städtische Gebiete.
1604
Bildung des Geheimen Rates, der Amtskammer, des Kammergerichts und des lutherischen Konsistoriums, denen wichtige innere und allgemeine Verwaltungsaufgaben übertragen werden. Das Gremium hat beratende und in Abwesenheit des Kurfürsten auch beschließende Kompetenzen und wird damit zur zentralen Behörde Brandenburg-Preußens. Die Macht der Stände wird zurück gedrängt.
1605
Die brandenburgischen Kurfürsten üben die Herrschaft über das durch Erbfolge an sie gefallene Herzogtum Preußen aus. Ab 1618 werden das Herzogtum und die Mark Brandenburg in Personalunion als Brandenburg-Preußen regiert.
1618-1648
Zu Beginn des 30-jährigen Krieges ist Brandenburg-Preußen hoch verschuldet und verfügt über keine nennenswerten eigenen Truppen. Wegen seiner geografischen Lage ist es mehr als andere deutschen Territorien vom Krieg betroffen. Fast ständig wird es von fremden Truppen besetzt. Dänen, Kaiserliche Truppen, Schweden, Sachsen und ihre Verbündeten aus anderen Ländern marodieren und morden. Als der Westfälische Friede 1648 den Krieg beendet, herrschen in Brandenburg Not und Elend, seine Bevölkerung ist auf 50 Prozent des Vorkriegsstandes geschrumpft, in manchen Gebieten haben nur zehn Prozent der Bevölkerung überlebt.
Auch Adlige gehören zu den Leidtragenden. Viele Schlösser sind verbrannt. Lediglich die Niederlausitz – 1635 durch den Prager Frieden an Sachsen gefallen – ist weniger stark betroffen. Die weit reichenden Befugnisse der in der Lausitz ansässigen Adligen werden von der neuen Obrigkeit nicht angetastet.
1648-1653
Der „große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm (1620-1688) richtet seine Politik nach Kriegsende darauf aus, das ausgeblutete Land rasch wieder aufzubauen. Durch eine machtorientierte Außen- und Innenpolitik soll es vor einer ähnlichen Katastrophe zu bewahrt werden. Die Durchsetzung der dazu notwendigen politischen Entscheidungen, beschlossen im sogenannten Landtagsrezess von 1653, entwickelt zugleich den Absolutismus in Brandenburg weiter. Ein stehendes Heer soll in Zukunft den Schutz des Landes und der kurfürstlichen Macht garantieren.
Personeller Kern dieses Heeres ist der Adel, der das Gros des Offizierskorps stellt. Die Machtstellung der adligen Gutsherren wird gestärkt, die der Stände auf ein Minimum eingeschränkt. Bauern werden mit starken Steuern belastet und zu Frondiensten verpflichtet, diejenigen die Leibeigene waren, bleiben es auch.
ab 1653
Im Zuge der Kriegsverluste frei gewordene Güter und Ländereien werden von den adligen Familien übernommen. Zunehmend können auch Stadtbürger Rittergüter und Grundbesitz erwerben, vor allem in der Uckermark wechseln Güter den Besitzer.
1672-1679
Holländischer und Schwedisch-Brandenburgischer Krieg (1672-1679). Das Heer der Adligen bewährt sich, die Schweden werden zurück getrieben. Es bildet sich ein neues adliges Selbstbewusstsein aus.
1701
Friedrich I. (1657-1713) wird erster König in Preußen. Die Mark Brandenburg liegt jetzt im Königreich Preußen.
1713-1740
Regentschaft von Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), auch als Soldatenkönig bekannt. Er baut das Heer auf über 80.000 Mann auf. Er misstraut dem Landadel in Brandenburg und zweifelt an dessen Loyalität. Die Zahl der adligen Gutsherrschaften übertraf die des Königs um das Doppelte. Er bindet die Adligen noch stärker in das Militär ein, vor allem dem verarmten Landadel bieten sich so neue Chancen.
1740
Friedrich II. „der Große“ (1712-1786) wird preußischer König. Er sichert die Standesrechte und den Besitzstand des Adels, aus dem er notwendige Führungskräfte rekrutiert. Die Standesrechte beinhalten die Gerichtsbarkeit des Grundherrn gegenüber seinen Hintersassen, die Polizeigewalt und das Kirchenpatronat. Gleichzeitig verhindert er, dass seine adligen Offiziere Bürgerliche heiraten und wohlhabende Bürgerliche in den Adelsstand erhoben werden oder überschuldete Rittergüter erwerben.
Die adligen Familien verzweigen sich stark. Es kommt zu einem Missverhältnis zwischen Adelsfamilien und Rittergütern, die diese ernähren sollen. Friedrich II. versucht durch Erbrechtsteilungen Einfluss darauf zu nehmen, dass weniger Adlige verarmen. Erbaufteilungen sind wegen des unfruchtbaren Bodens unwirtschaftlich und deshalb untersagt. Es gibt nur einen Haupterben, weswegen die Geschwister häufig ausbezahlt werden müssen. Die Aufnahme bürgerlicher Berufe in Handel oder Gewerbe ist mit der Standesauffassung noch nicht vereinbar.
1756-1763
Siebenjähriger Krieg – verlustreicher Krieg, in dem u. a. Preußen, Russland und die Habsburger um die Herrschaft in Mitteleuropa kämpften. Der Adel dominiert das Offizierskorps.
1776
Rochow, Gutsherr im mittelmärkischen Reckahn, veröffentlicht sein Lesebuch „Der Kinderfreund“. Der aufgeschlossene Gutsherr mit revolutionären Reformideen setzt sich für eine alltagsbezogene Wissensvermittlung, Verbesserung der Lehrerbildung, Abschaffung der Prügelstrafe und Angleichung des rückständischen ländlichen Schulwesens an das städtische ein. Bildung ist so auch für Bauern möglich.
1806-1918 – Preußische Reformen, Kaiserreich und Erster Weltkrieg
Der verlorene Krieg gegen Napoleon 1806 und der Tilsiter Frieden ist für die meisten Adligen mit einem herben materiellen Einschnitt verbunden. Vielen Gütern werden neben den Lasten der Einquartierung hohe Kriegssteuern auferlegt, die ihre Besitzer sogar zum Verkauf zwingen. Nach der Niederlage gegen Napoleon setzt sich allgemein die Einsicht durch, dass nur ein modernes Preußen Aussicht hat, die französische Fremdherrschaft abzuschütteln, sowie politisch und wirtschaftlich den Anforderungen der Zukunft zu entsprechen.
Die Reformen erstreckten sich über das Verwaltungs-, Bildungs-, Agrar- und Militärwesen des Staates. Zwar gibt es unter den Adligen, vor allem bei Hofe, immer noch Vorbehalte gegen notwendige Reformen, andere hingegen haben schon vorher Modernisierungsideen entwickelt. Die Reformen sind für Friedrich August von der Marwitz ein „Krieg der Besitzlosen gegen das Eigentum“, ein „krasser Materialismus gegen die von Gott eingeführte Ordnung“. Wie viele adlige Grundbesitzer befürchtet er, dass das aufstrebende Bürgertum, das teilweise über wesentlich mehr Kapital verfügt als viele Adelige, sie durch das Aufkaufen von Grundeigentum aus ihren angestammten Besitztümern verdrängen könnte. Für ihn ist der Bodenbesitz die Machtbasis des preußischen Adels.
Der Adel geht jedoch als Nutznießer aus dem Reformwerk hervor. Während sich manche Bauern verschulden, um Land zu erwerben oder die Geldablösungen aufzubringen, können viele Gutsbesitzer ihre Ländereien vergrößern.
Neben der ökonomischen bleibt den Gutsherren nach den Reformen auch die politische Überlegenheit. Sie üben weiterhin die Patrimonialgerichtsbarkeit und die lokale Polizeihoheit aus sowie das Schul- und Kirchenpatronat, mit der Befugnis, die Pfarrer und Lehrer auszuwählen. Erst mit der Revolution von 1848/49 fallen diese adligen Privilegien. 1853 verfügt der Großgrundbesitz über fast 30 Prozent des Ackerlandes. Einzige Konkurrenz ist das aufstrebende Bürgertum. 1857 gibt es im Regierungsbezirk Potsdam 216 bürgerliche gegenüber 372 adligen Gütern; im Regierungsbezirk Frankfurt ist fast zahlenmäßiger Gleichstand zwischen den 400 adligen und 372 bürgerlichen Gütern erreicht. In den berlinnahen Kreisen Niederbarnim und Teltow überwiegen die bürgerlichen Herrschaftssitze. Zudem werden zunehmend verdiente Bürgerliche geadelt. Allein unter der Herrschaft von Kaiser Wilhelm II. gab es 739 Ernennungen in den Adelsstand.
Der neue „bürgerliche Adel“ treibt zusammen mit dem alteingesessenen, trotz Widerständen aus den eigenen Reihen, die Entwicklung der Landwirtschaft voran und legt so eine Grundlage für die Industrialisierung Preußens. Auf die kurze Blütezeit folgt die Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Das Land ist verwüstet, viele Adlige kehren nicht von den Schlachtfeldern zurück. Die Privilegien des Adels enden mit der Abdankung des Kaisers und der Abschaffung der Monarchie in Deutschland.
1806
Am 14. Oktober verliert Preußen mit hohen Verlusten die Doppel-Schlacht bei Jena und Auerstedt gegen die französischen Truppen. Napoleon Bonaparte (1769-1821) besetzt Berlin, König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) flieht mit seiner Frau Königin Luise (1776-1810) nach Ostpreußen. Französische Soldaten werden auf brandenburgischen Gütern untergebracht.
1807
Im Frieden von Tilsit wird das Gebiet Preußens und die Anzahl seiner Untertanen um die Hälfte reduziert. Zusätzlich verlangte Napoleon hohe Kriegssteuern.
1807-1819
Preußen versucht durch umfassende Verwaltungs-, Militär-, Agrar- und Bildungsreformen den Staat zu modernisieren und die innere Stabilität wieder herzustellen. Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831) und sein Nachfolger Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1722) entwerfen die preußischen Reformen und setzen sie auch gegen den Widerstand des Adels durch.
Mit dem Oktoberedikt werden 1807 die Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit der Bauern aufgehoben und die Freiheit der Berufswahl eingeführt. Es beginnt die Umstrukturierung der Landwirtschaft. Jeder Adlige, Bürger und Bauer darf von nun an Boden kaufen, Boden frei teilen und sich verschulden. Mit dem Regulierungsedikt von 1811 werden alle Bauern Eigentümer der Höfe, die sie bewirtschaften. Es müssen jedoch hohe Ausgleichzahlungen an die ehemaligen Besitzer entrichtet oder die Hälfte des Landes an sie abgegeben werden. Die Durchsetzung der Regelungen dauert mit einigen Nachbesserungen bis 1816 an. Einer der stärksten Widersacher war Friedrich August von der Marwitz aus Friedersdorf (1777-1737).
1848-1849
Märzrevolution – verschiedene bürgerlich-demokratische Unabhängigkeitsbewegungen versuchen, einen demokratisch verfassten, einheitlichen deutschen Nationalstaat zu schaffen. Die Proteste richten sich vor allem gegen die Monarchie und die Herrschaftsprivilegien des Adels. Im ganzen Land kommt es zu Aufständen. Sie werden mit militärischer Gewalt niedergeschlagen.
Auf dem Land drohen die Bauern mit Leistungsverweigerungen. Sie fordern die Aufhebung der adligen Gerichtshoheit. In Lübbenau verweigern 28 Dörfer Abgaben an ihren Standesherrn Hermann Rochus Graf zu Lynar. Als er auf deren Entrichtung beharrt wird sein Schloss angegriffen. Im Zuge der Proteste werden die adligen Jagdrechte, die Patrimonialgerichtsbarkeit und vorübergehend auch die gutsherrliche Polizeigewalt beseitigt.
1850
Die „Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat“ von 1850 enthält die Aussage: „Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich. Standesvorrechte finden nicht statt“. Den realen politischen Verhältnissen entspricht das nicht – die Verfassung enthält ebenfalls das Dreiklassenwahlrecht. Frauen dürfen gar nicht wählen.
ab 1850
Im Zuge der Agrarreformen erlebt Brandenburgs Landwirtschaft einen enormen Rationalisierungs-, Modernisierungs- und Wachstumsschub. Viele adlige Besitzer gehen dazu über, die auf ihren Gütern erzeugten Produkte an Ort und Stelle zu verarbeiten und industriell zu produzieren. Zuckerfabriken, Schnapsbrennereien, Stärkemehl- und andere Fabriken entstehen. Adlige Gutsbesitzer werden zu landwirtschaftlichen Unternehmern. Es entsteht ein von Großgrundbesitzern und Großbauern dominiertes Vereins- und Weiterbildungswesen.
18.1.1871
Gründung des Deutschen Reiches und Krönung von Wilhelm I. (1797-1888) zum Kaiser in Versailles. Im Reich besitzt Preußen als größter Teilstaat eine Vormachtstellung, die in der Verfassung des Deutschen Reiches verankert ist.
1872
Die Kreisordnung für die östlichen Provinzen (Brandenburg, Posen, Schlesien, Preußen, Sachsen und Pommern) hebt die Polizeigewalt der Gutsherren endgültig auf. Gleichzeitig erweitert sie die Befugnisse der Landräte, die fast ausschließlich adlige Grundbesitzer sind. Adligen und Kirchen wird die Aufsicht über die Schulen entzogen und in staatliche Hand gelegt. Erst 1889 werden die Verwaltungsgesetze auch auf die westlichen Provinzen ausgedehnt.
1874
30 grundbesitzende Adlige aus den preußischen Provinzen, unter anderen auch aus Brandenburg, gründen in Berlin die Deutsche Adelsgenossenschaft. Sie wird die größte Vereinigung deutscher Adliger im Deutschen Reich und als konservatives Gegengewicht von der Reichsregierung gefördert.
1876
In Petkus im Niederen Fläming baut Ferdinand von Lochow einen modernen und an den Brandenburger Bedingungen orientierten landwirtschaftlichen Musterbetrieb auf. Das gezüchtete Saatgut für Hafer und Roggen wird deutschlandweit verkauft.
1899-1901
Das preußische Abgeordnetenhaus, das durch seine Wahl nach dem Dreiklassenwahlrecht mehrheitlich die Interessen von Adel und Großgrundbesitzern vertritt, blockiert Pläne zum Bau des Mittellandkanals, aus Angst vor der Einfuhr von billigem Getreide aus Übersee.
1914-1918
Der Erste Weltkrieg bringt tiefgreifende Veränderungen für den preußischen Adel: Fast ein Viertel der adligen Offiziere fällt im Krieg, die Zahl der adligen Witwen und Waisen ist hoch. Zudem bleiben nach den Kriegsjahren erschöpfte Böden und verringerte Viehbestände zurück.
9.11.1918
Reichskanzler Max von Baden (1867-1929) gibt die Abdankung des Kaisers ohne Autorisierung bekannt. In Berlin ruft Phillip Scheidemann (1865-1939) die Republik aus. Das Deutsche Reich wandelt sich in den folgenden Monaten von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik.
12.11.1918
Der letzte Adelstitel wird in Deutschland auf Antrag des Fürsten Christian Kraft zu Hohenlohe-Öhringen, einem erblichen Mitglied des preußischen Herrenhauses, an den Geheimrat Kurt von Kleefeld verliehen.
24.11.1918
Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) wird gegründet und vereinigt die konservativen Parteien des Kaiserreichs. Sie vertritt die Interessen der Eliten: des Adels, des Beamtentums, des Offizierskorps und des gehobenen Bürgertums. Starken Rückhalt findet die Partei in der protestantischen Kirche, bei den ostelbischen Landwirten sowie bei den militanten Vaterländischen Verbänden, die zum Teil republikfeindlich eingestellt sind.
28.11.1918
Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II. (1859-1941), dankt offiziell ab. Er ist schon im Exil in Holland, 59 Güterwaggons mit Möbeln, Kunstwerken und persönlichen Gegenständen werden ihm und seinem verbliebenen Hofstaat nachgeschickt. Der Besitz der Hohenzollern wird enteignet, darunter rund 70 Schlösser.
1918-1932 – Weimarer Republik
Die Folgen des Ersten Weltkrieges bestimmen die Jahre der ersten deutschen parlamentarischen Republik. Millionen sind gefallen, das Land ist verwüstet und Preußen wird als Freistaat in den Reichsverband integriert. Immer wieder kommt es zu Putschversuchen, an denen sich auch Angehörige des Adels beteiligen. Die meisten Adligen stehen der Weimarer Republik distanziert oder offen ablehnend gegenüber. Sie bleiben in der Mehrzahl Anhänger der Monarchie, obwohl sich eine große Anzahl politisch in der DNVP engagiert.
Nach der Abschaffung der Adelsprivilegien durch die Verfassung der Weimarer Republik wird die Unterscheidung zwischen historisch berechtigten Namensträgern und solchen, die durch Adoption einen adeligen Namen erlangt haben, schwierig. Adlige, die der Deutschen Adelsgenossenschaft beitreten wollen, müssen ihre Herkunft nachweisen, auch in Form von „Ariernachweisen“.
Zum Verlust der Privilegien kommt die Sorge um die Zukunft. Eine große Zahl ehemaliger Offiziere verliert durch die Umstrukturierung der Armee ihre Existenzgrundlage, Gutbesitzer sind von Enteignungen bedroht. Viele Landwirte müssen in den 1920er-Jahren Kredite aufnehmen, um dem Preisdruck der ausländischen Konkurrenz Stand zu halten und moderne Maschinen anschaffen zu können.
Brandenburg bleibt in Bezug auf Mechanisierung und Technisierung der Landwirtschaft hinter anderen Regionen im Reich zurück. Reichspräsident Paul von Hindenburg, selber ostelbischer Grundbesitzer, unterstützt die Landadligen mit Steuererleichterungen, Subventionen und Krediten. Die hohen Zinsen führen jedoch zu Verschuldungen. Soziale Konflikte erfassen zum Ende der Republik zunehmend die ländlichen Regionen. Die Tiefe der Probleme lässt manchen Betroffenen auf eine Verbesserung der persönlichen Lage nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hoffen.
28.6.1919
Außenminister Hermann Müller (SPD) (1867-1931) und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) (1868-1949) unterzeichnen unter Protest den Vertrag von Versailles, den Friedensvertrag zum Ersten Weltkrieg. Er begrenzt das deutsche Heer auf 100.000 Mann, das Offizierskorps auf 4.000. Viele adlige Offiziere verlieren ihre Existenzgrundlage, von 10.000 Offizieren in der kaiserlichen Armee kommen nur 900 in der neuen Reichswehr unter. Viele Offiziere verweigern die Entwaffnung und organisieren sich in so genannten Freikorps. Auch die Auflösung der Kadettenschulen trifft die adligen Familien hart, haben sie doch die Offizierssöhne bisher sozial abgesichert.
14.8.1919
Mit dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung werden alle Vorrechte des Adels abgeschafft. Nach Artikel 109 werden alle Bürger vor dem Gesetz gleichgestellt, die Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses werden aufgehoben. Adelsbezeichnungen gelten nur noch als Teil des Namens und dürfen nicht mehr verliehen werden.
13.3.1920
Kapp-Lüttwitz-Putsch unter der Führung von Wolfgang Kapp, Walther von Lüttwitz und Erich Ludendorff. Der Putschversuch bringt die Weimarer Republik an den Rand eines Bürgerkrieges. Die Reichsregierung flieht für kurze Zeit aus Berlin. Die Aktivisten sind überwiegend ehemalige Armeeangehörige und Mitglieder der DNVP. Teile des preußischen Adels sind führend sowohl an der Vorbereitung als auch an der Durchführung des Putsches beteiligt.
23.6.1920
Die preußische Landesversammlung verabschiedet das Preußische Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung des Hausvermögens.
1921
Die Deutsche Adelsgenossenschaft, deren Ehrenvorsitzender Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847-1934) wird, formiert sich neu und gibt sich eine neue Satzung. Viele wollen sich organisieren, die Mitgliederzahlen steigen von 1.600 Mitgliedern bei Kriegsende auf 17.000 im Jahr 1924.
Der Reichslandbund gründet sich aus der Fusion der beiden größten Landwirtschaftsverbände und wird die einflussreichste deutsche Bauernvereinigung. Die Führung besteht zum großen Teil aus ostelbischen Adligen, die einen republikfeindlichen, nationalistischen und antidemokratischen Kurs verfolgen. Durch offensive Pressearbeit übt der Reichslandbund großen Einfluss auf die Landbevölkerung aus.
1925/26
Volksbegehren zur entschädigungslosen Enteignung aller Fürstentümer. Es scheitert am Widerstand der konservativen Parteien im Reichstag und an einem Zustimmungsquorum von 50 Prozent, das Reichspräsident Paul von Hindenburg selbst noch wenige Monate zuvor erhöht.
1933-1945 – Nationalsozialismus und adliger Widerstand im Zweiten Weltkrieg
Die alten preußischen Eliten vertrauen Paul von Hindenburg und lassen sich von der „Blut-und-Boden“-Ideologie der Nationalsozialisten und vom „Tag von Potsdam“ blenden, der Hitler den Weg an die Macht ebnet. Sie erwarten vom neuen Regime unter anderem, dass es der Armee wieder die traditionelle Position in der Gesellschaft zukommen lässt und das vom Adel geprägte Offizierskorps aufwertet. Es gibt jedoch auch Skepsis und Zweifel. Zwar treten viele Angehörigen ostelbischer Adelsfamilien nach der Auflösung der DNVP der NSDAP bei, doch bleiben sie eine Minderheit und im Herzen Monarchisten.
Bis aus der Distanz zu den braunen Machthabern aktiver Widerstand wird, ist es für viele ein langer, von Selbstzweifeln geprägter Weg. Ausschlaggebend sind schließlich die menschenverachtende NS-Ideologie, die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, die u. a. von der SS begangen werden und die Verfolgung und Ausrottungspolitik gegenüber den Juden. Angehörige des Offizierskorps sehen sich in einem unlösbaren Konflikt zwischen Tradition, militärischer Treue und Gehorsam einerseits und der Achtung der christlichen Gebote andererseits.
Letztendlich fühlt sich eine kleine Gruppe nicht mehr an den Hitler geschworenen Eid gebunden und folgt ihrem Gewissen. Über 200 Putschisten bezahlen es mit ihrem Leben, ihre Familien werden enteignet, fliehen oder werden in Konzentrationslager verschleppt. Die Mehrheit der Adligen verhält sich indessen bis zum Kriegsende dem Regime gegenüber loyal.
Juni 1933
Die DNVP löst sich auf, nachdem sie als „Steigbügelhalter“ für die Regierung Hitlers fungierte, wie ihr später nachgesagt wird. Die meisten Mitglieder treten in die NSDAP ein.
August 1933
Achim von Arnim, Professor und SA-Oberführer in Berlin-Brandenburg erhebt in seinem Artikel „Der Adel am Scheidewege“ im Deutschen Adelsblatt den Vorwurf, ein „ganz erheblicher Teil“ des Adels sei dem Nationalsozialismus noch immer „nicht freundlich“ gesonnen.
Juni 1934
Im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches, bei der die Führung der SA festgenommen und hingerichtet oder zum Selbstmord gezwungen wird, werden auch Mitglieder brandenburgischer Adelsfamilien wie Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow ermordet.
1.9.1939
Mit dem deutschen Überfall auf Polen beginnt der Zweite Weltkrieg.
Oktober 1939
Das Offizierskorps der Wehrmacht protestiert gegen den vom Reichsführer-SS Heinrich Himmler verordneten „Zeugungserlass“. Ungeachtet ehelicher Bindungen sollen die Soldaten zur Erhaltung der arischen Rasse vor ihrem Fronteinsatz Kinder zeugen, was den Moralvorstellungen des Offizierskorps widerspricht. Himmler muss den Erlass öffentlich zurücknehmen.
1942-1944
Mitglieder der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ treffen sich auf den Gütern brandenburgischer Adliger wie dem Gut Seese und dem Gut Breenitz der Familie Lynar. Die nicht fest abgegrenzte Gruppe besteht aus Vertretern verschiedener Schichten und politischer Richtungen. Adlige, vor allem aus schlesischen Adelsfamilien, Sozialdemokraten, Protestanten und Katholiken eint das Ziel, die nationalsozialistische Herrschaft zu beenden. Als Helmuth James Graf von Moltke 1944 festgenommen wird, schließt sich ein Teil der Gruppe dem Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an
1943
Wilfried Graf zu Lynar wird Adjutant des Generalfeldmarschalls Erwin von Witzleben, der Teil der Widerstandsgruppe um Stauffenberg ist und auch zeitweise auf Lynars Schloß Seese wohnt. Witzleben soll im Fall eines gelungenen Attentats auf Hitler den Oberbefehl über die Wehrmacht übernehmen.
13.3.1943
Henning von Tresckow, aus einer preußischen Adelsfamilie stammend und anfänglicher Befürworter der NSDAP, gelingt es, eine Bombe in Hitlers Flugzeug zu deponieren, deren Zeitzünder allerdings versagt. Er plant weitere Anschläge, die nicht gelingen oder nicht durchgeführt werden und hat engen Kontakt zu den Verschwörern um Stauffenberg.
16.12.1943
Axel von dem Bussche plant bei einer Vorführung von Winteruniformen, sich auf Hitler zu stürzen und mit Handgranaten in die Luft zu sprengen. Doch die Uniformen verbrennen in der Nacht zuvor bei einem Bombenangriff.
20.7.1944
Unter Führung von Claus Schenk Graf von Stauffenberg wird im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg/Ostpreußen ein Bombenattentat auf Hitler verübt, das dieser leicht verletzt übersteht. Am Attentat sind zum größeren Teil Militärs aus alten preußischen Familien beteiligt. Der Umsturzversuch unter dem Decknamen „Operation Walküre“ misslingt. Stauffenberg, Werner von Haeften, Mertz von Quirnheim und Erwin von Witzleben werden noch in der Nacht im Berliner Bendlerblock standrechtlich erschossen. Andere Mitverschwörer werden zum Selbstmord gezwungen.
24.7.1944
Carl-Hans Graf von Hardenberg will der drohenden Verhaftung durch die Gestapo durch Selbstmord entgehen; sein Selbstmordversuch misslingt, er wird in das KZ Sachsenhausen eingeliefert und erlebt im April 1945 die Befreiung. Sein Familienbesitz wird unter Zwangsverwaltung gestellt und enteignet.
ab 7.8.1944
Vor dem Volksgerichtshof beginnen die Prozesse gegen die Verschwörer, Präsident Roland Freisler demütigt und beschimpft die Angeklagten während der Verhandlungen, die Todesurteile stehen vorher fest. Rund 700 Verdächtige werden verhaftet, über 100 von ihnen hingerichtet. Freisler kommt bei einem Bombenangriff im Februar 1945 ums Leben.
29.9.1944
Wilfried Graf zu Lynar wird in Plötzensee hingerichtet, sein Familienbesitz enteignet.
April-Mai 1945
Viele märkische Landadlige und ihre Familien fliehen vor der näher rückenden Roten Armee nach Westen und kommen so ihrer Verhaftung als NS-Täter und Mitläufer und der späteren Enteignung zuvor. In den Schlössern und Herrenhäusern werden Flüchtlinge einquartiert, die zu Tausenden aus Pommern und Schlesien nach Brandenburg kommen.
8.5.1945
Der Zweite Weltkrieg endet, am 9.5. unterschreibt Feldmarschall Keitel in Karlshorst die bedingungslose Kapitulation. Die alliierten Siegermächte treffen sich in Potsdam und beschließen am 2.8.1945 mit dem sog. Potsdamer Abkommen die politische und geografische Neuordnung Deutschlands.
1945-1989 – Nachkriegszeit, SBZ, DDR und Mauerfall
Die Ernährungslage nach dem Krieg ist katastrophal. Die Produktion von Nahrungsmitteln ist deshalb eine zentrale politische Aufgabe. Die Voraussetzungen sind denkbar ungünstig, denn im Frühjahr 1945 können die Felder wegen der letzten Kriegshandlungen kaum bestellt werden, nach Kriegsende sind Ackerland und Weideflächen oft verwüstet und vermint. Der Viehbestand ist drastisch reduziert. Landwirtschaftliche Maschinen sind zu einem großen Teil zerstört, es mangelt an Ersatzteilen. Die Besatzungsmacht requiriert für die Versorgung ihrer Truppen Getreide, Vieh und Maschinen, außerdem müssen hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene ernährt werden.
Die Bodenreform soll zur Bewältigung der Not beitragen. Über die Umsetzung gibt es erhebliche Differenzen. Die KPD, politischer Partner der Besatzungsmacht, hat bereits 1942 und 1944 Vorschläge zur Enteignung der Großgrundbesitzer erarbeitet. Im Juni 1945 bekommt ihre politische Entmachtung Priorität. Ihnen wird die Hauptverantwortung für Rückständigkeit und Unterdrückung, für die NS-Herrschaft und den Krieg angelastet.
Im September 1945 wird die Bodenreformverordnung in der SBZ verabschiedet. Darin heißt es: „Die Bodenreform muss die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft der Großgrundbesitzer im Dorf ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen alle Völker war .“ Führende Politiker der CDU und LDP lehnen diese Form der Enteignungen ab, plädieren dafür, den Kreis der Enteigneten auf Kriegsverbrecher zu beschränken. Sie werden zum Rücktritt gezwungen, bzw. abgesetzt.
Bis Ende 1945 beschlagnahmen die Gemeindebodenkommissionen in Brandenburg neben 180 staatlichen Betrieben 1.614 Güter einer Größe von über 100 Hektar und 406 Höfe von Kriegsverbrechern, die kleiner als 100 Hektar sind. Insgesamt werden bis 1945 an Bewerber aus verschiedenen Schichten 346.577 Hektar übergeben. Rund 72.000 neue Bauernfamilien, darunter 14.908 „Umsiedler“, erhielten in Brandenburg durch die Bodenreform eine Existenzgrundlage. Öffentliche Institutionen übernehmen rund 223.661 Hektar zur Bildung von Provinzialgütern.
Die Durchführung einer Bodenreform ist auch eine Vorgabe der alliierten Sieger. Diese haben auf der Moskauer Außenministerkonferenz zur deutschen Frage im März/April 1947 den Alliierten Kontrollrat beauftragt, noch im Verlauf des Jahres 1947 eine Bodenreform in allen Besatzungszonen durchzuführen. Sie wird zu diesem Zeitpunkt auch in den Westzonen in Angriff genommen, jedoch nicht so radikal, politisch determiniert und ideologisch überlagert wie in der sowjetischen Zone.
26.6.1945
Der Gründungsaufruf der CDU (Ost) enthält die Forderung nach einer Bodenreform, die einen eingegrenzten staatlichen Anspruch auf private Grundstücke ermöglicht. Diese Regelung sieht das Reichssiedlungsgesetz von 1919 vor, das noch heute in veränderter Form in Kraft ist. Eine pauschale, entschädigungslose Enteignung jeglichen Besitzes über 100 Hektar lehnen beide Parteien ab. Wegen „Widerstands gegen die Bodenreform“ wird der erste Vorsitzende der CDU Andreas Hermes (1878-1964) zum Rücktritt gezwungen. So ergeht es auch dem Zweiten Vorsitzenden Walther Schreiber und dem Vorsitzenden der Liberal-demokratischen Partei Deutschlands (LDP) Waldemar Koch. Alle flüchten in den Westen, Schreiber wird später Regierender Bürgermeister West-Berlins.
8.8.1945
In Berlin unterzeichnet Wilhelm Keitel (1882-1946) die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht.
Die Ernährungslage in Deutschland am Ende des Krieges ist katastrophal. Ein großer Teil des Ackerlandes ist verwüstet oder vermint, der Viehbestand drastisch reduziert, landwirtschaftliche Maschinen zerstört und viele Felder sind wegen der Kämpfe im Frühjahr nicht bestellt worden. Zudem beschlagnahmt die Besatzungsmacht Nahrungsmittel und Versorgung für ihre Truppen. Dazu kommen Hunderttausende von Flüchtlingen und Vertriebene.
September 1945
Der Umsturz der politischen Verhältnisse in tritt in den Vordergrund. KPD und SPD machen Großgrundbesitzern für Unterdrückung, die NS-Herrschaft und den Krieg verantwortlich.
2.9.1945
Bei einer organisierten Massenkundgebung in Kyritz, stellt der Vorsitzende der KPD in der Sowjetzone, Wilhelm Pieck (1876-1960), unter dem Motto „Junkerland in Bauernhand“ die Grundzüge der Bodenreform vor.
6.9.1945
Die Provinzialverwaltung Brandenburg übernimmt die Bodenreformverordnung, die wenige Tage vorher in Sachsen verabschiedet wird. Enteignet werden soll der gesamte Grundbesitz unabhängig von der Größe, sofern er mehr als 100 Hektar Land umfasst sowie der Besitz von „Kriegsverbrechern“, hohen NSDAP-Mitgliedern und Vertretern des NS-Regimes. Der Besitz soll an landarme Bauern und Flüchtlinge verteilt werden. Ein Großteil bleibt jedoch in staatlichem Besitz. Dabei werden weder die Enteigneten entschädigt, noch der Begriff „Kriegsverbrecher“ definiert, was eine willkürliche Auslegung ermöglicht.
22.9.1945
Beginnend mit dem Gut Seese, das der Familie Lynar gehört, werden ausnahmslos alle Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet, auch ehemalige Widerstandskämpfer. Viele von ihnen fliehen in die Westzonen. Runderlasse der Provinzialverwaltung erlauben später Großgrundbesitzern, die sich dem NS-Regime widersetzt haben, neue Höfe zu übernehmen.
Spätherbst 1945
Der „Sabotage an der Bodenreform“ verdächtigte Gutsbesitzer und ihre Familien werden in einer Massendeportation auf die Insel Rügen gebracht.
1.4.1946
Verordnung der Provinzialverwaltung, die die Vernichtung der alten Grundbücher „mit allen auf sie bezüglichen Vorgängen und Unterlagen“ anordnet, um die Bodenreform unumkehrbar zu machen. Die neuverteilten Parzellen werden in neue Grund- und Katasterbücher eingetragen, ohne Hinweise auf die vorherigen Besitzer.
April 1947
Die Alliierten einigen sich bei der Außenministerkonferenz in Moskau bis zum Ende des Jahres 1947 in allen Besatzungszonen eine demokratische Bodenreform durchzuführen. Die in der Sowjetzone 1945 begonnene Bodenreform wirkt abschreckend auf die Westalliierten, dennoch erlassen sie bis zum Ende des Jahres Rahmengesetze für eine eigene. Diese wird nur unvollständig umgesetzt. Nur ein Zehntel des infrage kommenden Landes wird in der amerikanischen Zone tatsächlich enteignet.
23.8.1947
Im Befehl Nr. 6080 verlangt die Sowjetischen Militäradministration von der Landesregierung Brandenburgs, die noch auf ihren Gütern wohnenden Eigentümer und ihre Verwalter festzustellen und zum 1.9.1947 aus ihren Heimatkreisen auszuweisen. Das soll den Gutsbesitzern ihren gesellschaftlichen Einfluss in ihren Gemeinden entziehen. Darüber hinaus ordnet Innenminister Bernhard Bechler (1911-2002) an, auch Familienangehörige umzusiedeln. Gutsbesitzer und Verwalter, die nachweislich Widerstand gegen den NS geleistet haben, sollen nicht umgesiedelt werden.
7.10.1947
Die SMA Brandenburg verfügt mit ihrem Befehl 163 die „ungehinderte Ausnutzung von Bauten ehemaliger Güter von Gutsbesitzern für den Bau von Neubauerngehöften durch Umbau oder Abbruch und Übergabe der Baumaterialien an die Neubauern“. Mit dem Befehl 209 sollen notwendige Wohn- und Wirtschaftsgebäude durch den Abbruch von Gutshäusern geschaffen werden, da auf vielen umverteilten Parzellen keine Gebäude vorhanden sind. Zusätzlich soll die Erinnerung an die politischen Verhältnisse der Vergangenheit ausgelöscht werden. Viele Gemeinden wehren sich gegen den befohlenen Abbruch der Gutsgebäude, weil sie dort Schulen und andere gemeinnützige Einrichtungen unterbringen wollen. Auch Einwohner, das Amt für Denkmalpflege, Wissenschaftler und Mitglieder der SMAD protestieren gegen den Abbruch der Kulturgüter.
1.11.1947
Innenminister Bernhard Bechler ordnet an, dass bei der Ausweisung von Gutsbesitzern keine Ausnahmen gemacht werden dürfen und diese mit ihren Familien mindestens 50 km entfernt (vorher 15 km) von ihrem Wohnort untergebracht werden sollen. Betroffene Familien müssen innerhalb von 48 Stunden ihr Gut verlassen und dürfen nur Dinge des persönlichen Bedarfs mitnehmen.
März 1948
Nach langen Debatten wird eine Liste der zur Rettung empfohlenen Gebäude festgelegt. Sie umfasst 9,6 Prozent des Bestandes. Damit ist die ursprüngliche Absicht aufgegeben, alle Schlösser und Herrenhäuser abzureißen. Viele der Schlösser und Herrenhäuser bleiben als Alters-, Erholungs- oder Schulungsheime, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Verkaufs- und andere gemeinnützige Einrichtungen, als Polizei- oder Poststellen und auch als Wohnungen erhalten. Besonders attraktive Gebäude wie das Schloss Börnicke oder die spätere Kampfgruppenschule Schmerwitz werden Eigentum der SED.
Bis 1949
Die letzten ehemaligen Besitzer, Pächter und Verwalter werden vertrieben. In der gesamten SBZ werden 14.000 Höfe auf insgesamt 2,5 Millionen Hektar entschädigungslos beschlagnahmt. Zwei Drittel der 3,1 Millionen Hektar werden an 500.000 Landarbeiter, Bauern und Umsiedler verteilt, ein Drittel bleibt in Staatshand. Für wirtschaftliches Arbeiten sind die zugewiesenen Stücke oft zu klein. Die Neubauern müssen sich zu Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammenschließen. Insgesamt ist ein Drittel der Wirtschaftsfläche östlich der Elbe von der Bodenreform betroffen.
In der Verfassung der DDR wird die Bodenreform festgelegt. Art. 24, Abs. 1 der DDR-Verfassung von 1949 lautet:
Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 Hektar umfasst, ist aufgelöst und wird entschädigungslos verteilt.“
1.5.1949
Neuhardenberg wird in Marxwalde umbenannt, da die Gemeinde mit dem Namen des früheren Besitzers, der Familie von Hardenberg in Verbindung gebracht werden kann. Durch die Umbenennung werden große Teile der Gutsanlagen vor der Zerstörung bewahrt.
1954
Die letzten Testamente von Alteigentümern werden den staatlichen Archiven übergeben und dort unter Verschluss gehalten. In der Folgezeit werden auch Testamente vernichtet.
1958
Carl-Hans Graf von Hardenberg, Mitglied des konservativen Widerstandes und KZ-Insasse, der nach der Enteignung in den Westen geflohen war, wünscht nach seinem Tod auf dem Familienfriedhof beigesetzt zu werden. Sein Antrag wird abgelehnt, erst 1991 werden die Urnen des Grafen und seiner Frau dort beigesetzt.
1970er
Erst jetzt wird die Beteiligung von Adligen an der Verschwörung vom 20. Juli 1944 in DDR-Geschichtsbüchern genannt, stets dem kommunistischen Widerstand nachgeordnet. Vorher wird den Schülern unter dem Stichwort Adel vor allem das Bild von der brutalen und egoistischen Ausbeuterklasse vermittelt.
1985
Am 40. Jahrestag der Bodenreform, der jährlich am 2. September in Kyritz begangen wird, betont Erich Honecker (1912-1994) in einer Rede vor 120.000 Zuschauern dass die Bodenreform vor allem ein Schlag gegen die Junker war. Diese rechnet er zu den aggressivsten und reaktionärsten Kräften und bezeichnet sie als „Stützen des barbarischen Hitlerregimes“. Die Begründung, die Bodenreform sei nötig gewesen für die Ernährung des Volkes, ist nicht mehr relevant.
1990-2011 – Wiedervereinigung bis heute
Fünf Wochen vor der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wird der Einigungsvertrag unterzeichnet. Die schwierigste und umstrittenste Frage, die die Betroffenen auf beiden Seiten noch Jahre und Jahrzehnte danach beschäftigen wird, ist die Klärung von Anspruch und Rückgabe von Eigentum. Jeder, der in der DDR – also nach dem 7.10.1949 – enteignet wurde, kann darauf hoffen, verlorene Häuser und Grundstücke zurückzubekommen. Das sieht die Regelung „Rückgabe vor Entschädigung“ vor. In der Praxis führt das oft zu Wut und Verbitterung bei denjenigen, die inzwischen Eigentümer geworden sind und sich jetzt mit Ansprüchen der sog. Alteigentümer auseinander setzen müssen.
Ganz anders werden die Enteignungen behandelt, die vor der Gründung der DDR, also in der sowjetischen Besatzungszone (1945-1949) vorgenommen worden sind und alle betraf, die mehr als 100 Hektar Land besaßen. Diese Enteignungen sind – bis auf wenige Ausnahmen – von der Regelung der Rückübertragung ausgeschlossen. Die Festschreibung im Einigungsvertrag, so wird Helmut Kohl immer wieder versichern, sei der ausdrückliche Wunsch der Sowjetunion gewesen, die sonst der Wiedervereinigung nicht zugestimmt hätte. Später wird Michail Gorbatschow dies als unwahr zurückweisen, die Rechtslage jedoch bleibt.
Besonders Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind von dieser Regelung betroffen. Einerseits bleiben die LPGs in der Regel Eigentümer großer Anbauflächen und damit Nutznießer von Enteignung und Bodenreform in der SBZ von 1945/46, andererseits erhalten ehemalige Großbauern und Landadlige, die in der SBZ enteignet wurden, nichts zurück. Wollen sie dennoch wieder in der Heimat ihrer Vorfahren leben, müssen sie jeden Hektar Land und jedes Gebäude zurückkaufen.
Viele Alteigentümer empfinden diese Regelung bis heute als großes Unrecht und „doppelte Enteignung“ und geben enttäuscht auf. Wagen sie dennoch einen Neuanfang, erwartet die adligen Rückkehrer neben der ökonomischen Belastung oft Misstrauen und Ablehnung. Die Mehrheit der Rückkehrer ist der Überzeugung, dass eine Teilrückgabe viele motiviert hätte, Geld und Erfahrung für den Aufbau im Osten Deutschlands einzubringen.
Eine Ausnahme sind die als Opfer des NS-Regimes anerkannten Familien, die noch während der NS-Zeit enteignet wurden. Sie haben Anspruch auf Restitution. Kann eine Rückübertragung nicht stattfinden, steht ihnen eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz von 1994 zu. Diese Regelung betrifft nur einen sehr kleinen Kreis adliger Familien.
15.6.1990
Die Bundesregierung und die Regierung der DDR geben eine „Gemeinsame Erklärung“ ab, in der allgemeine Grundsätze zur Restitutionsfrage festgelegt werden. Die Erklärung wird dem Einigungsvertrag als Anlage III beigefügt und ist damit Bestandteil des Vertrages.
19.8.1990
Die Frage der Eigentumsrückgabe ist eine sehr umstrittene Frage im Prozess der deutschen Einigung. Sie führt neben anderen Faktoren zu Spannungen der Ost-Berliner Parteien und zum Austritt der SPD aus der Regierungskoalition aus CDU, Deutsch Sozialer Union (DSU), Demokratischer Aufbruch (DA), SPD und Liberalen. Der SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse (geb. 1943) fordert, dass die Bodenreform nicht rückgängig gemacht wird und dies im Einigungsvertrag festgeschrieben werden soll. Andernfalls stimmt seine Partei dem Einigungsvertrag nicht zu.
31.8.1990
Die Unterzeichnung des Einigungsvertrags von BRD und DDR. Er regelt sämtliche durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland notwendig gewordenen Veränderungen.
Das „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen", wird erst am Tage der Unterzeichnung des Einigungsvertrages, ohne das übliche Gesetzgebungsverfahren in der Volkskammer, als Anlage II in den Vertrag aufgenommen und legt zwei Grundsätze fest: Enteignungen in der SBZ vor der Gründung der DDR, also in der Zeit zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 7. Oktober 1949, werden nicht rückgängig gemacht. Die BRD sieht sich zwar als Rechtsnachfolger der DDR, übernimmt aber keine Verantwortung für Enteignungen, die von der Sowjetischen Besatzungsmacht durchgeführt wurden.
Diese Regel betrifft die Adligen und die Großgrundbesitzer in Brandenburg in hohem Maße, da sie größtenteils vor 1949 enteignet worden sind. Das Vermögen einschließlich Grundbesitz, das nach dem 7. Oktober 1949 enteignet worden ist, soll grundsätzlich den ehemaligen Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben werden. Dabei soll das Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" gelten.
23.4.1991
Im sogenannten Bodenreform-Urteil weist das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden gegen die Bestimmungen des Einigungsvertrages als „nicht begründet“ zurück. Das BVG verteidigt sein Urteil mit dem Argument, die Sowjetunion hätte die Unumkehrbarkeit der Enteignungen während der Besatzungszeit 1945-1949 als Bedingung für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit gefordert.
Auch klagen die Betroffenen gegen die Ungleichbehandlung der Enteigneten der ersten Bodenreform bis 1949 und der nach der Gründung der DDR: Die in der DDR Enteigneten haben Anspruch auf Rückgabe des in Bundeshand gelangten Besitzes. Die Verfassungsrichter halten dagegen: Bonn sei dafür nicht zuständig. Zum einen dürfen die Enteignungen in der damaligen Sowjetzone "nicht dem Verantwortungsbereich" der Bonner Staatsgewalt zugerechnet werden, zum anderen sei das Grundgesetz mit seiner Eigentumsgarantie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Kraft gewesen. Allerdings räumt das Gericht dem Parlament die Freiheit ein, Entschädigungen für die Enteigneten zu beschließen.
26.12.1991
Die Sowjetunion wird völkerrechtlich durch Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR aufgelöst. Das verändert auch die deutsche Rechtslage, worauf der Kieler Jurist und Osteuropaexperte Wolfgang Seiffert in einem Gutachten hinweist. Die Bundesregierung sei in ihren Entscheidungen jetzt völlig frei sei, selbst wenn es stimme, dass die Sowjetunion den Fortbestand der Bodenreform verlangt habe, sei dies nicht mehr bindend. Mit dem Ende der Sowjetunion scheide diese aus den Verträgen aus. Mit dem Nachfolgestaat Russland gebe es keine Vereinbarung, die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 aufrechtzuerhalten.
5.7.1994
Der ehemalige Kreml-Chef antwortet in einem Briefwechsel mit dem Oxforder Geschichtsprofessor Norman Stone auf die Frage: „Könnten Sie uns bitte sagen, ob es stimmt, daß die UdSSR im Lauf der Verhandlungen [...] als eine unerläßliche Bedingung ein Verbot der Restitution gefordert hat?" mit „Nein, das stimmt nicht.“ Später ergänzt Gorbatschow: „Bundeskanzler Kohl und ich waren mit dieser Frage nicht befaßt. Sie wurde auf anderen Ebenen diskutiert. Jedenfalls existieren keine von sowjetischen Verantwortlichen unterzeichneten Verträge oder Abkommen, in denen die Eigentumsfrage auch nur zur Sprache kommt.“ Ähnlich äußert sich der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse (geb. 1928). Aufgrund dieser Aussagen kann das Urteil des BVG von 1991 angefochten werden.
27.9.1994
Im „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ wird eine Entschädigung für Enteignungen zwischen 1945 und 1949 auf Grundlage des Verfassungsgerichtsurteils von 1991 gewährt. Es wird jedoch nicht der aktuelle Verkehrswert der Grundstücke und Immobilien zu Grunde gelegt, sondern der Wert der Grundstücke von 1936, was einen erheblichen Wertverlust zur Folge hat. Auch sind die Entschädigungen gedeckelt, ohne Abzüge wird lediglich ein Höchstwert von 10.000DM entschädigt, von höheren Beträgen werden nur 80 Prozent ausbezahlt.
2000
Eine Klage von 40 Betroffenen gegen das „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ weist das Bundesverfassungsgericht ab. Wiederum folgt es der Argumentation der Bundesregierung, die auch die hohen Kosten der deutschen Einheit geltend macht. Eine gleichwertige Entschädigung benachteilige darüber hinaus andere DDR-Opfergruppen. "Die ehemaligen Eigentümer", so das Verfassungsgericht, können "auch nicht aufgrund der Zufälligkeit, daß gerade ihre Objekte noch verfügbar sind, eine wertmäßige Bevorzugung bei der Wiedergutmachung" verlangen – weder gegenüber "anderen Enteigneten" noch gegenüber "Opfern von Unrechtsmaßnahmen, die Schäden anderer Art erlitten haben". So würde ehemaligen politischen Häftlingen nur eine niedrige pauschale Ausgleichszahlung gewährt. Damit war der Rechtsweg innerhalb Deutschlands ausgeschöpft.
2005
71 Ofer der Bodenreform klagen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit der Argumentation der Schutz des Eigentums sei ein Menschenrecht. Ferner haben entschädigungslose Enteignungen während der sowjetischen Besatzung gegen das Völkerrecht verstoßen, weil der Schutz der Rechte der Zivilbevölkerung zum Kernbestand der Haager Landkriegsordnung zähle. Doch die Beschwerden der Alteigentümer und ihrer Erben scheitern auch in Straßburg. Nach dessen Auffassung sei die Bundesrepublik Deutschland für Handlungen, die die sowjetische Besatzungsmacht veranlasst habe, nicht verantwortlich, selbst wenn sie später die Rechtsnachfolge der DDR angetreten habe.
Die Bundesrepublik sei deshalb nach der Wiedervereinigung nicht verpflichtet, für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und nach 1949 in der DDR Entschädigungen in Höhe des aktuellen Verkehrswertes der Ländereien zu leisten. Auch hätten die Kläger nach der Wiedervereinigung keine berechtigte Erwartung auf Rückgabe ihrer Güter oder Ausgleichszahlungen gehabt. Aus diesen Gründen besitze der Gerichtshof keine Zuständigkeit, die Umstände der Enteignungen oder ihrer Folgen zu untersuchen. Gegen das Urteil war keine Berufung mehr möglich.
2007
Der Bundesgerichtshof fällt ein Urteil zum Umgang des Landes Brandenburg mit den Erben von Bodenreformland, in dem es dessen Vorgehen als „sittenwidrig und nichtig“ beurteilt. Das Land habe sich in mehr als 7.400 Fällen anstelle unbekannter Erben selbst als Eigentümer in die Grundbücher eintragen lassen. Dies muss nun rückgängig gemacht werden. Die Enteignungen durch die Bodenreform sind zwar nicht Gegenstand des Urteils, doch nährt es erneut Zweifel an der Legitimität der Bodenreform und ihrer Rechtsfolgen.
2011
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stuft die Opfer der Bodenreform, nachgewiesene aktive Nationalsozialisten ausgenommen, als „politisch Verfolgte“ ein, die eine „schwere Herabwürdigung“ und „gewollte Ausgrenzung aus der Gesellschaft“ erfahren haben. Doch eine Rückgabe des neuverteilten Landes steht nicht in Aussicht, die Alteigentümer würden gegebenenfalls mit Land aus Bundeseigentum oder mit Finanzmitteln des Bundes entschädigt.
2014
Am 30. November läuft die Übergangsregelung für Kulturgut deutscher Adelsfamilien aus. Ab 1. Dezember müssen Möbel, Bücher, Schmuck, Gemälde und andere Kunstwerke, die nach 1945 enteignet wurden, an ihre ursprünglichen Besitzer zurück gegeben werden. Ausgenommen ist Kulturgut, über deren Verbleib sich alte und neue Besitzer (in der Regel frühere Museen und Sammlungen der DDR) seit 1990 einvernehmlich geeinigt haben.
Zusammengestellt von Dr. Werner Künzel unter Mitarbeit von Katrin Schulze (Juni 2013)
Aktualisiert von BLPB, November 2014
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